Der Untertan




Technisches
Land
 
DDR
Jahr
 
1951
Länge
 
104 min. (2963 m)
   
BRD:
   
97 min. (2635 m)
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm
Komödie
Historienfilm
Kriegsfilm


Credits
Regie   Wolfgang Staudte
Drehbuch   Wolfgang Staudte, Fritz Staudte
Literaturvorlage   Heinrich Mann
Kamera   Robert Baberske
Schnitt   Johanna Rosinski
Musik   Horst Hans Sieber
Ton   Erich Schmidt
Bauten   Erich Zander, Karl Schneider
Kostüme   Walter Schulze-Mittendorf
Maske   Willy Roloff, Alois Strasser
Produktion   Willi Teichmann für DEFA
Verleih   Unidoc/Progress, Europa


Erstaufführung
Kinostart
DDR
31.08.1951
D
08.03.1957
       
TV-Premiere
DDR
  02.09.1954, DFF1
       
DVD
D
24.09.2002 (Icestorm Entertainment)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Werner Peters   (Diederich Heßling)
Paul Esser   (Regierungspräsident von
    Wulkow)
Blandine Ebinger   (seine Frau)
Erich Nadler   (Vater Heßling)
Gertrud Bergmann   (Mutter Heßling)
Carola Braunbock   (Emmi Heßling)
Emmy Burg   (Magda Heßling)
Renate Fischer   (Guste Daimchen)
Friedrich Maurer   (Fabrikant Göpel)
Friedel Nowack   (seine Frau)
Sabine Thalbach   (Agnes Göpel)
Hans-Georg Laubenthal   (Mahlmann)
Ernst Legal   (Pastor Zillich)
Eduard von Winterstein   (Buck, Senior)
Raimund Schelcher   (Dr. Wolfgang Buck)
Paul Mederow   (Dr. Heuteuffel)
Friedrich Richter   (Fabrikbesitzer Lauer)
Richard Landeck   (Warenhausbesitzer Neumann)
Fritz Staudte   (Amtsgerichtsrat Kühlemann)
Oskar Höcker   (Landgerichtsrat Fritzsche)
Wolfgang Kühne   (Dr. Mennicke)
Axel Triebel   (Major Kunze)
Wolfgang Heise   (Leutnant von Brietzen)
Arthur Schröder   (Landgerichtsdirektor)
Friedrich Gnass   (Napoleon Fischer)
Ernst Wehlau   (Sötbier)


Inhalt
Diederich Heßling, geboren in Netzig als Sohn eines Papierfabrikanten, wächst mit deutschnationalem Chauvinismus, Prügelstrafe und verklemmten Liebestrieben auf. Er lernt schon in frühester Jugend die Bedeutung der Autorität kennen und dient ihr freudig als folgsamer Schüler und heimlicher Denunziant. Später geht er nach Berlin, um Chemie zu studieren und vervollkommnet sich als Korpsstudent in Chauvinismus und reaktionärem Denken. Vor dem Militärdienst, den er im Prinzip begeistert bejaht, drückt er sich mit Hilfe seiner Plattfüße und seiner korporativen Verbindungen. Er läßt sich mit der Tochter eines verarmten Fabrikanten, Agnes Göpel, ein, lehnt es aber ab, besagte Dame zu ehelichen, da ein deutscher Mann nur ein unberührtes Weib zum Traualtar führen kann. Nach dem Tod seines Vaters übernimmt er die Leitung der Fabrik und wird zum Herold der Reaktion in seiner Heimatstadt Netzig. Gegenüber seinen Arbeitern verhält er sich als arroganter Herrenmensch; Widerspruch bestraft er mit Entlassung. Im Ratskeller provoziert er seinen Konkurrenten, den Fabrikanten Lauer, zu einer Äußerung über jüdisches Blut in deutschen Fürstenhäusern; Lauer muß wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht, Diederich soll gegen ihn aussagen. Diesmal scheint er zu weit gegangen zu sein; man schneidet ihn in der Stadt. Aber als Regierungspräsident von Wulkow sich demonstrativ auf seine Seite stellt und ihm auch Aufträge zuschanzt, ist er gerettet. Diederich wird Stadtverordneter, er heiratet die reiche Guste Daimchen und darf auf der Hochzeitsreise in Italien gar seinem Kaiser ins Auge sehen. Nach der Rückkehr sieht sich Heßling mit einem dummen Problem konfrontiert: ein Leutnant von Brietzen läßt seine Schwester Emmi sitzen. Heßling fordert Genugtuung, aber der Leutnant verhöhnt ihn nur. Irgendwie hat Heßling das Gefühl, daß das so ganz in Ordnung ist. In seiner Eigenschaft als Stadtverordneter setzt Heßling sich für den Bau eines Kaiserdenkmals in Netzig ein. Er soll auch die Festrede bei der Denkmalsenthüllung halten. Aber ein Wolkenbruch vertreibt die Festgäste; allein steht Diederich seinem bronzenen Kaiser gegenüber. Eine Schlußmontage zeigt: Das Denkmal bleibt stehen, während die Zeiten wechseln und Netzig in Trümmer sinkt.



Kritik
»Ein satirisches Spektakel. Der Held als Spiegel einer ganzen Epoche. Heinrich Manns gleichnamiger Roman ein Simplicissimus der bösen Worte, Wolfgang Staudtes Film ein Simplicissimus der bösen Bilder. Der Untertan läßt die wilhelminische Ära wiederaufleben. Mit präzisen Bildpointen beschreibt der Film sie als die Zeit einer häßlichen Gesellschaft voll hohler Rhetorik, falschen Idealen, dröhnendem Pomp, von Bierwänsten und mensurzerhackten Visagen. Und ihr Mittelpunkt ein überdimensionierter Untertan, der nach oben kriecht und nach unten tritt, den hohlen Kopf voller Bierdunst, nationaler Phrasen und Vermehrungsgelüste, die Hände an der Hosennaht. Um ihn herum das Untertanenkabinett der Großväter mit Stehkragen und Kaiser-Wilhelm-Bart, verkniffene Studienräte, enttäuschte Sozialdemokraten, drakonische Deutschnationale, prügelnde Lehrer, jämmerliche Beamte, dünkelhafte Offiziere, bigotte Damen und schwatzhafte Tanten, kernige Stabsärzte, Professoren, Korpsstudenten. Die Figuren verkörpern exemplarisch die entscheidenden Institutionen und auch die gesellschaftlich relevanten Schichten. Staudte schaffte es, die künstlerische Wirkung seines Films mit der propagandistischen zu versöhnen, Dialoge und Bilder miteinander harmonieren zu lassen, mit Formbewußtsein die politische Aussage zu untermauern. Für die Entstehungszeit des Films und für die DDR keine Selbstverständlichkeit. Die kontrastreiche Montage des Films überzeichnet bewußt Charaktere und Situationen, bringt sie damit auf den filmischen Punkt, Kamerastandorte und -ausschnitte betonen das heikle Verhältnis der Figuren zueinander, das sich als Machtverhältnis entpuppt.« (Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker). Der optische Zugriff des Films ist beeindruckend: »Dieser DEFA-Film kommt im rechten Augenblick; politisch und künstlerisch. Ein Gesicht, ja ein Nacken, ein Auge, ein Mund können eine ganze Menschengruppe, einen Stand, eine Klasse entlarven.« (Herbert Ihering, Berliner Zeitung).

»Neben den schauspielerischen Fähigkeiten - die Physiognomie des Hauptdarstellers Werner Peters kann als geradezu kanonisch für den deutschen Spießer gelten - sind es diese Kamerablicke, die den Film mit einer überragenden analytischen und ästhetischen Qualität ausstatten.« (Jürgen Müller, Filme der 50er). Die Kameraarbeit von Robert Baberske betont den satirischen Charakter. Schräg von oben herab fällt der Blick des Objektivs auf diese Ära der Untertanen. Oder die Kamera steht heroisch in Untersicht, wenn der wilhelminische Herrenmensch sich aufbläht. Es gibt im »Untertan« viele anthologiewürdige optische Einfälle, die an beste Stummfilmtraditionen: anknüpfen: Zeitraffungen durch expressive Montagen, besonders Diederich Heßlings Kurzbiographie am Anfang, wo schlaglichtartig allgemeingültig erhellt wird, wie man Untertanen durch entsprechende Erziehungseinflüsse in Kindheit und Jugend heranzüchtet; in der Kasernenhofszene die Spiegelung der Rekrutenschleiferei auf der blanken Trompete und die Großaufnahme des unartikuliert brüllenden Hauptmannsmundes, die Aufnahmen der wie Monstren wirkenden, mensurlädierten Korpsstudentenvisagen durch Bierseidel und wenn Diederich Heßling in Rom wie ein Hund neben der Staatskalesche seines Kaisers einherhechelt, erfaßt die Kamera charakterisierend von letzterem nur die Pickelhaube und darunter, klein, das unterwürfige Nichts, den Untertanen.

Staudte, der sich auf Murnaus Kammerspiel-Intensität ebenso wie auf caligaristischen Bild-Expressionismus und auf die Montagekunst der frühen Russen verstand, hielt Heinrich Manns Thema 1951 für aktuell, da »wieder wehrfreudige Biertischstrategen glauben machen wollen, daß die Ehre einer Nation auf dem Schlachtfeld mit Blut und Eisen gefestigt werden« könne. Der Drehort für Der Untertan lag daher nicht zufällig in der DDR, auf dem alten UFA-Gelände in Babelsberg, wo schon Staudtes erster deutscher Nachkriegsfilm Die Mörder sind unter uns (1946) und sein darauffolgender sozialkritischer Generationsfilm Rotation (1948) realisiert worden waren. Staudte drehte in dieser Zeit für die am 17.Mai 1946 entstandene DEFA. Daß er später wieder im Westen arbeitete, war keine Inkonsequenz. Er arbeitete dort, wo man ihn ließ. Wie sehr Wolfgang Staudte mit der Verfilmung der bissigen Satire ins Schwarze der Seele des deutschen Bürgers getroffen hatte und wie sehr er selbst zur Entstehungszeit des Films noch zu verletzen vermochte, bewies ein großer Teil westdeutscher Kritiker, die auf die Barrikaden stiegen und Gift und Galle spuckten. Die Mehrheit der vom antikommunistischen Wiederaufbau-Pathos ergriffenen Medien im Wirtschaftswunderland des kalten Krieges verunglimpfte Staudtes Arbeit, die beste deutsche Satire der Filmgeschichte, als üble DDR-Propaganda. So entblödete sich der Evangelische Filmbeobachter nicht, zu behaupten, »der Film wäre ein Kunstwerk, würde sich der Dialog zuchtvoll und ohne Übertreibungen in das Ganze einordnen...wegen seiner durchwegs nur zersetzenden und geschichtsfälschenden Tendenz ist er nur jenen Kinobesuchern zu empfehlen, die sich ihr eigenes Urteil bilden können.«

»Der Film enthält eine Reihe origineller Einstellungen, ein halbes Dutzend guter Simplicissimus-Witze und recht komische Offiziers-, Bürger- und Kleinstadt-Typen aus der Zeit vor dem Weltkriege. Fast 3000 Meter verwendet Staudte in dieser Absicht in ewigen Wiederholungen und Abwandlungen, um seinem Publikum klarzumachen, wie er den Deutschen in der Welt dargestellt sehen möchte. Es ist kaum zu glauben, aber leider wahr, daß ausgerechnet aus der deutschen Ostzone die Welt mit einem Film über das Thema Der Untertan beliefert wird. Fast könnte man vermuten, die Initiatoren dieses törichten Filmes seien von der Absicht ausgegangen, die Zustände der Vergangenheit in ihrer Jämmerlichkeit darzustellen, um die Gemeinheit ihrer eigenen Methoden zu verschleiern. Schließlich ist von den lächerlichen Offizierstypen jener Zeit wenigstens das eine noch zu sagen, daß sie zum Unterschied zu den GPU-Offizieren der DEFA-Area noch nicht wußten, was ein Genickschuß ist. ›Bravo‹, rufen da unsere klugen Filmjournalisten, und am Wilhelmsplatz in Berlin schlagen sich die neuen Herren vor Vergnügen über den gelungenen Coup auf die Schenkel und dekorieren den Regisseur Wolfgang Staudte zum Nationalpreisträger. Der Mann hat diese Auszeichnung im Geiste der Bolschewisierung der Welt in der Tat verdient.« (Filmpress, Nr.45, 1.12.1951).

Der 1951 fertiggestellte Film, einer der größten DEFA-Erfolge auch im Westen, wurde vom Interministeriellen Ausschuß, einer Art westdeutscher Staatszensur, verboten. Der Filmkaufmann Mehl, Geschäftsführer der Berliner Ideal Film GmbH ließ aber den Bonner Filmprüfern keine Ruhe. 1956, nachdem der Film bereits zum zweitenmal abgelehnt worden war, erwirkte er eine einmalige Aufführungserlaubnis (wie er das schaffte, blieb sein Geheimnis) für Westberlin und organisierte auch gleich eine Pressekonferenz. Das Wirtschaftsministerium fand schließlich heraus, daß jene Bonner Institution über eine gesetzliche Handhabe, den Film zu verbieten, gar nicht verfügte. Der Film mußte notgedrungen freigegeben werden und kam im März 1957 um zwölf Minuten gekürzt und mit einem distanzierenden Vorspann versehen in die westdeutschen Kinos. Dazu Staudte 1964: »Spießbürgerliche Bedachtsamkeit, nicht das eigene Nest zu beschmutzen, hat hier zu bewußter Verfälschung geführt. Auch Hitler war ein Einzelfall. Aber sein Ungeist hat Europa in Brand gesetzt. Und von der idiotischen Ideologie des Herrenmenschen bis zur überheblichen Phrase wilhelminischer Prägung vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen sollte, ist nur ein kurzer Weg zurück.«

In der DDR rückte ihn der kulturoffizielle Ostberliner Sonntag hart an die »Grenze zur Filmartistik, d.h. zur Form, die sich selbständig macht. Das Zuviel an Persiflierung vermindert die erzieherische Wirkung und birgt die Gefahr in sich, daß bei einem erheblichen Teil des Publikums die Gestalten und ihre Handlungen nicht als bittere und grausige Realität genommen werden, sondern als Klamauk, als etwas fast schon Surreales. Die negativen Gestalten des Films können in ihrer Überspielung dem Auge und Sinn des Beschauers leicht als eine Galerie von Wahnsinnigen erscheinen, statt, wie es notwendig ist, als gefährliche und auch heute noch aktuelle Repräsentanten imperialistischer Ideologie.« (Wolfgang Joho, Der Sonntag). Daß Der Untertan im »sozialistischen Realismus« Federn lassen mußte, lag an der Unterbetonung der kampfstarken Arbeiterklasse, ein Fauxpas. So bemängelte das SED-Zentralorgan Neues Deutschland: »Es gibt eine große Schwäche des Films, die auch die Schwäche des Romans ist. Die kämpfende Arbeiterklasse, die auch um die Jahrhundertwende bedeutende politische Erfolge errang, wird nicht gezeigt; sie wird im wesentlichen durch einen opportunistischen Stadtverordneten vertreten.« Doch Staudte, der das Drehbuch selbst schrieb, hatte das so von Heinrich Manns Vorlage originalgetreu übernommen. Daß der Film mit dem »kapitalistischen Realismus« Schwierigkeiten bekam, lag vor allem an seinem Ausblick. Mann hatte den Roman zwei Monate vor Beginn des ersten Weltkriegs beendet. Die Zeit war nicht stehengeblieben. Staudte wußte mehr. Das apokalyptische Schlußbild des unversehrten Denkmals weist auf Verbrechen, die dann später im Geiste des Untertanen noch begangen werden sollten. Die Musik zitiert »Die Wacht am Rhein«, das »Horst-Wessel-Lied« und die Fanfare der Wochenschau im Zweiten Weltkrieg, dann verschwindet das Denkmal in schwarzem Rauch. So ließ er die Stimmen Nazi-Deutschlands wie böse Geister die Bilder von den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg kommentieren und warnte vor den neuen, untertänigen Diederich Heßlings der Gegenwart.



Auszeichnungen

-



Bewertung


Literatur

Wilfried Verghahn in: Frankfurter Hefte Nr.9, 9.9.1952; Herbert Ihering in: Berliner Zeitung, 4.9.1951; Wolfgang Joho in: Der Sonntag, 9.9.1951; B.K. in: Christ und Welt, 28.3.1957; Hermann Müller in: Neues Deutschland, 2.9.1951; E.S. in: Deutsche Zeitung, 30.3.1957

Bandmann, Christa/Hembus, Joe: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930-1960, München 1980

Deiker, Barbara/Gast, Wolfgang: Film und Literatur Bd.2, Frankfurt a.M. 1993

Engelhard, Günter/Schäfer, Horst/Schorbert, Walter: 111 Meisterwerke des Films (Fischer Cinema), Frankfurt a.M.1989

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Müller, Jürgen: Filme der 50er, Köln 2005

Orbanz, Eva/ Prinzler, Hans Helmut: Staudte, Berlin 1991



Weblinks

IMDB