Koyaanisqatsi




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1976-82
Länge
 
87 min. (2356 m)
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Dolby
Format
 
35 mm


Credits
Regie   Godfrey Reggio
Drehbuch   Ron Fricke, Godfrey Reggio,
    Michael Hoenig, Alton Walpole
Kamera   Ron Fricke
Schnitt   Alton Walpole, Ron Fricke, Anne Miller
Musik   Philip Glass, Michael Hoenig
Ton   Kurt Muncaksi, David Brownlow,
    Steve Maslow, David Rivas,
    Michael Stocker, Randy Thom
Produktion   The Institute for Regional Education
Verleih   atlas


Erstaufführung
Kinostart
D
  11.11.1983
       
Videostart
D
  April 1984
       
DVD
USA
  17.09.2002 (MGM/UA)
D
  02.06.2003 (MGM)


Einspielergebnisse

?



Darsteller

-



Inhalt

»Eine Felsenzeichnung, ein Feuerball und Kleinteile, die durch die Luft wirbeln, stehen am Anfang, dann beginnt die Beschreibung der Erde im Urzustand. Langsame, ruhige Schwenks über den Grand Canyon und das Monument Valley, Wolkenformationen und Wasserfälle ergeben eine meditative Bildfolge über das Paradies. Der kontemplativen Betrachtung der Natur folgen Aufnahmen von Gleitflügen, die über die Landschaft rasen und wie in Werbefilmen die Natur auch filmisch ausbeuten. Von nun an wird der Film strukturiert durch das Prinzip der beschleunigten Montage, die auch mittels Zeitraffer unsere technologische Zivilisation beschreibt: Bagger, Kraftwerke, Panzer, Raketen, Autos, Hochhäuser, Flugzeuge, Rolltreppen, Menschen. Diese Elemente werden in assoziativen Montagen kombiniert, die Autoschlangen auf Highways bruchlos mit Menschen in U-Bahnen verbinden und zuweilen satirisch kommentieren. So das Verpacken von Wurst mit Arbeitern am Fließband, Fernsehwerbung mit dem Essen und Mülltonnen bei McDonalds. Waren und Güter der Wegwerfgesellschaft erscheinen als Verlängerungen von Menschen, Verselbständigung von Produkten, die die Herrschaft antreten über Ameisen-Menschen, die inmitten ihrer labyrinthischen und gigantomanischen Bauten und Bauwerke umherirren, weil ihnen der Zusammenhang mit ihrer Umwelt (einer Un-Welt) verlorengegangen ist. Ebenso geht der Sinn für die Zeit verloren, wenn die hektische Zeitraffermontage Tag und Nacht (ver-)wechselt. Dazwischen finden sich immer wieder irritierende Bilder, die etwa nach den Flugaufnahmen über verlassene Mietskasernen der Bronx das Sprengen dieses architektonischen Unsinns in Zeitlupe wie eine Erlösung erscheinen läßt; oder Porträtaufnahmen von Menschen, die ebenso Hoffnung und Leben wie unendliche Trauer ausdrücken über den Sieg der Technik der Maschine: gegen den Rhythmus des Films geschnittene Einstellungen (Synkopen) als Ruhepunkte. Die Musik von Philip Glass, zwei thematische Leitmotive variierend, eine Art musikalischer Minimalismus, strukturiert den Rhythmus des Films und integriert Choräle ebenso wie Synthesizerklänge. Das findet sich im Bild paraphrasiert, wenn Lichtbahnen von Autos und Hochhausfenster wie abstrakte Muster, Arabesken und (formale) Intarsien wirken. Am Ende der langen Bilderreise kehrt Reggio schließlich, nach der minutenlangen Zeitlupenaufnahme einer explodierenden Rakete, die eine Warnfackel, ein Farnal ist, zu den indianischen Höhlenzeichnungen der ersten Einstellung zurück. Es bedeutet auch eine Rückkehr zu den Wurzeln der Natur, aber nicht wie ein falsch verstandener Rousseau, sondern als Aufbruch in neu zu erschließende humane und religiöse Werte, Selbstbestimmung und gefühls- wie vernunftmäßiges Handeln.« (Hans Gerhold, Filmdienst).

 


Kritik

»In Form eines experimentellen Dokumentarfilms ohne ein gesprochenes Wort, allein mit einer die Einstellungen leitmotivisch strukturierenden Musik, ist Koyaanisqatsi eine filmische Meditation über die Erschaffung der Welt, die sich ausweitet zu einer kinematografischen Bewegungsfolge über ökologische Ausbeutung und Mißbrauch der Erde durch den Menschen und die Schädigungen der urbanen Zivilisation. Die Prophezeiung des Endes der Stadtschaften und die Beschwörung des Menetekels einer vom Konsumismus entstellten Gesellschaft resultieren in dem zur Veränderung, Selbstbesinnung und Rückkehr zu den Werten einer humanen Kultur.« (Hans Messias, Filmdienst).

»Was will Koyaanisqatsi? Den Alltag unterbrechen, in Trance versetzen oder an die Grenze des Erträglichen führen? Der Schönheit der gottgewollten Schöpfung die Umweltzerstörung durch den rastlosen technischen Fortschritt entgegensetzen? Die Bewahrung der Schöpfung visuell eindrücklich einfordern und die Menschen zur Besinnung bringen? In Bilder fassen, was die abfallende Baßlinie des musikalischen Leitmotivs lamentierend andeutet: Dekadenz und Untergang einer Epoche, die den göttlichen Kulturauftrag (Gen 1,28) nicht mehr im Blick hat? Den biblischen Klageliedern über Zerstörung und Zerfall Jerusalems ein aktuelles, bebildertes hinzufügen?« (Thomas Kroll in: Spuren des Religiösen im Film).

»In siebenjähriger Kleinarbeit haben Regisseur Godfrey Reggio, Kameramann Fricke und der Musiker Glass diese filmische Meditation über die Schönheit der Schöpfung, ihren Mißbrauch durch die Menschen und die Gefahr ihrer totalen Zerstörung komponiert: ein Menetekel aus Bildern, Montagen, Musik an die Wand unserer Zivilisation, ein Rausch aus Farben und Formen, gigantisch und monumental, schlicht aber auch ein bißchen dumm: berauschend anzusehen, Katzenjammer hinterher.« (Fischer Filmalmanach). Der Bilderbogen, der vom Paradies über die Gegenwart der Städte bis zur Apokalypse reicht ist ein Kultfilm, der aktuelle Stimmungen aufnimmt und sich, fast sakral zelebrierend, ans Gefühl wendet. Für H. C. Blumenberg ist Koyaanisqatsi »ein ziemlich dummer, ziemlich menschenverachtender Film: beliebige Fortschrittskritik (die plakativer nicht sein könnte) aus der wolkigen Höhe einer fernen Mythologie.« (Die Zeit). Hans Gerhold hingegen sieht in dem singulären Meisterwerk des (Experimental)-Films »eine Dante wie Pasolini, Sartre wie Solschenizyn umspannende filmische Philosophie und eine der Offenbarung des Johannes verwandte Prophetie.« (Filmdienst). Beide Interpretationen können sich auf die Bilder stützen.

Der Titel übrigens, der Nachspann klärt es, ist ein Wort der Hopi-Indianer und heißt: verrücktes Leben, Leben in Aufruhr, Leben in Auflösung, Leben aus dem Gleichgewicht, Leben in einem Zustand, der nach Veränderung ruft. Folgeversuche des Regisseurs (Powaqqatsi, 1986), von Kameramann Ron Fricke (Baraka, 1992) oder zahlreicher anderer Filmemacher (z.B. Luc Bessons Atlantis, 1991) konnten die suggestive Kraft und emotionale Eindringlichkeit des Kultfilms Koyaanisqatsi nicht mehr erzeugen.



Auszeichnungen

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Bewertung
 
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Literatur

H.C. Blumenberg in: Die Zeit, 11.11.1983; Hans Gerhold in: film-dienst, 23/1983; DAS, 15.1.1984; FAZ, 3.12.1983; FR, 2.12.1983; SZ, 3.3.1984

Cinema Nr.66 (11/1983), S.88

Hasenberg, Peter/Luley, Wolfgang/Martig, Charles: Spuren des Religiösen im Film, Mainz 1995



Weblinks

IMDB