Der eiskalte Engel




Technisches
Land
 
FI
Jahr
 
1967
Länge
 
99 min. (103 min. OL)
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.66:1)
Krimi


Credits
Regie   Jean-Pierre Melville
Drehbuch   Jean-Pierre Melville, Georges Pellegrin
Literaturvorlage   Joan McLoad
Kamera   Henri Deacaë
Schnitt   Monique Bonnot, Yolande Maurette
Musik   François de Roubaix
Ton   René Longuet, Alex Pront, Robert Pouret
    (Schnitt)
Ausstattung   François de Lamothe, Théobald Meurisse
Produktion   Eugène Lépicier, Georges Casati
    für Filmel /C.I.C.C./ Les Films Borderie
    (Paris), Fida Cinematografica (Rom)
Verleih   Gloria, Cinema actuell (16 mm)


Erstaufführung
Kinostart
F
  25.10.1967
D   13.06.1968
       
TV-Premiere
D
  21.06.1975, ARD
       
DVD
USA
  06.02.2002 (Filmel Production)
USA
  25.10.2005 (Criterion/Voyager)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Alain Delon   (Jeff Costello)
Nathalie Delon   (Jeanne)
François Périer   (Kommissar)
Cathy Rosier   (Valérie)
Michel Boisrond   (Wiener)
Jacques Leroy   (Killer)
Jean-Pierre Rosier   (Olivier Rey)
Cathérine Jourdan   (Garderobemädchen)
Robert Favart   (Barkeeper)
André Salques   (Garagenbesitzer)
Georges Casati   (Damolini)


Inhalt
Paris in den sechziger Jahren. Jeff Costello ist ein professioneller Killer. Er stiehlt einen Wagen, besorgt sich neue Kennzeichen und einen Revolver, verabredet mit seiner Freundin Jeanne ein Alibi für die halbe Nacht, kündigt einer Runde von Pokerspielern sein Erscheinen für zwei Uhr an und erschießt Monsieur Martey, den Besitzer eines Nachtsclubs, in dessen Büro. Als er das Lokal verläßt, wird er von der farbigen Pianistin Valérie, einem Barmann, einer Garderobiere und mehreren Gästen gesehen. Bei der Fahndung der Polizei wird er aus einer nächtlichen Pokerrunde heraus verhaftet, da die Täterbeschreibung auf ihn paßt. Ihn retten das Alibi Jeannes und seiner Zockerfreunde und die Tatsache, daß das Barpersonal ihn nicht identifizieren kann. Auch Valérie, die Hauptzeugin, die ihn als einzige aus nächster Nähe gesehen hat, leugnet, ihn zu erkennen. Gleichwohl ist der Kommissar von Costellos Schuld überzeugt und läßt ihn überwachen. Die Auftraggeber des Mordes sind inzwischen beunruhigt. Jeff soll beseitigt werden. Als er sein Honorar kassieren will, erhält er als Belohnung eine Kugel. Mit einer leichten Verwundung kehrt Costello in seine Wohnung zurück, wo er sich mehrere Tage versteckt hält und einen Plan schmiedet. Er erkennt, daß die Pianistin, die am entschiedensten behauptet hat, er sei nicht der Mörder, mehr über die Tat weiß, als es den Anschein hat. Costello macht ihr seinen Verdacht klar und läßt sie fortan nicht mehr aus den Augen. Nachdem die Polizei eine Wanze in seiner Wohnung angebracht hat, wird er dortselbst erneut von seinem Kontaktmann überrascht, der berichtet, die Organisation habe einen Fehler gemacht: Man hat seine Freilassung für eine Finte der Polizei gehalten. Costello schaltet den Mann aus und erpreßt von ihm den Namen des Auftraggebers. Bevor er zum letzten Mal zuschlägt und den Chef seiner Auftraggeber tötet, liefert er der Polizei eine Hetzjagd durch die Pariser Metro. Am Ende kehrt er mit zuvor entladenem Revolver in Marteys Bar zurück und begeht vor den Augen der Pianistin eine Art Harakiri: Als er seine Waffe auf Valérie richtet, wird er von der Polizei erschossen.

 


Kritik

»Es dauert ganze neun Minuten, ehe das erste Wort gesprochen wird. Bis dahin nur Vogeltschilpen, Feuerzeugklicken und Verkehrsgebraus, Hundekläffen, Garagentorrasseln und Autotürklappen, Banknotenrascheln und das Klicken eines Trommelrevolvers. Der Regen rinnt. Orgeltöne in Moll. Das Requiem für einen Revolvermann kann beginnen. Das melodramatische Handlungsgerüst nutzte Regisseur Jean-Pierre Melville, um den Gangsterfilm als ästhetisches Phänomen zu inszenieren. In dem 1967 uraufgeführten Film verschmolz er fernöstliches Verhalten mit Elementen der amerikanischen Schwarzen Serie zu einem ebenso kunstfertigen wie künstlichen Nacht-Western. Die Realität ist nur mehr kalkulierter Schein. Melville baut Kunstwelten auf. Als sei das Schäbige eine Kategorie des Schönen, delektiert sich die Kamera am verschlissenen Mobiliar und an den ausgeblichenen Farben in Jeffs Absteige.« (Klaus Schneider, Stern). Der Film kam somit Melvilles Wunsch sehr nahe, »einen Farbfilm in Schwarzweiß zu drehen, in dem nur eine kleine Nuance uns wissen ließe, daß es sich um einen Farbfilm handelt.« - »Diesem ungewöhnlichen Einsatz der Farben, deren Atonalität in verwaschenen Oberflächen schimmert, entspricht der Tristesse, Einsamkeit, Entfremdung und Kommunikationslosigkeit von Costellos Welt - Melville hat ihn in einem Interview als schizophren bezeichnet -, sie entspricht der Atomsphäre eines trüben Traums wie das Licht, das, als Schatten oder Halbschatten präsent, Costellos Gesicht zerschneidet oder nur Partien betont. Auch die äußeren Handlungsorte in Paris werden gleichermaßen in flachen Bildern und fahlem Licht gezeigt, ohne scharfe Konturen, ohne Spur von Emotionalität« (Klaus W. Pietrek in: Enzyklopädie des Kriminalfilms): der Kommissar vor dem Fenster, durch dessen Jalousie er in das Grau des Lichts und des fallenden Regens blickt; Costello tritt ganz einfach in den Schatten zurück. Das unbewegte Gesicht Costellos/Delons, das zu einer vielzitierten Ikone der Filmgeschichte wurde, ist eine Maske, hinter der sich kein Charakter verbirgt. Wenn Delon auf Valérie starrt, kurz bevor er den Revolver zieht, gleicht sein Gesicht schon einer Totenmaske. Niemals zuvor in der Filmgeschichte wurde mit Jeff Costello eine derart artifizielle und dimensionslose Killerfigur geschaffen, die keine eigentliche Identität, keine Vorgeschichte, keine Vergangenheit, kein Leben außerhalb des momentanen Rituals besitzt und Melville es nirgends unternimmt, seinen Anti-Helden zu erklären. In Der eiskalte Engel werden reine Oberfläche und das Artifizielle zur Sterilität als Kunstform. Martin Ripkens spricht in der Filmkritik in diesem Zusammenhang von »einem kühlen Blick, der alle Emotion, alles Dramatische und Existentielle unter einer spiegelglatten Oberfläche einfriert.« In der Rigorosität, mit der Melville diese Oberfläche gestaltet, entfernt er sich weiter denn je von jedem realen Bezug seiner Figuren zur wirklichen Welt des kriminellen Milieus. »Das nächtliche Polizeipräsidium verwandelt sich in einen mythischen Ort der Unterwelt, wo Tragik und Tod unausweichlich sind. Hier wie in den Salons der Gangster dominiert die Farbe Schwarz. Die Gesichter und Anzüge von Gangstern und Polizisten gleichen einander zum Verwechseln, Vokabular und Denken sind dieselben. Gut und Böse, so Melvilles lebenslange Botschaft, sind kein Gegensatzpaar mehr. In dieser Welt reduziert sich Moral auf einen selbstgesetzten Ehrenkodex und Existenz auf extreme Einsamkeit. Jeffs Leben ist zum Ritual erstarrt. Wenn er zum Töten auszieht, legt er den Trenchcoat um wie eine schimmernde Wehr. Die Hutkrempe wird zwischen zwei Fingern glattgestrichen, als müsse der Heiligenschein des schwarzen Engels geradegerückt werden. Und vor dem Todesschuß streift sich dieser moderne Samurai weiße Handschuhe über. So stoisch, wie er tötet, geht er in den eigenen Tod.« (Klaus Schneider, Stern). Der völlig auf sich selbst bezogene Berufskiller erscheint in einer Zeit allgemeiner Vereinsamung als letzter Heldentyp, der in seiner Gefühlskälte beinahe unschuldig und trotz seines frühen Endes im Grunde unangreifbar ist - selbst sein Ende liegt noch in seiner Hand. In anderen Gangsterfilmen gibt Melville der Männerfreundschaft eine Chance gegen die grenzenlose Einsamkeit. Hier jedoch bietet Melville, der sich einmal einen »Anarcho-Feudalisten« genannt hat, keinen Trost - außer der Freiheit des Handelns. »Sein Feudalanarchismus drückt sich in seinen Gangsterfilmen aus, in deren düsterer, trostloser Welt individuelle Ehre als Maßstab für Integrität erscheint. Der kleinbürgerliche Charakter dieser anarchistischen Revolte gegen die kapitalhörige bürgerliche Gesellschaft ist offenkundig. Seinen Helden geht es um die Verwirklichung ihres Lebensstils als Außenseiter, nicht um den Gewinn aus einem Coup. Sie sind antibürgerlich in ihrem chevaleresken Ehrenkodex und ihrer Verachtung für den plumpen Materialismus des Bürgertums. Sie streben nicht nach Reichtum, um ein bürgerliches Leben zu führen, sondern verwirklichen sich in der Gefahr, und der Gewinn aus einem Coup dient zum Leben außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft.« (Hahn/Jansen, Kultfilme). »Dabei ist Costello als Filmfigur weniger ein Phänomen des Existentialismus, als eine Ausdrucksform der Posthistorie: in ihm und seinem reduzierten Wesen kristallisiert gleichsam die Zeit ins Bedeutungslose, und mit ihm erstarrt das Leben zu minimalsten Regungen. Die in ihrer Geschichte statischen Personen des Films haben die Angst gleichermaßen verloren wie ihr Gefühl für die Zeit, deren Ablauf sich in der Handlung tatsächlich auch nirgends greifbar manifestiert.« (Klaus W. Pietrek in: Enzyklopädie des Kriminalfilms). Als Motto stellte Melville seinem Spätwerk einen Samurai-Spruch voran: »Es gibt keine größere Einsamkeit als die des Samurai, es sei denn die des Tigers im Dschungel.« Das klang so echt, daß sogar die Japaner darauf hereinfielen. Doch der Samurai-Dichter war niemand anders als Melville selbst.

»Der eiskalte Engel ist die ästhetische Vollendung des französischen Unterweltfilms, ein Werk, das in seiner rigorosen Stilisierung fast etwas Abstraktes hat: Kino in Reinkultur, das seine Vorbilder überwand und in der Perfektion seiner Inszenierung nur noch auf sich selbst verweist. Dieses elegische Requiem für einen Killer überzeugt nicht nur als Studie über Einsamkeit und Entfremdung; es ist zugleich, durch rauschhafte Schönheit und Transponierung musikalischer Bilder und Töne in erlesene Einstellungen, Inkarnation dieser Isolation. In der Unvermeidbarkeit aller Situationen einer antiken Tragödie verwandt, bildet dieses Experiment mit Kunstfiguren den gelungenen Versuch, fortschrittlichste ästhetische Formen am Beispiel einer Gangstergeschichte in populäre Kino- und Erzählmuster umzusetzen.« (Hans Gerhold in: 111 Meisterwerke des Films).



Auszeichnungen

-



Bewertung


Literatur

Thomas Koebner in: film-dienst, 11/1993; Joachim von Mengershausen in: Film, Velber, 7/1968; Uwe Nettelbeck in: Film, Velber, 8/1968; Martin Ripkens in: Filmkritik, 1/1968; Werner Zanola in: Filmbulletin, 111/1979

Aurich, Rolf: Alain Delon, Berlin 1995

Engelhard, Günter/Schäfer, Horst/Schorbert, Walter: 111 Meisterwerke des Films (Fischer Cinema), Frank-furt a.M.1989

Hahn, Ronald/Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Menningen, Jürgen/Schulz, Berndt: Kultfilme, Hamburg 1983

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989

Hickethier, Knut/Schumann, Katja (Hrsg.): Filmgernes: Kriminalfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Melville (Hanser Reihe Film Bd.27), München/Wien 1982

Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Müller, Jürgen: Filme der 60er, Köln 2004

Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995

Werner, Paul: Film noir (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1985

Zurhorst, Meinolf: Lexikon des Kriminalfilms, München 1993



Weblinks

IMDB