Land
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Jahr
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1959
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Länge
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89 min.
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Farbe
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Tonverfahren
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Mono
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Format
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35 mm (1.33:1)
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Regie | Jean-Luc Godard | |
Drehbuch | Jean-Luc Godard, François Truffaut | |
Kamera | Raoul Coutard | |
Schnitt | Cécile Decugis, Lila Herman | |
Musik | Martial Solal, Wolfgang Amadeus Mozart | |
Ton | Jacques Maumont, Claude Beausoleil | |
Technische Beratung | Claude Chabrol | |
Produktion | Georges de Beauregard für S.N.C. | |
Verleih | Europa |
16.03.1960 | |||
Berlinale 1960 (Kinostart: 05.07.1960) | |||
25.01.1969, ARD | |||
23.10.2001 (Fox Lorber) | |||
28.02.2002 (Connoisseur/Meridian) | |||
20.04.1999 (Opening Ed./Studio Canal+, DVDY Films) | |||
24.07.2001 (Arthaus/Kinowelt) |
?
Jean-Paul Belmondo | (Michel Poiccard alias | |
Laszlo Kovacs) | ||
Jean Seberg | (Patricia Franchini) | |
Henri-Jacques Huet | (Berutti) | |
Jean-Pierre Melville | (Parvulesco) | |
Daniel Boulanger | (der Inspektor) | |
Liliane David | (Liliane) | |
Claude Mansard | (Autohändler) | |
Jean-Luc Godard | (der Spitzel) | |
Jean Domarchi | (der Saufbruder) | |
Michel Fabre | (der Polizist) | |
Van Doude | (der Journalist) | |
Andre-S. Labarthe | (der Interviewer) | |
Jean Herman | (der Soldat) | |
Jean Douchet | (der Passant) | |
Roger Hanin |
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Godards erster langer Spielfilm basiert auf einem Szenario von François Truffaut, das dieser wiederum aus einer Zeitungsmeldung über einen Polizistenmord entwickelt hatte. Dieser Film war der siebte Streich der Nouvelle Vague, mit der die Filmtheoretiker um die Cahiers Du Cinéma Ende der fünfziger Jahre ans praktische Werk gingen. Die Generation der 20-bis 30jährigen sah sich damals im Spiegel dieses Films und erkannte ihre eigenen Botschaften, die zum Mai 1968 führten. Es war eine Hymne auf den Augenblick und auf die Unordnung. Zwei Liebende verhalten sich den Erwartungen des Publikums gegenüber völlig konträr; der Film erzählt eine Liebesgeschichte im weiten Umfeld der Liebe, eine Geschichte, die sowohl die Unfähigkeit zu lieben enthält wie den Wunsch nach Liebe; Liebe reduziert auf das erotische Einverständnis, ohne Leiden, ohne innere Beglückung, ohne Kompromisse.
Der Film war in vier Wochen abgedreht, nur im Frühlicht des Morgens, an Originalschauplätzen, oft improvisiert und aus der Hand gefilmt. Da ohne Kunstlicht gefilmt wurde, sind bei Innenaufnahmen - trotz des verwendeten hochempfindlichen Filmmaterials - die Gesichter stellenweise nicht richtig zu erkennen. Coutard drehte die Straßenszenen stehend freihändig oder versteckt aus einem verschlossenen fahrbaren Kasten heraus, so daß viele Straßenpassanten als unbezahlte Komparsen mitwirkten. Längere Kamerafahrten kurbelte er von einem Krankenrollstuhl aus, den ein Assistent durch die Straßen schieben mußte. Das verleiht den Filmbildern ihr nervöses Temperament, den Szenen und Sequenzen ihren lebhaften Rhythmus. Am gravierendsten jedoch waren die technischen und dramaturgischen Regelverstöße, die Godard wurde zum Kultregisseur der jungen Wilden des europäischen Kinos machte. So mußte der Kameramann Raoul Coutard Schwenks über die konventionellen Margen hinaus vornehmen, kleine Achsenverschiebungen und sogar Sprünge über die Achse. Falsche Anschlüsse und eine durch »jump cuts« geprägte elliptische Erzählweise, bei der oftmals Dialoge und Bildmontage asynchron verlaufen, negieren die klassische Dramaturgie. »Eigentlich ist es ein Film, der am Ende der Nouvelle Vague kam«, so Godard im Rückblick, 20 Jahre nach der Premiere, »es ist ein Film ohne Regeln oder dessen einzige Regel hieß: Die Regeln sind falsch oder werden falsch angewendet«. Die stilistischen Besonderheiten verdanken sich jedoch nicht allein dem Kunstwillen Godards, sondern auch den ökonomischen Zwängen der Produktion. »Erste Filme sind immer sehr lang. Denn verständlicherweise will man nach 30 Jahren in seinen ersten Film alles reinpacken. Mein Film war zweieinviertel bis zweieinhalb Stunden lang, und das war unmöglich, er durfte laut Vertrag nur anderthalb Stunden dauern. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie dieser berühmte Schnitt zustande kam, der heute immer in Werbefilmen verwendet wird. Wir haben uns alle Einstellungen vorgenommen und systematisch das geschnitten, was wegkonnte, uns dabei aber bemüht, einen Rhythmus einzuhalten.« Dadurch wirkte der Film »roh aber frisch, sprunghaft aber unerhört dramatisch - titelgerecht atemlos« wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel seinerzeit schrieb.
Der Film verpflanzte das Hollywood-Kino der Schwarzen Serie in die Zeit der intellektuellen Erneuerungsbewegung des europäischen Kinos. Deshalb ist er den B-Filmen der amerikanischen Monogram-Pictures gewidmet Es war Godards Antwort auf das literarische französische Kino der Renoir und Cocteau im Geiste des Regisseurs schwarzer Gangsterstücke Jean-Pierre Melville. »Amerikanisch sind dann auch die beiden Hauptdarsteller, jeder in einer anderen Beziehung. Jean-Paul Belmondo ist der Held der Geschichte. Er spielt Michel Poiccard, einen ziemlich gleichgültig wirkenden jungen Mann, der seine Äußerlichkeiten, seine Gesten und Posen aus vielen amerikanischen Gangsterfilmen gelernt, übernommen und für sich entwickelt hat. Das wird in der berühmten Szene besonders deutlich, als er vor einem Kinoschaukasten steht; darin ein Humphrey-Bogart-Filmplakat: Ein Zwiegespräch scheint sich anzubahnen - Belmondo fährt sich lächelnd mit dem Daumennagel über die Lippen: Für ihn ist Bogart ganz stark und existentiell vorhanden, obwohl er ihm als Kinofigur begegnet. Er will sich eine eigene Wirklichkeit schaffen, da es ihm in der realen Wirklichkeit nicht gefällt.. Belmondo imitiert Bogie, er kopiert ihn aber nicht - sein Bogart-Hut rutscht ihm auf den Hinterkopf, seine Zigarette, die wie bei Bogart nie ausgeht, ist nicht wie bei Bogart der sechste Finger seiner Hand, sie wird gekonnt jongliert, im Mundwinkel und anderswo. Belmondo ist für sich selbst existent, er hat Bogart hinter sich gelassen.« (Hahn/Jansen, Kultfilme). Während Bogart jedoch in seinen Rollen meist der Sieger bleibt, gehört Belmondo zu den Verlierern. Was der Filmemacher hier markiert, ist die Kluft zwischen Mythos und Alltagsrealität, zwischen Film und Leben. Godard kehrt überdies das psychologische Modell der Vorbilder um, indem der verfolgte Gangster nicht flieht, sondern sich von der Polizei erschießen läßt. Wenn am Ende des Films Belmondo angeschossen auf der Straße liegt und kurz vor seinem Tod noch Grimassen schneidet, sich - sterbend - dann sogar selbst die Augen zudrückt, mutiert die Parodie zur Entmythologisierung einer ganzen Filmtradition. »Jean Seberg spielt Michels Geliebte Patricia. Sie ist echte Amerikanerin, äußerlich ein eigentümliches Gewächs, so sauber, kurzbehaart, ganz der amerikanischen Provinz entsprungen, ein neuer Typus im Film! Sexuell ist sie eine Hure, bei einem Journalisten erhofft sie sich beruflichen Einstieg. Gefühlsmäßig ist sie eine Jungfrau. Irgend etwas fehlt an ihr: ein Gewissen, eine Seele? ›Die Weiber sind feige‹, sagt Belmondo wiederholt zu ihr. Er hofft auf den ihn rettenden Gegenbeweis. Dann will er mit ihr fliehen. Er hofft vergebens. Sie bleibt merkwürdig farblos, zurückhaltend bürgerlich. Herzliches Lachen reicht eben nicht. Ihre Herzlosigkeit liegt in ihrer Gleichgültigkeit begründet, mit der sie ihren Freund der Polizei preisgibt. Ein Verrat ohne Motiv!?« (Hahn/Jansen, Kultfilme).
Daß der Film dennoch ein Kultfilm wurde, lag schon an den Voraussetzungen Godards. Er wollte alles in einem Film unterbringen. So bekam der Film zwar die Spannung und Dichte des Gangsterfilms, dahinter aber die Kompliziertheit des Elite-Kinos mit allen avantgardistischen Zeichen. À bout de souffle - ein Titel, der alles erklärt, der den Inhalt des Films, sein Thema interpretiert, sein Ende vorwegnimmt: Außer Atem - gehetzt - atemlos - ohne Atem - tot! Wo der klassische Filmgangster bis zuletzt alles daransetzt, zu überleben, verliert Michel diesen (Über-)Lebenswillen rapide. Patricia zitiert einmal William Faulkner: »Between grief and nothing, I will take grief.« Die Wahl zwischen dem Elend und dem Nichts aber ist für Michel keine Wahl mehr. Das Elend wäre ein Kompromiß. Wenig später sagt er: »Ich bin müde, ich werde sterben. « Er ist nicht mehr fähig, Kompromisse einzugehen. Alles oder nichts. Alles ist für ihn die Liebe Patricias. Als sie ihm erklärt, sie habe ihn verraten, um sich zu beweisen, daß sie ihn nicht liebe, ist sein Schicksal besiegelt. Er könnte fliehen, doch er will nicht mehr. Eine Polizeikugel trifft ihn in den Rücken. Wenn es mit der Liebe nicht funktioniert, muß der Tod herhalten. Er beharrt auf dem Wenigen, das wichtig ist: Patricias winziges Hotelzimmer mit dem großen Bett, ihr mädchenhafter und Michels durchtrainierter Körper, ihr langes Geplänkel aus Worten, Blicken und Gesten, bevor sie endlich unter der Bettdecke verschwinden. Die lauten Pariser Straßen und Kneipen mit ihren Geräuschen, Stimmen, das Gehen, das Autofahren, das Tragen von Kleidern. Die nächtlichen, schnellen Geschäfte in den Kneipen, das Spiel mit den Gegnern. Unterwegssein, Bleibenwollen. die lauernde Gefahr im Hintergrund. Der Film zeigt das lockere Netz der Subkultur, die ganz selbstverständlich in die Unterwelt reicht. Das Abenteuer eines Lebens ohne Vorschriften und den gewaltsamen Tod als Konsequenz. Die Konfusion freier Gefühle, die sich erst eine Außenwelt schaffen müssen. Die Mechanik des Polizeiapparates. À Bout de Souffle ist ein Schwarzweißfilm, der den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag macht. Der Film wirkt heute wie ein altes Foto, das den Moment realer Zeit ersetzt. Er schließt die Lücken der Erinnerung an die Zeit vor der Revolte: die Zeit der dumpfen Gärungen. Ziele gibt es in der Welt von 1959 nicht mehr, man wird sie erst 1968 wiederentdecken. Der Weg ist bereits das Ziel, deshalb muß man sich das Unterwegs so abwechslungsreich wie möglich machen. Das sei eine zynische Abwertung aller Werte, wurde dem Regisseur damals vorgeworfen. Dabei hatte der ehemalige Filmkritiker in seinem Debüt nichts anderes getan, als eine uralte chinesische Weisheit auf eine heraufdämmernde Konsumgesellschaft zu projizieren, in der jeder nimmt, was er kriegt. Längst waren die Moralbegriffe der Bourgeoisie brüchig geworden. Außerdem plagte Frankreich ein nationales Trauma, wie es später die Amerikaner durch Vietnam erlebten. Auf die Frage, was er bisher mit seinem Leben angefangen habe, antwortet Godards Held Michel: »Ich habe in Algerien Rebellen abgeknallt.« Liebe im überkommenen Sinn ist unmöglich geworden, Glück ist allenfalls flüchtig erfahrbar. Vor dieser Einsicht resigniert Michel am Ende: »Leiden ist ein Kompromiß. Ich will alles oder nichts.«
»Außer Atem zählt zu jenen Werken, um die sich Legenden ranken, deren Entstehung einem beim Wieder-Sehen nicht recht einleuchten will. In die Filmgeschichte eingegangen ist er denn auch allenfalls als ›technischer‹ Klassiker, der bei einem jugendlichen Publikum gerade noch auf akademisches Interesse stoßen wird. Obwohl die Legende 1983 auf vergnügliche Weise wiederbelebt wurde: In diesem Jahr entstand unter der Regie von Jim McBride ein Hollywood-Remake von Außer Atem. Der Film reduzierte die ohnehin schon dürftige Geschichte noch einmal: Übrig blieb ein kurzweiliger Action-Film unter dem Titel Atemlos, in dem Richard Gere und Valerie Kaprisky die Rollen von Belmondo und der Seberg übernahmen und der als Schauplatz Los Angeles vorführte. Späte Rache der Traumfabrik?« (Uwe Künzel in: 111 Meisterwerke des Films).
Internationale Filmfestspiele Berlin, Deutschland
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Jahr | Kategorie/Preisträger | ||
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1960
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Beste Regie (Silberner Bär) - Jean-Luc Godard
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British Academy Awards, UK
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Jahr | Kategorie/Preisträger | ||
1962
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Beste ausländische Hauptdarstellerin - Jean Seberg
(Nominierung)
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Pamela Falkenburg in: Wide Angle, 3/1985; Rainer Gansera in: epd Film, 8/1989
Engelhard, Günter/Schäfer, Horst/Schorbert, Walter: 111 Meisterwerke des Films (Fischer Cinema), Frankfurt a.M.1989
Engelmeier, Peter W.: 100 Jahre Kino - Die großen Filme, Augsburg 1994
Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998
Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986
Heinzlmeier, Adolf/Menningen, Jürgen/Schulz, Berndt: Kultfilme, Hamburg 1983
Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989
Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Godard (Hanser Reihe Film Bd.19), München/Wien 1976ff
Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994
Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995
Korte, Helmut/Zahlten, Johannes (Hrsg.): Kunst und Künstler in Film, Hameln 1990
Müller, Jürgen: Filme der 50er, Köln 2005
Peary, Danny: Cult Movies 2, New York 1983
Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995