Tanz der Vampire




Technisches
Land
 
USAGb
Jahr
 
1966-67
Länge
 
107 min.
   

Originalfassung:

   
118 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm
   
(2.35:1, Panavision)
Horror
Komödie


Regie   Roman Polanski
Drehbuch   Gerard Brach, Roman Polanski
Kamera   Douglas Slocombe
Schnitt   Alastair McIntyre
Musik   Krysztof Komeda
Ton   George Stephenson, Lionel Selwyn (Schnitt)
Prod.-Design   Wilfrid Shingleton
Ausstattung   Fred Carter
Kostüme   Sophie Devine
Maske   Tom Smith (Make-up), Biddy Chrystal
    (Frisuren)
Produktion   Gene Gutowski für Cadre Films Ltd./Filmways
Verleih   UIP (Erstverleih: MGM), MGM/UA Home
    (Video)


Kinostart
Gb
  13.11.1967
D
  01.12.1967
       
TV-Premiere
D
  03.12.1973, ZDF
       
DVD
USA
  05.10.2004 (Warner Home Video)
D
  29.10.2004 (Warner Home Video)
D
  04.02.2006 (SZ-Cinemathek Nr. 49)


?



Jack McGowran   (Prof. Abronsius)
Roman Polanski   (Alfred)
Sharon Tate   (Sarah)
Alfie Bass   (Shagal)
Ferdy Mayne   (Graf Krolock)
Terry Downes   (Koukol)
Fiona Lewis   (Magda)
Iain Quarrier   (Herbert)
Jessie Robbins   (Rebecca)
Ronald Lacey   (Dorftrottel)
Sydney Bromley   (Kutscher)
Andre Malandrinos   (Holzfäller)
Otto Diamant   (Holzfäller)
Matthew Walters   (Holzfäller)


Durch allzu kühne Behauptungen in einem wissenschaftlichen Randgebiet, dem Vampirismus, hat der schrullige Professor Abronsius seinen Lehrstuhl an der Universität Königsberg verloren und reist, begleitet von seinem treuen Famulus Alfred, ins tief verschneite, frostklirrende Transsylvanien, um an Ort und Stelle die Existenz von Vampiren zu überprüfen. In der Herberge des jüdischen Gastwirts Shagal finden sie nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern auch Unmengen herumhängender Knoblauchgirlanden, ein untrügliches Zeichen der ständigen Bedrohung durch Vampire. Erst am nächsten Abend ergeben sich neue Erkenntnisse. Die hübsche Wirtstochter Sarah, die ausgiebig dem Laster heißer Schaumbäder frönt, fällt dabei einem Vampir zum Opfer. Der schüchterne Alfred, der sich auf den ersten Blick in Sarah verliebt hat, wird Zeuge ihres Malheurs. Shagal begibt sich sofort auf Verfolgungsjagd. Am nächsten Morgen wird er blutleer und offensichtlich tot vor der Herberge gefunden. Abronsius klärt auf: Shagal ist zum Vampir geworden. Trotz intensiven Trainings mit angespitztem Holzpflock, Hammer und Kissen können der Professor und Alfred den frischen Vampir bis zur Abenddämmerung nicht unschädlich machen. Shagal flieht, zeigt den Verfolgern aber den Weg zum Schloß des hiesigen Obervampirs Graf Krolock. Abronsius und Alfred dringen in das Schloß ein, werden vom häßlichen gräflichen Diener Koukol gestellt, der sie zu seinem Herrn bringt. Der Graf gibt sich als belesener Lebemann, als Experte auf dem Gebiet des Fledermauswesens, kann aber den unbedachten Äußerungen des zerstreuten Professors die wahren Absichten seiner Besucher entnehmen und ist gewarnt. Er weist ihnen ihre Zimmer zu, stellt ihnen seinen Sohn vor, einen offensichtlich homosexuellen Vampir, was bei Alfred zu Schweißausbrüchen führt. Am nächsten Tag - Graf und Grafensohn haben inzwischen in ihren Luxussärgen ihre tägliche Ruhe gefunden - versuchen die beiden Vampirjäger, mit entsprechendem Werkzeug bewaffnet, in die Krypta des Schlosses einzudringen, um die Vampire zu pfählen. Doch wie sie es auch immer anstellen, es gelingt nicht; einmal ist ihnen der bucklige Diener im Weg, anschließend bleibt der Professor in einem kleinen Fenster hängen. Alfred zeigt, auf sich selbst gestellt, zu wenig Mut, läßt sich dann von Sarah ablenken, die das Schloß auf keinen Fall vor dem großen Ball, der in der nächsten Nacht stattfinden soll, verlassen will. Endlich verliert Alfred, der seinen Meister aus seiner mißlichen Lage befreien will, das Anti-Vampir-Werkzeug. Schon ist der Abend nah. Mit dem Buch »Hundert Arten, einer hübschen Jungfer seine holde Liebe einzugestehen« aus dem Jahre 1732 bewaffnet, sucht Alfred seine angehimmelte Sarah, findet jedoch den Sohn des Grafen, der sich auf eindeutig zweideutige Weise an ihm zu schaffen machen will. In letzter Sekunde schiebt Alfred ihm o.a. Aufklärungsschrift zwischen die Zähne. Dieses Vorgehen löst eine wilde Verfolgungsjagd aus, der sich auch der Professor nicht entziehen kann. Am Ende finden sich die Vampirjäger auf einen Dachvorsprung gesperrt wieder und sehen mit an, wie die Schloßvampire in großer Zahl aus ihren Gräbern steigen und in prächtige Gewänder gehüllt dem Balltreiben entgegeneilen. Höhepunkt des Festes soll ein besonderer Leckerbissen werden: Sarah! Abronsius und Alfred können sich befreien und mischen sich unters Menuett-tanzende Vampirvolk. Sie suchen Sarahs Nähe, um mit ihr zu fliehen, werden durch den großen Spiegel des Ballsaals jedoch enttarnt, weil sie darin im Gegensatz zu den Vampiren als Spiegelbild zu sehen sind. Auf geht die wilde Jagd, doch es naht die Morgendämmerung, so daß die Flucht mit Sarah im Pferdeschlitten gelingt. Im sicheren Gefühl des Triumphes träumt der Professor vor sich hin. So hört er auch nicht die Hilferufe seines Famulus, der blind vor Liebe die mangelnde Körperwärme seiner Geliebten zu spät wahrgenommen hat: Sarahs Verwandlung zum Vampir ist vollendet, sie schlägt ihre Reißzähne in Alfreds Hals. Mit Hilfe des Professors kann sich das Böse über die ganze Welt ausbreiten.

 


»Kinograuen, schwere Musik, düstere Szenarien und alle anderen schauererregenden Versatzstücke des Horrorfilms erwartet man vergebens. Polanski ist offensichtlich gegen Vampirfilme herkömmlicher Art. Er beherrscht zwar die Klaviatur des Horrorgenres (und verlangt Grundkenntnisse des Vampirismus auch von seinen Zuschauern), spielt sie jedoch auf seine Weise. Er verjuxt und variiert Einzelheiten und verdreht das Genre in seiner Gesamtheit. Wer Spaß an Vampirfilmen hat und ihre Pervertierung zuläßt, dazu Sinn für Absurditäten hat, für den ist Tanz der Vampire geradezu ein Leckerbissen.« (Hahn/Jansen, Kultfilme).

Darüber hinaus hält der Film eine Reihe Interpretationsangeboten bereit, die sich auf den sozialpsychologischen Gehalt der Vampirlegenden beziehen. »Das reicht vom Wirt Shagal, der seiner Magd schon vor seiner Verwandlung nachstellt, und danach, gänzlich enthemmt, erst recht nicht von ihr abläßt, über Sarahs Badeleidenschaft, die sie dem verwirrten Alfred in zweideutigen Wendungen gesteht. Ein sexueller Akt ist auch Krolocks Überfall auf Sarah in der Badewanne: mitten auf dem weißen Schaum bleibt ein Blutfleck, Zeichen der Entjungferung und Hinweis darauf, daß der Graf sein feudales Recht der ersten Nacht wahrgenommen hat.« (Jansen/Schütte, Polanski). Neu in diesem Zusammenhang ist die Figur des homosexuellen Vampirs: erst durch ihn besteht eine unmittelbare Gefahr für die Vampirjäger, da Vampire in der Regel heterosexuell sind, oft nur in äußerster Gefahr auf ihre Geschlechtsgenossen losgehen, die weiblichen Mitglieder der Zunft in diesem Film erst gegen Ende des Films aus ihren Gräbern steigen. Eine zweite Ebene des Films berührt die historisch-politische Schicht der Vampirlegende. In der arrogant-elitären Haltung des Grafen wird die Aristokratie als feudale Blutsaugersippe gezeichnet: Shagal, dem ebenfalls zum Vampir gewordenen jüdischen Gastwirt, bleibt ein Schlafplatz in der hoheitlichen Gruft verwehrt, und er muß mit einem primitiven Holzsarg im Pferdestall vorlieb nehmen. »Das Schloß selbst zeichnet Polanski, abweichend von der Konvention des Genres, nicht als Ort düsteren Grauens, sondern als Zeugnis verblichenen Glanzes; es ist weit weniger bedrohlich als die bürgerlichen Behausungen. Die Ball-Szene schließlich schildert das höfische Zeremoniell einer dekadenten Adelsgesellschaft, in die Sarah als Debütantin aufgenommen werden soll.« (Jansen/Schütte, Polanski). Um beim Tanz im Ballsaal den Spiegeleffekt zu erzielen, ließ Polanski den Saal spiegelbildlich zueinander zweimal bauen. Der Spiegel selbst war nur eine umrahmte Öffnung. Im ersten Ballsaal tanzte die Vamirgesellschaft nebst ihren ungebetenen Gästen, im zweiten drehten sich die Doubles der Nicht-Vampire. »Entschieden parodistisch angelegt ist der dritte Themenkomplex, das Verhältnis von Rationalität und Phantastik. Stokers Dr. van Helsing hatte noch, nach faustischem Muster, rational-modernes und magisches Wissen in sich vereint. Polanskis Professor Abronsius hat von ihm allenfalls die Unerschrockenheit. Er ist ein so fanatischer Empiriker, daß ihm die gefährlich-dämonische Dimension schlicht entgeht. Schon seinem Aussehen nach, mit wirrem Haarschopf und buschigem Schnauzbart unter der meist wein- oder frostroten Nase, könnte er einem Comic entstammen; als eine Art schneebestäubter Albert Einstein. Doch entscheidend sind diese Bedeutungskomplexe nicht; sie bleiben in jenem Rahmen, in dem sich das Genre in naiver Direktheit schon immer bewegt hat. Entscheidend für den Film ist der Gebrauch, den Polanski von den tradierten Mustern macht. Indem er den verborgenen realistischen Gehalt des Stoffes mitinszeniert, entstehen, in Kontrast zur strikten Wahrung des formalen Inventars, jene komischen Effekte, die den Schrecken aufheben. Knoblauch schützt gegen den Biß der Vampire nicht aufgrund magischer Kräfte, sondern weil sein Geruch die erotischen Begierden dämpft; das Kreuz als Abwehrmittel versagt vor Shagal, weil er nicht christlichen Glaubens ist. Diese konkrete Logik in einer dem Logischen und Vernünftigen genuin entzogenen, fantastischen Welt sowie die formelhafte Typisierung der Figuren, der Mummenschanz der Kostüme und das ornamentale Dekor, schließlich die synthetische Farbigkeit rücken Tanz der Vampire in die Nähe eines Pop-Märchens. Wenn die Genretradition dem Film einen Kanon von Motiven und Themen vorgegeben hat, so macht ein Blick auf den Kontext von Polanskis Schaffen deutlich, daß er auch hier seinen zentralen Impulsen treu geblieben ist. Offenbar hat ihm gerade die Folie des Horrorfilms erlaubt, die bedrohlichen Triebkräfte, die sonst seine Filme verdüstern - Einsamkeit, Sexualität, Gewalt - im Register des Komischen zu variieren.« (Jansen/Schütte, Polanski).

Polanski drehte mit Tanz der Vampire die mit Sicherheit vergnüglichste und originellste Grusel-Komödie der Filmgeschichte - eine augenzwinkernde Farce, in der sich Slapstick und hintergründiger Humor in rhythmischer Regelmäßigkeit abwechseln und die plakative Effekte vermeidet. »Bei aller Parodie und allem Humor erzeugt der Film genuinen Schrecken und läßt den Zuschauer um den Helden bangen. Vor allem das überraschende Anti-Happy-End konterkariert den leichten Ton, ist es doch unerwartet bedrohlich, nicht zuletzt, weil es die Handlung in die Imagination des Zuschauers verlängert.« (Andreas Friedrich in in: Ursula Vossen (Hrsg.), Filmgenres: Horrorfilm). Das alles wird getragen von einem hervorragenden Schauspielerensemble, einer klug durchdachten (leicht grünstichigen) Farbdramaturgie, einer liebevollen und detailfreudigen Ausstattung sowie pittoresken Außendrehs, die in der Bergwelt der Dolomiten entstanden. Der Film spiegelt ironisch den Zeitgeist Ende der sechziger Jahre: Polanski nutzt die gesellschaftskritische Metaphorik (der Graf saugt den Bauern das Blut aus) und bietet mit dem überraschenden Schluß eine wissenschaftskritische Pointe. Professor Abronsius ist der typische Vertreter der deutschen Aufklärung, der stets das Gute will, aber dem Bösen zum Sieg verhilft. Tanz der Vampire hatte zunächst eine Originallänge von 118 Minuten, wurde dann aber für den europäischen Verleih um 10 Minuten gekürzt. Für den US-Markt wurde der Film von Produzent Marty Ransohoff sogar auf eine Länge von 91 Minuten zusammengeschnitten. Er ließ zusätzlich verschiedene Stimmen nachsynchronisieren, denen Polanski einen stark jiddischen oder deutschen Akzent gegeben hatte (ein Effekt, den auch die deutsche Synchronfassung unterschlägt), ersetzte den hervorragenden Soundtrack des polnischen Jazz-Komponisten Komeda durch eine andere Filmmusik und versah den verstümmelten Torso mit einem erläuterten Zeichentrickvorspann. Das Ergebnis bezeichnete Polanski als »völlige Entstellung« und war darüber so erbost, daß er zeitweise überlegte, gegen den Produzenten rechtliche Schritte in die Wege zu leiten. Die US-Version fiel prompt bei Kritik und Publikum durch, während es in Europa zu euphorischen Reaktionen kam. 1997 realisierte Polanski eine erfolgreiche Musical-Version seines Kultfilms.


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Cinema Nr.105 (2/1987), Plakatkarte

Engelmeier, Peter W.: 100 Jahre Kino - Die großen Filme, Augsburg 1994

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horror-Films, Berg.-Gladbach 1985

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989

Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Polanski (Hanser Reihe Film Bd.35), München/Wien 1986

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Manthey, Dirk (Hrsg.): Goldenes Kino (Cinema-Buch), Hamburg 1986

Müller, Jürgen: Filme der 60er, Köln 2004

Stresau, Norbert: Der Horror-Film (Heyne Filmbibliothek), München 1987

Stresau, Norbert/Wimmer, Heinrich(Hrsg.): Enzyklopädie des phantastischen Films, Meitingen 1986ff

Vossen, Ursula (Hrsg.): Filmgenres: Horrorfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Werner, Paul: Roman Polanski, Frankfurt a.M. 1981