Land
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Jahr
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1930
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Länge
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62 min. (1690 m)
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Originallänge:
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80 min.(2188 m)
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Farbe
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Tonverfahren
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Tobis Klangfilm
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Format
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35 mm (1.37:1)
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Regie | Luis Buñuel | |
Drehbuch | Luis Buñuel, Salvador Dali | |
Kamera | Albert Duverger | |
Schnitt | Luis Buñuel | |
Musik | Mozart, Beethoven, Mendelssohn, | |
Debussy, Wagner, Georges van Parys | ||
Ton | Peter-Paul Brauer | |
Ausstattung | Pierre Schildknecht | |
Produktion | Vicomte de Noailles | |
Verleih | atlas |
28.11.1930 | |||
24.12.1970 | |||
23.11.2004 (Kino) |
?
Lya Lys | (die Frau) | |
Gastón Modot | (der Mann) | |
Max Ernst | (der Chef der Banditen) | |
Pierre Prevert | (Peman, ein Bandit) | |
Germaine Noizet | (Marquise von X) | |
Ibáñez | (Marquis von X) | |
Duchange | (Dirigent) | |
Paul Eluard | (Jagdhüter) | |
Lionel Salem | (Herzog von Blangis) | |
Caridad de Labaerdesque | ||
Liorens Artigas | ||
Pancho Cossio | ||
Valentine Hugo | ||
Marie Berthe Ernst | ||
Jacques B. Brunius | ||
Simone Cottance | ||
Manuel Angeles Ortiz | ||
Juan Esplandio | ||
Pedro Flores | ||
Juan Castane | ||
Joaquin Roa | ||
Pruna | ||
Xaume de Maravilles |
Skorpione. Vermoderte Skelette, mit den Resten kirchlicher Ornate notdürftig verhüllt, liegen im Sand einer Insel. Auf Booten kommt eine feine Gesellschaft an, den Grundstein zu einer neuen Stadt zu legen. Zwischen den Ehrengästen wälzen sich stöhnend zwei Liebende durch den Dreck und stören empfindlich die nur in Fetzen zu verstehende feierliche Ansprache. Ihre animalische Gier kennt keine Rücksichten, sie müssen mit Gewalt getrennt werden. Der Hauptdarsteller tritt einen Kriegsblinden mit Füßen. Eine Monstranz wird im Rinnstein abgestellt. Rom ist inzwischen um tausend Jahre gealtert. Die Liebenden sehen sich auf einer Party wieder. Sie stehen ein paar Meter voneinander entfernt. Durch die Halle fährt ein Eselskarren mit trinkenden Bauern. Rauchwolken schlagen aus der Tür zur Küche, halb erstickt sinkt ein Zimmermädchen zu Boden. Der Jagdhüter erschießt seinen kleinen Sohn; dessen Spiel hatte ihn beim Zigarettendrehen gestört. Alles das ist Nebensache. Die Liebenden kommen einander nicht näher. Der Mann ohrfeigt die Gastgeberin. Pures Entsetzen greift um sich. Die Liebenden wollen aufeinander zugehen. Im Park lecken sie sich die Finger, er stöhnt, sein Gesicht überzieht sich mit Blut. Er reagiert mit ohnmächtiger Wut. Wieder im Haus zerbeißt er ein Kissen, wirft eine brennende Kiefer, einen Erzbischof, einen Pflug aus dem Fenster und stürzt eine Giraffe ins Meer, entledigt sich den Symbolen der Sklaverei. Aus einem einsamen Turm, dem Chateau de Selligny des Marquis de Sade, treten die vier Überlebenden der bestialischsten Orgie, die je ausgetragen wurde (»die 120 Tage von Sodom«). Als erster der Herzog von Blangis, mit Schnurrbart und Kinnbart, gekleidet wie die Juden zu Beginn unserer Zeitrechnung. Der Herzog ist ein Jesus Christus? Unter dem Gewand der Frömmigkeit verbirgt sich die verworfenste Ausschweifung. Das letzte Bild: ein Kreuz mit Haaren des Heuchlers, vom Schnee überdeckt, vom Wind verwirrt.
»Mit seinem zweiten Film überwand Buñuel gleichsam die Experimentierphase seines ersten, des Andalusischen Hundes. Galt dieser noch als reizvoll bizarrer, ja amüsanter Versuchsballon, den das bürgerliche Publikum als solchen auch nur verstanden haben wollte, so verstärkte der Regisseur in L'Age D'Or den paradoxen Wirklichkeitscharakter des Surrealen und verband dies mit seinen aggressiven politischen Überzeugungen. Zu den Einflüssen Freuds, Lautréamonts und des Marquis de Sade gesellte sich der von Karl Marx. Eine Zeitlang plante Buñuel sogar, seinen Film ›Das eiskalte Wasser egoistischer Berechnung‹ (ein Zitat aus dem kommunistischen Manifest!) zu nennen. Dieser giftige Protest gegen die Unterdrückung des Menschen, gegen die Sklaverei der geltenden Moralvorstellungen verdarb dem bürgerlichen Publikum kräftig den Geschmack« (Hahn/Jansen, Das neue Lexikon des Fantasy-Films). »Dieser Film war ein Manifest der von den Surrealisten ekstatisch gepriesenen amour fou, der jede Konvention verneinenden, den Menschen aus allen Fesseln - sowohl den sozialen wie den des rationalen Bewußtseins - befreienden absoluten Liebe. Die Protagonisten des Films erregten mit ihrer Liebe den Ärger und die Empörung aller Instanzen der Autorität. Wohl selten wurden die Kräfte der Ordnung - Kirche, Familie, Polizei und Armee - von der Leinwand herunter so blasphemisch attackiert wie in diesem Film.«(Ulrich Gregor/Enno Patalas, Geschichte des Films Bd.1).
»In Buñuels Darstellung, die die scheinbar verläßliche Unterscheidung von Wahrnehmungs- und Vorstellungsbildern filmisch egalisiert und aufhebt, sind die ständigen Trennungsversuche und Hindernisse, die vom gesellschaftlichen Umfeld ausgehen und der Vereinigung der beiden Liebenden gewaltsam entgegenstehen, ebenso konkret physisch und psychisch wirksam gezeichnet - in einer Weise, die oft den Gesetzen der vertrauten Rationalität und Logik enthoben erscheint. Dementsprechend entladen sich die Frustrationen und Selbstbefreiungsversuche des namenlosen Liebhabers in vehementen Aggressionen, in der Willkür und symbolträchtige Bestimmtheit sich ununterscheidbar durchmischen: so wenn er augenscheinlich grundlos einen blinden Bettler attackiert, so wenn er eine brennende Fichte, einen Pflug und einen leibhaftigen Bischof - Metapher für die Bruchstücke unserer Zivilisation - aus dem Fenster wirft oder eine Giraffe in das Meer stürzt.« (Heinz-B. Heller in : Thomas Koebner (Hrsg.), Filmklassiker).
Kaum weniger provokant wirkte die filmästhetische Erzählweise und Inszenierung. Im Unterschied zu anderen Avantgardfilmen der Zeitgewinnt L'Age D'Or seine poetischen Effekte nicht über manierierte kamera(trick)technische Operationen, sondern über höchst artifizielle Montagen von Bild und Ton, die bei einer bewußt asketischen Kameraführung Reales und Imaginäres, Wahrnehmungs- und Vorstellungsbilder, zu einem einzigartigen überwirklichen Raum-Zeit-Zusammenhang verschmelzen.
Buñuel hatte auch seinen zweiten Film mit Salvador Dali machen wollen, doch paßte Dali die sozialpolitische Richtung nicht. So änderte Buñuel das bereits gemeinsam erarbeitete Konzept völlig, setzte aber aus Freundschaft den Namen Dalis neben den seinen in den Vorspann. Buñuel vermerkte in seinen Memoiren Mein letzter Seufzer, daß der Film Dali sehr gefallen habe. Hier irrt Buñuel. Dali schreibt dazu in seinen Lebenserinnerungen So wird man Dali: »Wie vorausgesehen, hatte Buñuel mich verraten und, um sich auszudrücken, Bilder gewählt, die aus dem Himalaja meiner Ideen Papierschiffchen machten. Das goldene Zeitalter war ein antiklerikaler, irreligiöser Film geworden. Die Politik, das Engagement, wie die Surrealisten sagten, hatte uns auseinander gebracht; ich gab auf den Marxismus so viel wie auf einen Furz, wobei mich ein Furz immerhin erleichtert und inspiriert. Die Politik erschien mir wie ein Krebs, der die Poesie zerfrißt.«
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Urs Jaeggi in: Zoom, 21/1982; Peter Nau in: Filmkritik, 6/1971; Ekkehard Pluta in. Fernsehen und Film, 3/1971; Peter Weiss in: Filmkritik, 6/1981
Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Das neue Lexikon des Fantasy-Films, Berlin 2001
Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989
Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Buñuel (Hanser Reihe Film Bd.6), München/Wien 1980
Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995