Der Stadtneurotiker




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1977
Länge
 
94 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.37/1.85:1)
Liebesfilm
Komödie


Regie   Woody Allen
Drehbuch   Woody Allen, Marshall Brickman
Kamera   Gordon Willis
Schnitt   Ralph Rosenblum, Wendy Greene Brickmont
Musik   Carmen Lombardo, Isham Jones, Tim
    Weisberg, Tommy Dorsey
Ton   James Sabat, James Pilcher
Bauten   Robert Drumheller, Justin Scoppa jr.,
    Barbara Krieger
Ausstattung   Mel Bourne
Kostüme   Ruth Morley, George Newman, Marilyn
    Putnam, Ralph Lauren, Nancy McArdle
Maske   Fern Buchner, John Inzerella (Make-up),
    Romaine Greene, Vivienne Walker (Frisuren)
Produktion   Robert Greenhut, Charles H. Joffe, Jack
    Rollins für Rollins and Joffe/United Artists
Verleih   United Artists, Warner Home Video


Kinostart
USA
  20.04.1977
D
  09.06.1977
       
DVD
USA
  28.04.1998 (MGM Home Entertainment)
USA
  05.07.2000 (MGM Home Entertainment)
Gb
  10.07.2000 (MGM Home Entertainment)
D
  01.09.2003 (Woody Allen Collection, MGM)


 
USA
 
38300000 $


Woody Allen   (Alvy Singer)
Diane Keaton   (Annie Hall)
Tony Roberts   (Rob)
Carol Kane   (Allison)
Paul Simon   (Tony Lacy)
Shelley Duvall   (Pam)
Christopher Walken   (Duane Hall)
Janet Margolin   (Robin)
Colleen Dewhurst   (Annies Mutter)
Donald Symington   (Annies Vater)
Mordecai Lawne   (Alvys Vater)
Joan Newman   (Alvys Mutter)
Jonathan Munk   (Alvy mit 9 Jahren)
Ruth Volner   (Alvys Tante)
Martin Rosenblatt   (Alvys Onkel)
Hy Ansel   (Joey Nichols)
Rashel Novikoff   (Tante Tessie)


Eingangs vertraut Alvy Singer den Zuschauern im Plauderton und »ganz privat« seine Probleme an: Er hat kein Glück bei Frauen; gerade jetzt ist ihm wieder eine davongelaufen. Der verunsicherte Alvy zieht Bilanz und überdenkt sein Leben: Sein Vater hatte eine Bude auf dem Rummelplatz und eine Wohnung neben der Achterbahn. Die Schulzeit war arm an Erfolgserlebnissen. Dennoch hat Alvy es zu etwas gebracht; er ist ein erfolgreicher Komiker. Im Privatleben und vor allem in der Liebe hat er weniger Glück gehabt. Es gab Enttäuschungen, und es gab dann die Begegnung mit Annie Hall. Man verliebte sich, zog zusammen und stellte ernüchtert fest, daß die beiderseitigen Auffassungen vom Sex nicht harmonisierten. Annie verließ Alvy, der sich mit der Reporterin Pam tröstete. Annie kommt für kurze Zeit zurück. Aber sie lernt bald den Popstar Tony Lacey kennen, der ihre Ambitionen als Sängerin fördert und dem sie nach Kalifornien folgt. Alvy versucht vergeblich, sie zurückzugewinnen. Seinen privaten Mißerfolg verarbeitet er zu seinem ersten Theaterstück.

 


»Ein Film der Autorenkommentare. Keine fein sortierte Bilder-Erzählung, sondern respektloses Kommentarkino. Mit diesem erzählerisch vielschichtigem Film erwies sich Woody Allen als der Pirandello des Kinos. Biographisches, Komisches und Fiktives hält Allen in der Schwebe. Ebenso die Zeiten und Epochen. Er wechselt die Jahrgänge und Altersklassen mit der souveränen Ironie eines Medienjongleurs. Er besucht als erwachsener Mann sich selbst als verstockten Schulbänkler und sein Geburtshaus unter einer Achterbahn in Conny Island und läßt seine Figur ohne Schminke das sein, was er selbst ist: ein jüdischer Intellektueller, der mit 42 Jahren Bilanz macht.

Allen erschlägt in Der Stadtneurotiker nicht mehr mit Witz die Wehmut. Und obwohl die Identität des modernen Stadtneurotikers, der mit den Medien aufwuchs, sehr verwickelt ist, stellt er sich nun seinem Leben, das einem Amoklauf durch Beziehungen, Sex, Psychoanalyse, Kreativität, Todesängste und die gesellschaftlichen Probleme der Mittelklasse gleicht. Dieser Mittelklasse, der unermüdlich attackiert, gehört Alvy Singer alias Woody Allen als geschäftiger Akteur selbst an, einer Intellektuellen-Schickeria, die vor ihrer eigenen Mittelmäßigkeit zu Tode erschrickt. Die Sex als kafkaesken Vorgang erlebt (wie die Reporterin es ausdrückt, mit der Singer schläft). Die die Psychoanalyse für die Vorstufe von Lourdes hält; die ihre seelischen Nöte als kompliziert ausgibt, aber jederzeit arrangierbar für einen gut getimten Auftritt. Der Stadtneurotiker ist selbst wie eine Psychoanalyse inszeniert: ein sich erinnernder Wortflut-Film, der die Bilder der Vergangenheit verbal abruft. Diane Keaton und Woody Allen sind ein Paar, das eigentlich nur das eine will: Liebe. Das ständig Angst vor dem Versagen hat und deshalb tatsächlich versagt. Das die Partner und die Psychiater tauscht. Das aus Sorge, voneinander abhängig zu werden, aneinander vorbeilebt. Das sich verläßt, weil es sich liebt.

Diane Keaton ist meist an den Höhepunkten dieses an Höhepunkten reichen Films beteiligt: ihr Auftritt, unbeachtet von den Gästen eines Nachtclubs, als sie singt, ihre Verlegenheitsrituale im Tennisclub, die Untertitel-Sprechblasensequenz auf dem Balkon, die Kinofoyer-Szene mit Marshal MacLuhan, die Parallelmontage (Split-Screen-Verfahren) von den Therapiesitzungen, die Hummernummer in der gemeinsamen Küche. Ebenso gelungen der gesamte Anfang des Films: die fast drei Minuten lange Einstellung, in der Alvy Singer von seinem Dilemma erzählt. ›Ich möchte keinem Klub angehören, der Leute wie mich als Mitglieder aufnimmt.‹- dieser alte Groucho-Marx-Witz klingt bei Woody Allen ganz neu, eben improvisiert, in ihm steckt das ganze Problem dieses Stadtneurotikers, der vor lauter Selbstzweifeln immer linkischer und verklemmter wird. Seit Der Stadtneurotiker ist Woody Allen ein Clown ohne Maske. Er scheute sich nicht, in einem Ausschnitt aus der Dick-Cavett-Show selbst und original aufzutreten. Die Kunstfigur früherer Komödien hatte zu sich selbst gefunden.(Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker). Allen schildert mit knapper Präzision Menschen, die ihre Unfähigkeit, wirklich zu leben, mit Bonmots überspielen, die ihre Unsicherheit und Traurigkeit hinter leeren Phrasen und Witzen verbergen. Vor diesem Hintergrund spielt sich Alvys Tragödie ab, die eines verwundbaren Menschen, eines ewigen Verlierers, der sich zu seinen Niederlagen nicht bekennen mag und der darum auch nicht aus ihnen lernen kann. Alvy gelingt es nicht, die Realität und seine Phantasie in Einklang zu bringen, und genausowenig, seinen In-tellekt und seine Gefühle auszubalancieren. Am Ende glaubt er, im Leben eine ebensolche Rolle spielen zu müssen wie auf der Bühne, und ist höchst überrascht und beunruhigt, daß die Wirklichkeit nicht nach den Regeln der klassischen Dramaturgie abläuft.



Academy Awards, USA
Jahr
  Kategorie/Preisträger
1978
Oscar
Beste Hauptdarstellerin - Diane Keaton
Beste Regie - Woody Allen
Bester Film - Charles H. Joffe
Bestes Originaldrehbuch - Woody Allen, Marshall Brickman
Bester Hauptdarsteller - Woody Allen (Nominierung)
 
British Academy Awards, UK
Jahr
  Kategorie/Preisträger
1978
British Academy Awards
Beste Hauptdarstellerin - Diane Keaton
Beste Regie - Woody Allen
Bester Schnitt - Ralph Rosenblum, Wendy Greene Brickmont
Bester Film
Bestes Originaldrehbuch - Woody Allen, Marshall Brickman
Bester Hauptdarsteller - Woody Allen (Nominierung)
 
César, Frankreich
Jahr   Kategorie/Preisträger
1978
Bester ausländischer Film - Woody Allen (Nominierung)
 
Golden Globes, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1978
Golden Globe
Bestes Hauptdarstellerin (Musical/Komödie) - Diane Keaton
Beste Regie - Woody Allen (Nominierung)
Beste Komödie/ Bestes Musical (Nominierung)
Bester Hauptdarsteller (Musical/Komödie) - Woody Allen (Nominierung)
Bestes Drehbuch - Woody Allen, Marshall Brickman (Nominierung)
 




Hellmuth Karasek in: Der Spiegel, 25/1977

Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hrsg.): Fischer Filmgeschichte Bd.5 1977 1995 (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1995

Gerhold, Hans: Woodys Welten (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1991

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema Buch), Hamburg 1989

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Müller, Jürgen: Filme der 70er, Köln 2003

Rauh, Reinhold: Woody Allen (Heyne Filmbibliothek), München 1991