Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1988
Länge
 
74 min. (1982 m)
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Dolby
Format
 
35 mm (1.85:1)
Drama
Komödie


Regie   Aki Kaurismäki
Drehbuch   Aki Kaurismäki
Kamera   Timo Salminen
Schnitt   Raija Talvio
Musik   Olavi Virta, Rauli Somerjoki, Melrose, Peter
    Tschaikowski
Ton   Jouko Lumme
Ausstattung   Risto Karhula
Kostüme   Tuula Hilkamo
Produktion   Aki Kaurismäki für Villealfa
Verleih   Pandora, 21st Century (Video)


Kinostart
USA
  21.10.1988
D
  16.02.1989, IFF Berlin (Kinostart: 31.08.1989)
       
Videostart
D
  15.09.1990
       
TV-Premiere
D
  20.03.1991, ARD
       


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Turo Pajala   (Taisto Kasurinen)
Susanna Haavisto   (Irmeli)
Matti Pellonpää   (Mikkonen)
Eatu Hilkamo   (Riku)
Erkki Pajala   (Bergarbeiter)


Im eiskalten Lappland wird ein Bergwerk geschlossen, ein Stollen gesprengt. Ein älterer, nun arbeitsloser Mann gibt in einem trostlosen Café seinem Sohn einen Autoschlüssel, geht in die Toilette und erschießt sich. Taisto fährt im ererbten, weißen Cadillac-Cabrio mit offenem Verdeck und den Ersparnissen durch die winterliche Schneelandschaft gen Süden: Letzte Ausfahrt Helsinki. Unterwegs beraubt, verdingt sich der Ex-Bergarbeiter im Hafen von Helsinki als Tagelöhner. Er lernt eine Politesse kennen, die ihm bei einem Gefängnisausbruch hilft. Bei einem Banküberfall verschafft er sich das Geld für einen Neuanfang. Im Kampf mit zwei Ganoven kommt sein Komplize ums Leben. Er erschießt die beiden kurzerhand. Mit der Geliebten, deren Sohn und der Beute schifft sich Taisto auf der »Ariel« ein, die sie in eine bessere Zukunft in Mexiko bringen soll.

 


Ariel ist das Mittelstück der »Proletarischen Trilogie.« Wie die anderen beiden Filme Schatten im Paradies (1986) und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (1990) ist Ariel eine sarkastisch-kritische Bestandsaufnahme des finnischen Wohlfahrtsstaates (oder seiner Illusion) und dessen Verfall. An Ariel fasziniert zunächst die Souveränität, mit der Kaurismäki die Filmgenres wechselt. Was mit dem Selbstmord als Sozialstudie begann, entwickelt sich über ein Road Movie zu einer Liebesgeschichte, entpuppt sich dann als schwarzer Krimi und endet als Melodram. Dann ist Kaurismäki vor allem ein Meister der Ellipse. Deshalb sind seine Filme relativ kurz, dafür aber um so dichter. Er schafft das, indem er die jeweilige Szene gleichsam nur anreißt, sich auf das Wesentliche konzentriert. Dabei reden seine Figuren nur das Nötigste. Ihnen genügen meist Blicke. Kaurismäki und seine Kameramann Timo Salminen bevorzugen kurze Einstellungen und knapp angesetzte Schwenks, die nie länger dauern als für den Fortgang des Geschehens unbedingt nötig. Die Bilder selbst werden aus wenigen Elementen aufgebaut. Die ästhetischen Entscheidungen des Regisseurs werden so kenntlich, verschwinden nicht hinter der Kontinuitätsillusion des gängigen Unterhaltungskinos. Ariel erinnert in Stimmung und Machart an Filme von Jarmusch, Sirk, Bresson und Fassbinder. Ungeachtet dieser Vorbilder entwickelt Kaurismäki bereits eine eigene Handschrift. Sein Stil läßt sich annäherungsweise als poetisch-realistischer Lakonismus beschreiben. Kaurismäkis Blick für das Milieu der sozialen Außenseiter ist unbestechlich scharf. Eine genial inszenierte, stumme Episode in einem Arbeitsamt mag als Beispiel ausreichen: Auf einer großen schwarzen Tafel hängt ein einziger kleiner Zettel mit einem Stellenangebot. Der arbeitslose Taisto geht hin, doch ein anderer Mann schnappt ihm den Zettel weg. Der aussichtslosen Tristesse der finnischen Hauptstadt und dem trüben Sonnenlicht des unwirtlichen Nordens zum Trotz bewahrt sich der Held seinen Widerstandsgeist und seinem trockenen Humor.

»Durchgängig ist der kontrastierende oder kommentierende (Stimmungs)-umschlag in Handlung, Szenenabfolge und Bildgestaltung: vom Realismus zur Parodie, von der Idylle zur heruntergekommenen Industrielandschaft. Pointiert verwendet Kaurismäki Gegenstände und Symbole der finnischen Wohlfahrtsgesellschaft; an ihrem Funktionsverlust sind die Veränderungen und Defizite des Lebens zu ermessen. Manches von dem, was vom deutschen Zuschauer als schräg oder grotesk empfunden wird, ist lediglich zugespitzte finnische Realität. Ähnliche Überlegungen bestimmen die Wahl der Schauplätze, aus denen das Leben allmählich verschwindet, sowie der Musik - vor allem alte Tanzmusik und populäre Musik aus den fünfziger und sechziger Jahren. Sie hat keinerlei nostalgische Funktion, sondern dient der ironischen Brechung, ist aber in Kaurismäkis Filmen auch immer ein Aufbewahrungsort utopischer Träume und Wünsche. Trotz aller komödiantischen Elemente ist in Ariel stets auch Trauer darüber spürbar, daß ein positives Leben unmöglich erscheint.« (Bodo Schönfelder in: Metzlers Filmlexikon).



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Peter Buchka in: SZ, 4.9.1989; Michael Esser in: Filmbulletin, 3/1989; Andreas Kilb in: Die Zeit, 1.9.1989; Jürgen Richer in: FAZ, 11.9.1989; Josef Schnelle in: film-dienst, 16/1989; Wolfram Schütte in: FR, 15.9.1989; Daland Segler in: epd-Film, 9/1989; Karsten Visarius in: Kölner Stadt-Anzeiger, 2.9.1989; o.A.: Der Spiegel, 4.9.1989

Cinema Nr.136 (9/1989), S.91

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995