Leichen pflastern seinen Weg




Technisches
Land
 
IF
Jahr
 
1968
Länge
 
105 min.
Farbe
 
Color
Tonverfahren
 
Westrex
Format
 
35 mm (1.66:1)
Western


Credits
Regie   Sergio Corbucci
Drehbuch   Sergio Corbucci, Mario Amendola, Vittoriani Petrilli,
    Bruno Corbucci
Kamera   Silvano Ippoliti
Spezialeffekte   Eros Baciucchi
Schnitt   Amedeo Salfa
Musik   Ennio Morricone
Ton   Romano Pampaloni
Ausstattung   Riccardo Domenici, Enrico Simi
Kostüme   Enrico Job
Maske   Lamberto Marini (Make-up), Marcella De Marzi
    (Frisuren)
Stunts   Bruno Ukmar
Produktion   Sergio Corbucci für Adelphia Compagnia
    Cinematografica/Les Films Corona
Verleih   Filmwelt (Erstverleih: Centfox)


Erstaufführung

Kinostart
D   21.02.1969
       
 TV-Premiere
D
  25.03.1988, SAT1
       
DVD
USA
  04.09.2001 (Image Entertainment)
USA
  27.01.2004 (Fantoma Films)
D
  25.09.2001 (Kinowelt)


Einspielergebnisse
 
D
 
83666 Zuschauer (1969)


Darsteller
Jean Luis Trintignant   (Silenzio)
Frank Wolff   (Sheriff)
Klaus Kinski   (Loco, im Original Tigrero)
Vonetta McGee   (Pauline)
Luigi Pistilli   (Pollicut)


Inhalt
Utah 1898: Aus Armut zu vogelfreien Outlaws gewordene Bürger, auf die Kopfgelder ausgesetzt sind, müssen nach heftigen Schneefällen mildere Regionen aufsuchen. Sie werden dort schon erwartet von den Kopfgeldjägern, die oft schon für wenige Dollars töten. Der grausamste unter ihnen ist Loco. Die Freunde und Angehörigen der von Loco umgebrachten Geächteten engagieren einen Gunfighter, der den Kopfgeldjäger jagen und töten soll: Silenzio, so genannt, weil Räuber ihm als Kind die Stimmbänder durchgeschnitten haben. Unter denen, die sich auf Silenzio verlassen, ist Pauline, die Witwe einer der Männer, die Loco umgebracht hat. In Snow Hill lernt Silenzio den neuen Sheriff kennen, einen ordentlichen Mann, der an die Kraft des Gesetzes glaubt und sein Bestes tut, um für Ordnung zu sorgen. Silenzio erlegt einen Kopfgeldjäger nach dem anderen, wobei er seine Gegner immer provoziert, zuerst zu ziehen: er tötet nur in Notwehr. Er versucht auch wiederholt, Loco zu provozieren. Der Sheriff nutzt die erste Gelegenheit, als er Loco mit gezogener Waffe sieht, und sperrt ihn ein. Das ist nicht im Sinne des Bankiers und Friedensrichters von Snow Hill, Pollicut, der eher darauf aus ist, Silenzio umzulegen. Silenzio und Pauline lieben sich. Loco ermordet den Sheriff und führt dann die Konfrontation mit Silenzio herbei. Dieser stellt er sich mit seiner automatischen Waffe der Übermacht. Bei einer Auseinandersetzung mit Loco und dessen Bande wird Silence angeschossen. Pauline versteckt und pflegt Silence. Bei einem Überfall von Pollicut und dessen Helfer wird die rechte (Schuß)hand von Silence verbrannt. Zum Showdown schleppt er sich mit letzter Kraft in den Saloon, wo Loco und seine Männer auf ihn warten. Einer von Locos Bande zerschießt auch noch die linke Hand von Silence. Trotzdem versucht Silence, seinen Revolver auf Loco zu richten, der ihm kaltblütig den Todesschuß versetzt. Als ob der erbärmliche Tod des Helden nicht schon schlimm genug wäre, erschießt Loco auch Pauline und, zusammen mit seinen Männern, die wehrlosen Outlaws. Als Trophäe seines Sieges nimmt er dem toten Silence dessen Waffe ab. Schnee bedeckt die Leichen des Liebespaares. Im Abspann ist zu lesen, daß aufgrund dieser Vorfälle die Kopfgeldjäger öffentlich verurteilt wurden.

 


Kritik
Sergio Corbucci wird als der Onkel des Italo-Western bezeichnet, Sergio Leone als dessen Vater; im gleichen Jahr 1968 drehten sie die Hauptwerke des Western, Il grande Silenzio und C'era una volta il West. Wohl selten läßt ein Western den Zuschauer mit so unbändiger Wut zurück wie Sergio Corbuccis zweites Meisterwerk des Italowestern nach Django Das Böse hat auf der ganzen Linie gesiegt, ohne das Gesetz zu übertreten. Der Held, der durch seine - moralisch vertretbare - Selbstjustiz für die Gerechtigkeit eintritt, unterliegt den eiskalten, egoistischen Mördern, die das formale Recht für ihre Zwecke benutzen. Das Opfer des Helden Silence, der nicht mal eine faire Chance besaß, die Gegner zu besiegen, ist scheinbar sinnlos. Ein pessimistischeres Ende ist, auch für einen Italowestern, kaum denkbar.

Sergio Corbucci: »In erster Linie ist dieser Film im Zeichen dessen gemacht, was man heute als Idealismus oder als das unnötige Opfer eines Menschen bezeichnen kann, der wahrscheinlich in lebendigem Zustand nützlicher gewesen wäre. Silenzio, der Held des Films, läßt sich - man verzeihe mir den Vergleich - ein wenig wie Christus töten; ich will damit sagen, daß es sich in etwa um das totale Opfer handelt, das die Gewalttätigkeit verdammt. Das moralische Alibi könnte sein: das irrige und vom Menschen schlecht praktizierte Gesetz kann auch inhuman, grausam und erbarmungslos sein wie das Gesetz der Kopfjäger. Nota bene gibt es in dem Film keinen kriminellen Akt, der nicht vom Gesetz, zumindest von dem von den Menschen geschriebenen und angewandten Gesetz vorgesehen ist. Eine Tat außerhalb der Gesetzgebung kommt im ganzen Film nicht vor. Diesen Film habe ich Luther King, Che Guevara, Bob Kennedy und all denen gewidmet, die ermordet worden sind und deren Tod in jedem Fall zu etwas gedient hat, und wenn nur dazu, die Gewalttätigkeit zu verdammen.«

Während also Corbucci selbst den Tod von Silence mit dem Opfertod Christi verglich, entdeckten die Kritiker konkrete gesellschaftliche Anspielungen: Die Outlaws stünden für die armen Bauern und das Lumpen-Proletariat Süditaliens bzw. der ganzen Welt; man assoziierte historische Massaker wie Auschwitz, Vietnam oder Schwarzafrika. Von Teilen der (bürgerlichen) Filmkritik - vor allem in Deutschland - wurde der Film aber auch heftig abgelehnt, er sei »abstoßend bis ekelerregend«, für die Gegenbewegung der 60er Jahre wurde er zum Kultfilm. Zusammen mit Bonnie und Clyde und The Wild Bunch-Sie kannten kein Gesetz leitete Leichen pflastern seinen Weg Ende der 60er Jahre eine neue Ära der Gewaltdarstellung im Kino ein.

»In Corbuccis Western-Oeuvre, das neben einigen mäßigen Filmen auch ein halbes Dutzend bemerkenswerter Werke umfasst, nimmt Leichen pflastern seinen Weg eine Sonderstellung ein. Schon die Location ist ungewöhnlich: Der Film spielt nicht im heißen Südwesten, dem vom Wüstensand verwehten Grenzgebiet der USA zu Mexiko, sondern in den schneebedeckten Bergen Utahs. Die schneidende Kälte der unendlich scheinenden Schneelandschaft - ein äußeres Zeichen für die eiskalt mordenden Kopfgeldjäger: Corbuccis Bild- und Symbolsprache ist versiert. Der fünfminütige Prolog, dessen Spannungsdramaturgie Leone ebenbürtig ist, führt den Helden und das Thema ein - und nimmt schon das Ende vorweg: Silence tötet fünf Kopfgeldjäger, die ihm auflauerten. Der letzte ergibt sich, Silence schießt ihm die Daumen weg, damit er keinen Revolver mehr abdrücken kann. Trotzdem versucht der Kopfgeldjäger, kniend und mit letzter Kraft, seinen Revolver zu ziehen, wird jedoch, als er auf Silence anlegt, von einem jungen Outlaw erschossen - am Ende wird Silence in derselben Haltung sterben. Die Outlaws danken und bezahlen Silence, der in der Schneelandschaft verschwindet. Ein anderes vorweggenommenes Indiz für das (böse) Ende: Silence und der Sheriff verlieren früh ihre Pferde und müssen beide mit der Kutsche weiterreisen, während Loco dieselbe Kutsche nimmt, aber nur, um die Leichen der von ihm getöteten Outlaws besser transportieren zu können. Die Antagonisten sind der stumme Einzelgänger und der Buchhalter des Todes: Der stumme Revolvermann Silence, von Jean-Louis Trintignant in seinem einzigen Western überzeugend verkörpert, ist ein Meister seines Fachs und stellt sich gegen Bezahlung in den Dienst der guten Sache, den Kampf für die Armen und Schwachen, er ist Richter und Henker zugleich. Der Grund für sein Schweigen wird erst deutlich, als er vor Pauline seinen Hals entblößt. Er erlebte als Kind die Ermordung seiner Eltern mit und bekam, damit er die Täter nicht verraten konnte, die Stimmbänder durchgeschnitten. Loco, eine Paraderolle für Klaus Kinski, kennt das Gesetz genau und nutzt es schamlos für seine Bereicherung aus. Er lockt die Outlaws in die Falle, spielt mit ihnen Katz und Maus, bevor er sie kaltblütig ermordet. Jedes Opfer und dessen Kopfgeld werden akribisch in sein Notizbuch eingetragen. Er ist jedoch gerissen genug, den Provokationen von Silence auszuweichen, um ihn schließlich mit seiner Übermacht zu erledigen. Dabei wird auch die Hure mit Herz, in die sich der Sheriff verliebt hatte und die sich Loco entgegenstellt, von diesem ebenso kaltblütig niedergeschossen wie später Pauline. Die Outlaws werden bei dem Versuch, Lebensmittel in Snow Hill zu holen, von den Kopfgeldjägern als Geiseln genommen, um Silence aus seinem Versteck zu locken. Loco hat grausam gemordet, sich dadurch bereichert und kann trotzdem unbehelligt in die Zukunft reiten. Das geschriebene Gesetz muß nicht unbedingt humane Folgen haben, sondern kann, wie Loco und seine Bande in zynischer Konsequenz demonstrieren, zum gesetzlich sanktionierten Morden ausarten. Schnee und Kälte statt Wüste und Hitze, ein stummer Held, der in einem völlig ungleichen Showdown erschossen wird, Frauen, die wie Männer abgeknallt werden, Killer, die das Gesetz benutzen, ein Buchhalter des Todes, der unbehelligt davonreiten kann. Diese Verfremdungseffekte, die die Erwartungen des Zuschauers grandios unterlaufen, tragen zur eindrücklichen und irritierenden Wirkung des Films erheblich bei. Corbucci, der mit bezwingender Konsequenz die Bestie Mensch und den Sieg des Bösen beschreibt, nutzt dabei die Ingredienzen des Genres virtuos: Zooms, subjektive Kamera, ungewöhnliche Kameraperspektiven (Frosch- und Vogelsichten), harte, schnelle Schnitte zwischen Totalen und Closeups. Unterstützt von der elegischen Musik Morricones und den hervorragenden Darstellern gelingt Corbuci mit Leichen pflastern seinen Weg ein - wenn auch zynischer - Höhepunkt des Italowestern, quasi das pessimistischere Gegenstück zu dem im selben Jahr gedrehten Spiel mir das Lied vom Tod.« (Wolfgang Luley in Lexikon des internationalen Films).

Nichts illustriert den Unterschied zwischen beiden Filmen besser als ihre letzten Bilder. Die finale Einstellung des Leone-Films mit Claudia Cardinales Gang zum Brunnen, die sich zu einer Totale weitet, die tatsächlich die Totale dieses ganzen Films ist, stellt einen einzigen Jubelschluß dar. Sie ist für den Western das, was das Messias-Halleluja in der Musik ist, während das Bild vom fallenden Schnee auf Leichen in weißer Landschaft, mit dem Il grande Silenzio schließt, eher an den Klage-Chor der Mathäus-Passion erinnert. Allerdings hat Corbucci dem Schöpfer dieses Werkes die Wollust voraus, mit der er sich in seiner finsteren Entschlossenheit badet. »Die alpinen Exterieurs, deren trostlos monotones Weiß von Ennio Morricones unendlich elegischem Soundtrack quälend unterstrichen wird, präsentiert Corbucci mit einem so gigantischen Zoom, daß die zynisch parodistische Absicht deutlich wird. Ebenso demonstrieren die vielen lustvollen Close-Ups von ekelhaft blutverschmierten Gesichtern Corbuccis Intention, durch bewußte Übersteigerung das Genre selbst als groteske Mißgeburt darzustellen.« (Hans C. Blumenberg, Film).



Auszeichnungen

-



Bewertung


Literatur

Enno Patalas in: Filmkritik, 5/1969

Heinzlmeier, Adolf/Menningen, Jürgen/Schulz, Berndt: Kultfilme, Hamburg 1983

Hembus, Joe+Benjamin: Western-Lexikon (2.Auflage), München 1995

Jeier, Thomas: Der Western-Film (Heyne Filmbibliothek), München 1987

Kiefer, Bernd/Grob, Norbert/Stiglegger, Marcus (Hrsg.): Filmgernes: Western, Stuttgart/Leipzig 2003



Weblinks

IMDB