Die Kinder des Olymp




Technisches
Land
 
F
Jahr
 
1943-45
Länge
 
184 min.
   
Originalfassung:
   
195 min.
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.37:1)
Drama
Liebesfilm


Credits
Regie   Marcel Carné
Drehbuch   Jacques Prévert
Kamera   Roger Hubert, Marc Fossard
Schnitt   Henri Rust, Madeleine Bonin
Musik   Joseph Cosma, Maurice Thiriet, Georges
    Mouque
Ton   Robert Teisseire
Prod.-Design   Alexander Trauner
Ausstattung   Alexander Trauner, Léon Barsacq, R. Cabutti
Kostüme   Mayo
Produktion   Raymond Borderie, Fred Orain für S.N.
    Pathé Cinema
Verleih   atlas


Erstaufführung
Kinostart
F
09.03.1945
D
  28.02.1947
       
Videostart
D
  November 1983
       
TV-Premiere
D
  06./07.01.1967, ARD
       
DVD
USA
22.01.2002 (Criterion)
D
  05.04.2004 (Universum)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Arletty   (Garance)
Jean-Louis Barrault   (Baptiste Debureau)
Pierre Brasseur   (Frédéric Lemaitre)
Maria Casarès   (Nathalie)
Marcel Herrand   (Lacenaire)
Louis Salou   (Graf Edouard de Monteray)
Pierre Renoir   (Jericho)
Jane Marken   (Madame Hermine)
Etienne Decroux   (Anselme Debureau)
Robert Dhéry   (Célestin)
Jean Lanier   (Jago)
Fabien Loris   (Avril)
Gaston Modot   (Fil de Soie)
Marcelle Monthil   (Marie)
Albert Remy   (Scarpia Barrigni)
Marcel Pérèz   (Direktor)
Jacques Castelot   (Georges)


Inhalt
Paris in der Mitte des 19.Jahrhunderts: Die schöne Garance verläßt den Anarchisten und kultivierten Verbrecher Lacenaire und wendet sich dem träumerischen Pantomimen Baptiste Debureau zu. Leidtragende ist Baptistes Kollegin Nathalie, die ihn heimlich liebt. Aber sehr schnell läßt sich Baptiste durch den selbstbewußten Schauspieler Frédéric Lemaitre verdrängen. Schließlich verlieren beide sie an den Grafen de Monteray, der sie beschützt, als Garance durch eine Verkettung düsterer Umstände unschuldig in Verbindung mit einem von Lacenaire verübten Mordanschlag gerät. Garance geht mit dem Grafen ins Ausland. Als sie Jahre später zurückkehrt, sind Baptiste und Frédéric berühmt geworden. Baptiste hat Nathalie geheiratet und ist Vater eines kleinen Jungen. Beide Männer verlieben sich abermals in Garance. Während Frédéric sich schnell tröstet, verläßt Baptiste um ihretwillen Frau und Kind. Auch Lacenaire taucht wieder auf. Am Karnevalstag tötet er den Grafen de Monteray, von dem er sich gedemütigt glaubt und stellt sich anschließend der Polizei, weil er im Grafen endlich ein ihm würdiges Opfer gefunden zu haben glaubt. Nathalie entdeckt Baptiste und Garance in einer Pension. Garance erkennt die Ausweglosigkeit ihrer Liebe und läuft auf den Boulevard hinaus. Baptiste folgt ihr; aber im Trubel der Masken verliert er sie aus den Augen.



Kritik
Carné begann mit den Dreharbeiten während des Krieges in Nizza und setzte sie dann in Paris fort. Die Uraufführung fand am 9.März 1945 im befreiten Paris statt, wo der Film 54 Wochen ununterbrochen lief. So schlägt der Film gleichsam eine Brücke vom poetischen Realismus der Vorkriegszeit zum künstlerischen Neubeginn nach dem Krieg. Les enfants du paradis ist eines der reifsten und schönsten Werke der französischen Filmkunst. Er vereint in bestechender Harmonie Romantik und Realismus, Melancholie und Lebensfreude. Eine ganze Epoche, der Aufbruch künstlerischer und philosophischer Ideen werden in der Handlung und im Bild spontan lebendig. Der Autor Prévert sagte später: »Zeit und Vergänglichkeit sind die Hauptthemen des Films!« Die ungebrochene Faszination, zu der die darstellerische Brillanz der Schauspieler wesentlich beiträgt, verschaffte dem Werk den Status eines Kultfilms. Das Drehbuch brachte ein komplexes Personen- und Handlungsgefüge in eine strenge Einheit. Dramaturgie, Dialogführung und Gestik der Schauspieler sind weniger vom Medium Film als vom Theater geprägt. Dies ist aber auch ein Thema von Die Kinder des Olymp: Das Motiv des auf- und zugegehenden Vorhangs reflektiert das Verhältnis von Leben und Spiel.

»Jede der unterschiedlichen Gestalten verkörpert eine bestimmte Form der Liebe, von der im Film des öfteren gesagt wird, sie sei doch so einfach - gezeigt wird allerdings gerade das Gegenteil. Garance, von der Liebe und den Menschen enttäuscht, läßt sich von Lacenaire unterhalten, der als Außenseiter der Gesellschaft sein Ende auf dem Schafott voraussieht. Für beide stellt die Bindung in der Liebe eine Bedrohung ihrer Freiheit dar. Auch ihre Liebe zu Baptiste scheitert seiner Forderung, sie müsse ihn so lieben, wie er sie liebt - mit absoluter Hingabe, und nicht nur zum Zeitvertreib. Für Frédéric hingegen scheint eine Frau wie die andere zu sein. Frédéric bildet als extrovertierter Schauspieler das Gegenbild zum introvertierten Mimen Baptiste. Bringt Baptiste in seiner Kunst seine eigene Innerlichkeit, seine Sehnsucht und Trauer auf die Bühne, so verhält es sich bei Frédéric genau umgekehrt: Er veräußerlicht sich in seinen Rollen, um die vom Dichter geschaffene Figur zum Leben zu erwecken. Frédéric ist auf das Wort angewiesen, während Baptiste pantomimisch und musikalisch Gestalt zu verleihen versucht. Für den Grafen de Monteray bedeutet die schöne Garance nichts anderes als ein Prestigeobjekt, das im Duell auf Leben und Tod gegen mögliche Fremdansprüche verteidigt werden muß.« (Klaus Bort in: Metzlers Filmlexikon).

»Intensität gewinnt Les enfants du paradis durch die ästhetische Perfektion seiner Ausführung. Die eingeschobenen Pantomimen, die Jean Louis Barrault als Meister der expressiven Geste und der Körperbeherrschung zeigen, resümieren in sich die Fabel des Films und transportieren sie auf eine poetische Ebene. Im Grunde formen die drei Protagonisten des Films - Garance, Baptiste und sein Rivale Frédéric Lemaitre - das klassische Trio der italienischen Komödie: Columbine, Pierrot und Harlekin; der Film spielt bewußt mit der Analogie. Die Personen faszinieren durch eine Aura von Geheimnis; in ihren Beziehungen scheint Schicksalhaftigkeit zu walten. Alles zeugt in diesem Film von Geschmack, Intelligenz und musikalischem Formgefühl; und doch kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß Les enfants du paradis seiner Konzeption und Ausführung nach eigentlich einer vergangenen Epoche verhaftet ist. Der sublimierte Traditionalismus dieses Films ist namentlich in den deutschen Filmclubs oft als Offenbarung zukünftiger Filmkunst mißverstanden worden - wobei eine geheime Vorliebe des deutschen Publikums für zeitlose Konflikte mitspielen mag.« (Gregor/Patalas, Geschichte des Films Bd.2).

In der Tat ist das Geheimnisvolle und die Überhöhung der menschlichen Leidenschaften durch die Schicksalhaftigkeit und die Ausweglosigkeit des Geschehens, die jeden Protagonisten auf irgendeine Weise zu einem heroischen Menschen macht, der perfekte Ausdruck eines fatalistischen Weltbildes, das in den Kriegs- und Nachkriegsjahren die Gedankenwelt gerade der Jüngeren bestimmte. Der vollkommene Rückzug aus der politischen und gesellschaftlichen Realität in eine Welt der verselbständigten und melancholisch-düsteren Mythen ist charakteristisch nicht nur für die Filme des Regisseurs Carné und seines Drehbuchautors Jacques Prévert, sondern auch für den französischen Film während der Zeit der deutschen Besatzung überhaupt. Im Mythos der Garance kündigt sich freilich auch schon etwas Zukünftiges an, der Mythos von der freien, unabhängigen Frau, wie ihn Brigitte Bardot oder Jeanne Moreau später verkörpern sollten. Obwohl Garance mit Baptiste eine tiefe und ernste Leidenschaft verbindet, verläßt sie ihn doch, weil er nicht auf ihre einfache, unkomplizierte und direkte Art der Liebe eingehen kann. Bei allem Fatalismus, bei aller immer ein wenig unverbindlich wirkenden Klassizität, offenbart sich auch ein gegenläufiges Moment, das auch viele andere Melodramen kennzeichnet: ein Hang zur Subversivität. Beispielsweise erscheint der Graf als Repräsentant der Herrschenden schlimmer als der Berufskriminelle, und die »verworfene« Garance ist weit menschlicher und aufrichtiger als ein tyrannisches Eheweib.

»Es ist ein Film, den ich sehr bewundere. Er ist nach meiner Meinung das beste Werk von Carné. Im Gegensatz zum Autorenfilm, für den ich eine Vorliebe habe, weil er den Ausdruck einer einzigen Persönlichkeit darstellt, ist Les enfants du paradis vielleicht der beste Film einer Equipe des französischen Filmschaffens.... Der Aufbau des Drehbuchs ist von fast diabolischer Vollendung. Es ist ein Film der nicht altert, oder, was auf dasselbe hinausläuft, der sehr schön altert.« (François Truffaut).



Auszeichnungen
Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1947
Oscar
Bestes Orginaldrehbuch - Jacques Prévert (Nominierung)
 


Bewertung


Literatur

Mirella Jona Affron in: Cinema Journal, 1/1978-79; Chris Darke in: Sight and Sound, 9/1993; Reinhold Jacobi in: film-dienst, 13/1984

Cinema Nr.116 (1/1988), Plakatkarte

Engelhard, Günter/Schäfer, Horst/Schorbert, Walter: 111 Meisterwerke des Films (Fischer Cinema), Frankfurt a.M.1989

Engelmeier, Peter W.: 100 Jahre Kino - Die großen Filme, Augsburg 1994

Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hrsg.): Fischer Filmgeschichte Bd.3 1945-1960 (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1990

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Menningen, Jürgen/Schulz, Berndt: Kultfilme, Hamburg 1983

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989

Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Manthey, Dirk (Hrsg.): Goldenes Kino (Cinema-Buch), Hamburg 1986

Müller, Jürgen: Filme der 40er, Köln 2006

Schneider, Manfred: Die Kinder des Olymp.Triumph der Schaulust, Frankfurt 1985



Weblinks

IMDB