Uhrwerk Orange




Technisches
Land
 
Gb
Jahr
 
1971
Länge
 
137 min. (3735 m)
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono/Dolby Digital
Format
 
35 mm (1.33/1.66:1)
Science Fiction


Regie   Stanley Kubrick
Drehbuch   Stanley Kubrick
Literaturvorlage   Anthony Burgess
Kamera   John Alcott
Spezialeffekte   Roy Scammel
Schnitt   Bill Butler
Musik   Walter Carlos
Ton   John Jordan, Bill Rowe (Mischung), Eddie
    Haben (Mischung), Brian Blamey (Schnitt)
Prod.-Design   John Barry
Bauten   Bill Welch
Ausstattung   Russell Hagg, Peter Shields
Kostüme   Ron Beck, Milena Canonero
Maske   Freddie Williamson, George Partleton,
    Barbara Daly, Olga Angelinetta (Frisuren)
Stunts   Roy Scammel
Produktion   Stanley Kubrick für Polaris-Hawk Films Ltd./
    Warner Brothers
Verleih   Warner-Columbia


Kinostart
USA
  20.12.1971
D
  23.03.1972
       
Videostart
D
  21.04.1988
       
DVD
USA
  13.11.2000 (Warner)
D
  23.08.2001 (Warner)
D
  26.09.2002 (Warner, Collector's Box)
D
  12.11.2005 (SZ-Cinemathek Nr. 37)


 
D
  980454 Zuschauer


Malcolm McDowell   (Alex)
Patrick Magee   (Mr.Alexander)
Michael Bates   (Oberwächter)
Warren Clarke   (Dim)
John Clive   (Schauspieler)
Adrienne Corri   (Mrs. Alexander)
Carl Duering   (Dr. Brodsky)
Paul Farrell   (Tramp)
Clive Francis   (Untermieter)
Michael Gover   (Gefängnisdirektor)
Miriam Karlin   (Cat Lady)
James Marcus   (Georgie)
Aubrey Morris   (Deltoid)
Godfrey Quigley   (Gefängniskaplan)
Sheila Rayner   (Mutter)
Madge Ryan   (Dr. Branom)
John Savident   (Dolin)
Anthony Sharp   (Innenminister)
Philip Stone   (Vater)
Pauline Taylor   (Psychiaterin)
Margaret Tyzack   (Rubinstein)
Michael Tarn   (Pete)
John Carney   (Mann vom CID)
David Prowse   (Julian)
Carol Drinkwater   (Schwester Feeley)
Richard Connaught   (Billyboy)
Gillian Hills   (Sonietta)
Craig Hunter   (Dr. Friendly)
Barbara Scott   (Marty)


Der Halbstarke Alex lebt mit einer Gruppe von Kumpanen in einem futuristisch geprägten London der Zukunft. Wenn er sich in der Korova-Milchbar tüchtig einen reingetan hat und schön aggressiv geworden ist, läßt er schon mal gewaltig die Sau raus und die Umwelt spüren, was er und seine Kumpane Georgie, Pete und Dim so draufhaben: Sie schlagen einen alten Penner zusammen, lehren einer rivalisierenden Gang, die sich mit Nazi-Symbolen schmückt, das Fürchten, terrorisieren den Schriftsteller Alexander in seinem Landhaus, vergewaltigen nacheinander dessen Gattin und erschlagen eine Bildhauerin mit einem gigantischen Plastikpenis. Bald zeigt sich, daß man sich im Vereinigten Königreich der Zukunft doch nicht alles erlauben kann: Alex wird von der Polizei aufgespürt und eingesperrt. Man brummt ihn wegen seiner Schandtaten erst einmal 14 Jahre auf. Als ein gewiefter Innenminister für Burschen seines Schlages ein sogenanntes Rehabilitierungsprogramm einführt, an dessen Ende die Freiheit winkt, meldet sich Alex freiwillig als Versuchskaninchen und wird einer Behandlung unterzogen, die sein Innerstes nach außen krempelt und ihn völlig auf den Kopf stellt. Alex wird einer Gehirnwäsche unterzogen. Gefesselt und ohne in der Lage zu sein, die Augen zu schließen, muß er sich ohne Unterbrechung Filme ansehen, die ihn mit einem Überangebot an Sex und Sadismus konfrontieren. Man treibt ihm damit nicht nur seinen Sexualtrieb und seine Aggressionen aus, sondern auch seine Liebe zur Musik Beethovens, die er von nun an nicht mehr hören kann, ohne seelische Schmerzen zu verspüren. Als Alex wieder in die Freiheit entlassen wird, ist er ein anderer Mensch; er verhält sich wie eine weiche Orange, die von einem Uhrwerk angetrieben wird. Seine Eltern, die froh waren, ihn aus dem Haus zu haben, wollen ihn nicht wieder aufnehmen. An seinem alten Wirkungskreis hat sich auch allerhand verändert: Seine alten Kumpane haben die Fronten gewechselt und prügeln nun als Polizisten im Auftrag der Regierung. Als sie Alex eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat, sucht er Unterschlupf im Haus von Mr.Alexander, der sich für die Untaten der Bande nun an Alex rächt: Als er entdeckt, daß er Alex mit der Musik Beethovens in den Wahnsinn treiben kann, sperrt er ihn ein und spielt ihm pausenlos die »Neunte« vor. Alex, der das nicht ertragen kann, stürzt sich aus dem Fenster. Dennoch kann er am Ende lachen: Der Herr Innenminister, durch sein Reformprogramm inzwischen in höchste Bedrängnis gebracht, sorgt dafür, daß die Behandlung wieder rückgängig gemacht wird. Alex ist wieder der Alte.

 


Eigentlich wollte Regisseur Stanley Kubrick nach 2001 - Odyssee im Weltraum ein monumentales Epos über Napoleon drehen, doch kein Studio war zu diesem Zeitpunkt bereit, das ökonomische Risiko einer solchen Großproduktion zu übernehmen. Daraufhin suchte Kubrick nach einem geeigneten Stoff für einen kleinen Film und verfiel schließlich auf Anthony Burgess' Roman A Clockwork Orange: »Der erzählerische Erfindungsreichtum des Buches war magisch. Die Charaktere waren bizarr und aufregend, die Ideen brillant, und die Story hatte - was ebenso wichtig war - die richtige Länge und Dichte, um für einen Film adaptiert zu werden, ohne sie vereinfachen oder bis aufs nackte Gerüst reduzieren zu müssen.« Die Veränderungen, die Kubrick in seinem Drehbuch gegenüber dem Roman vornahm, sind daher auch minimal.

Was für die Filmkritik ein »entbehrlicher Alptraum« und für Ulrich Gregor in seiner Geschichte des Films ab 1960 ein »prätentiöses soziologisches Traktat, angereichert mit unnötigen Grausamkeiten und Monstrositäten« war, war für den Filmdienst eine »teils großartig inszenierte, gedanklich verspielte Satire auf die drohende Totalvergewaltigung und widersprüchliche Freiheits-, Kunst- und Konsumbesessenheit unserer Tage.«

Nichts von alledem hat dem Regisseur jedoch intentionsmäßig ferner gelegen: »A Clockwork Orange war ein Versuch, eine sehr christliche Aussage über die Wichtigkeit des freien Willens zu treffen. Wenn wir den Menschen lieben sollen, werden wir auch Alex lieben müssen, obwohl er kein repräsentatives Mitglied der menschlichen Rasse ist. Wenn jemand den Film als Bibel der Gewalt interpretiert, ist er auf dem Holzweg. Das ultimate Böse ist möglicherweise die Entmenschlichung, das Abtöten der Seele. Was meine und Kubricks Parabel sagen will, ist, daß man es bevorzugen soll, eine Welt der Gewalt bei vollem Bewußtsein zu haben - Gewalt als Willensakt - statt einer Welt, die darauf abgerichtet ist, gut oder harmlos zu sein.« (Anthony Burgess). Kubrick: »Es ist besser für das Individuum, seinen freien Willen zu behalten, selbst wenn sich dieser ausschließlich als der freie Wille zum Sündigen darstellt, statt ein Musterbeispiel mechanischer Tugend zu werden... Zentralthema des Films ist der freie Wille. Sind wir noch Menschen, wenn wir nicht mehr zwischen Gut und Böse wählen können? Werden wir dann ein Uhrwerk? Die Frage gehört nicht mehr ins Reich der SF, seit vor kurzem Versuche über die Konditionierung und psychologische Kontrolle von Freiwilligen in US-Gefängnissen vorgenommen wurden.« (zitiert nach Michael Ciment, Kubrick).

Dennoch: Uhrwerk Orange bekam von den Kritikern mehr Schelte als Lob. »Daß sich seine Macher mit Uhrwerk Orange etwas gedacht haben steht außer Frage. In der einschlägigen Literatur finden sich brillante Diskurse, wie Kubrick das Sujet herausarbeitet, vor Scharfsinn nur so strotzende Formanalysen, die faszinierende Einblicke in das ungeheuer ausgetüftelte Gespinst des Films gewähren. Am eigentlichen Rezipienten freilich geht derlei Scharfsinn (wie so oft) hundertprozentig vorbei. Der interessiert sich im Grunde nämlich überhaupt nicht dafür, wie präzise die Leitfarbe Grün den Wandel in Alex' Psyche symbolisiert, oder was genau es zu bedeuten hat, wenn Mr. Alexander einmal auf einer roten und das andere mal auf einer blauen IBM-Schreibmaschine herumtippt. Man merkt nur zu bald, daß den meisten auch die ganze Problematik der geistigen Konditionierung herzlich gleichgültig ist. Im Gedächtnis haften geblieben ist nämlich vor allem die erste Hälfte des Films. So entlarvt sich Uhrwerk Orange dann doch als überaus raffiniert geschriebene Bibel der sinnlosen, ultrabrutalen Gewalt.« (Hahn/Jansen, Kultfilme).

SF-Times: »Es ist nicht einfach, kritische Distanz zu einem solchen Film zu gewinnen, ihn zu durchschauen. Kubrick selbst bezeichnet ihn als einen satirischen, pikanten, sardonischen, ironischen, politischen, gefährlichen, komischen, erschreckenden, brutalen, metaphorischen und musikalischen Film. Das stimmt alles. Wesentlich aber scheint dabei zu sein, daß er politisch und gefährlich ist. Er hat zwar kritische Momente, aber die inhaltliche Tendenz ist insgesamt bedenklich. Gewalt und Herrschaft werden mystifiziert, in metaphorische, dämonisch wirkende Bilder gebracht. Die gesellschaftlichen Ursachen dieser Gewalt werden kaum angedeutet. Die Gewalt ist ästhetisiert und eingetaucht in die fiebrige Atmosphäre einer Pop-Horror-Zukunft von Sex-und Gewaltfaschismus, alles zusammen eingelullt in Beethoven und seine 9.Symphonie. Politik scheint nur eine gladiatorenhafte Auseinandersetzung von wenigen Leuten zu sein. Für die Regierung steht ein väterlich lächelnder, schleimiger Innenminister, der sehr viel von Bekämpfung der Kriminalität, Law und Order redet... Für die Opposition steht der Schriftsteller, der als rachsüchtiger, verdrehter, daumenlutschender Intellektueller diffamiert wird. Alle scheinen sich gegen Alex verschworen zu haben. Es ist dies Ausdruck liberaler Verschwörungsangst, einer irrationalen, gesellschaftlichen Entwicklung nicht unterscheidender Angst, für die sogar Faschismus und Revolution gleichbedeutend sind - die Angst des ohnmächtigen Kleinbürgers, der in beidem nur eine Bedrohung der Illusion eigener bürgerlicher Freiheit sieht... Laßt uns töten, Kameraden, be-vor eine zukünftige Gesellschaft uns gut und harmlos macht: Das ist die Botschaft dieses Films.«

Kubrick übernahm aus der literarischen Vorlage die »Nadsat«-Sprache, in die Burgess Cockney, Babysprache und vor allem Begriffe aus dem Russischen einfließen ließ. Mit diesem hybriden Slang grenzen sich die Jugendlichen gegenüber den Erwachsenen ab, zugleich dient er ihnen zur Versicherung der eigenen Identität. Dabei versuchte Kubrick, diesen eigenartigen Jugendjargon zu visualisieren: Trickaufnahmen, Zeitlupe, Zeitraffer, die Verwendung des Weitwinkelobjektivs und der Handkamera schaffen eine subjektiv verzerrte Perspektive, die Distanz wie Identifikation gleichermaßen ermöglicht.

»Wie das Buch in einer merkwürdigen Zwischenzeit, einer nahen Zukunft, die beinahe schon wieder Vergangenheit war, spielt, wirkt auch der futuristische Look des Films auf eine ausgesprochen verstörende Art authentisch. Uhrwerk Orange ist in gleichem Maße Science-fiction wie historisches Dokument. Die Swinging Sixties sind nur noch Erinnerung. Flower Power, Carnaby Street und Mary Quandt sind passé, statt dessen beherrschen Sozialsilos, Haß und Springerstiefel die Szenerie, nur vier Jahre, bevor Malcolm McLaren die Sex Pistols erfinden wird. Es sind lediglich kleine Verschiebungen , Modifikationen, Irritationen, die das England der frühen Seventies mit seinen plastique-Boutiquen, psychedelischen Clubs und durchgestylten Recordshops in eine Zukunftsvision verwandeln. Was ist konstruiert, was lediglich stilisiert? Was Dekor, was zeitgenössische Pop-art? Die Differenz läßt sich manchmal nur in Nuancen, manchmal gar nicht ausmachen. Wahre Kitsch-Exzesse treffen - manchmal in ein und derselben Szene - auf eine unterkühlte klassische Modernität, wenn zum Beispiel in Alex' Zimmer vier Nippesfiguren des tanzenden Jesus neben der minimalistischen Stereoanlage von Braun stehen. All dies forciert eine Zeitlosigkeit, die schon im Roman angelegt ist. Zwar sind die Frisuren von Alex und seinen Droogs ebenso eindeutig den frühen Siebzigern entsprungen wie die Miniröcke und grellen Nylon-Perücken, und auch die ausgestellten Kunstwerke wie die Penis-Skulptur verweisen auf ihren zeitlichen Ursprung. Genauso wie die unbekümmerte Haltung zu Sex, Lust und Promiskuität so wohl nur in den Siebzigern, nach der Pille und vor Aids, möglich war. Dennoch ist der Film nicht in der Weise gealtert wie so viele andere. Die konsequente Stilisierung der Settings, die dennoch einen gewissen Realismus suggerieren, die filmische Perfektion der zu klassischer Musik geschnittenen Gewaltballette und schließlich die radikale Enthaltung jeglichen moralischen Standpunkts schenken dem Film eine faszinierende Zeitlosigkeit.« (Andreas Kilb/Rainer Rother (Hrsg.), Stanley Kubrick).

Uhrwerk Orange wurde im Jahre 1971 von den New Yorker Filmkritikern zum besten Film des Jahres gewählt und erhielt vier Oscar-Nominierungen. Die deutsche Synchronisation dirigierte Wolfgang Staudte.



Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1972
Oscar
Beste Regie - Stanley Kubrick (Nominierung)
Bester Schnitt - William Butler (Nominierung)
Bester Film - Stanley Kubrick (Nominierung)
Bestes adaptiertes Drehbuch - Stanley Kubrick (Nominierung)
 
British Academy Awards, UK
Jahr   Kategorie/Preisträger
1973
British Academy Award
Beste Ausstattung - John Barry (Nominierung)
Beste Kamera - John Alcott (Nominierung)
Beste Regie - Stanley Kubrick (Nominierung)
Bester Film (Nominierung)
Bester Schnitt - William Butler (Nominierung)
Bestes Drehbuch - Stanley Kubrick (Nominierung)
Bester Ton - Brian Blamey, John Jordan, Bill Rowe (Nominierung)
 
Golden Globes, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1972
Golden Globe
Beste Regie - Stanley Kubrick (Nominierung)
Bestes Drama (Nominierung)
Bester Hauptdarsteller (Drama) - Malcolm McDowell (Nominierung)
 


 
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Reinhard Baumgart in: SZ, 24.6.1972; Robert Boyers in: Film Heritage, 4/1971-72; Neil D. Isaacs in. Literature/Film Quarterly, 2/1973; Brigitte Jeremias in: FAZ, 9.3.1972; Robert Philip Kolker in: Journal of Popular Film, 3/1972; Vivian C. Sobchack in: Literature/Film Quarterly, 2/1981

Cinema Nr.110 (7/1987), S.112; Nr.111 (8/1987), Plakatkarte

Albersmeier, Franz-Josef/Roloff, Volker (Hrsg.): Literaturverfilmungen, Frankfurt a.M. 1989

Ciment, Michael: Kubrick, München 1982

Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hrsg.): Fischer Filmgeschichte Bd.4 1961-1976 (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1992

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Science-Fiction-Films, München 1997

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Kubrik (Hanser Reihe-Film Bd.18), München/Wien 1984

Kilb, Andreas/Rother, Rainer (Hrsg.): Stanley Kubrick, Berlin 1999

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmgenres - Science Fiction, Stuttgart 2003

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Kirchmann, Kay: Stanley Kubrick. Das Schweigen der Bilder, Marburg 1993

Müller, Jürgen: Filme der 70er, Köln 2003

Peary, Danny: Cult Movies 2, New York 1983

Schnell, Ralf (Hrsg.). Gewalt im Film, Bielefeld 1987

Seeßlen, Georg/Jung, Fernand: Stanley Kubrick und seine Filme, Marburg 1999

Stresau, Norbert/Wimmer, Heinrich(Hrsg.): Enzyklopädie des phantastischen Films, Meitingen 1986ff

Thissen, Rolf: Stanley Kubrick (Heyne Filmbibliothek), München 1999