Die letzte Nacht des Boris Gruschenko




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1975
Länge
 
89 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.85:1)
Historienfilm
Komödie


Regie   Woody Allen
Drehbuch   Woody Allen, Mildred Cram, Donald
    Ogden Stewart
Kamera   Ghislain Cloquet
Spezialeffekte   Peter Dawson, Kit West
Schnitt   Ralph Rosenblum, Edward Dmytryk,
    George Hively, Ron Kalish
Musik   Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew
Ton   Daniel Brisseau, Don Sable, Al Grimaglia
Prod.-Design   Willy Holt
Ausstattung   Claude Retinas, Marc Frederix
Kostüme   Gladys de Segonzac
Maske   Anatole Paris, Marie-Madelaine Paris
    (Make-up), Renee Guidet(Frisuren)
Stunts   Gábor Piroch
Produktion   Jack Rollins, Charles H. Joffe für United
    Artists
Verleih   United Artists, Warner Home (Video)


Kinostart
USA
  10.06.1975
D
  Juli 1975, IFF Berlin (Kinostart: 28.8.1975)
       
DVD
USA
  05.07.2000 (MGM Home Entertainment)
Gb
  19.02.2001 (MGM Home Entertainment)
D
  06.10.2003 (MGM,Woody Allen Collection 2)


USA
 
20100000 $
 
D
 
333261 €, 133566 Zuschauer


Woody Allen   (Boris Gruschenko)
Diane Keaton   (Sonja Wolanska)
Henry Czarniack   (Iwan)
Howard Vernon   (General Léveque)
George Adet   (Nehamkin)
Olga Georges-Picot   (Gräfin Alexandrowna)
Harold Gould   (Anton Ledekov)
Jessica Harper   (Natascha)
James Tolkan   (Napoleon)


Ruß;land 1812. In einem Kerker der französischen Armee sitzt nach einem mißglückten Attentat auf Napoleon der schmächtige Boris Gruschenko und erwartet gelassen seine Hinrichtung. Ein Engel hat ihm nämlich verheißen, er werde kurz vor der Exekution begnadigt. So überdenkt er unbeschwert sein Leben. Er denkt an seine Liebe zu Sonja, die ihm leider zwei andere Männer vorgezogen hat. Er denkt an seine Bemühungen, ein schlechter Soldat zu sein, die so jämmerlich mißlungen sind. Militärischer Ruhm ist ihm in den Schoß gefallen, besonders nachdem er versehentlich mit einer Kanone hinter die feindlichen Linien geschossen wurde und die Franzosen in Panik versetzt hatte. Dieser frische Ruhm verschaffte ihm die Zuneigung der liebesdurstigen Gräfin Alexandrowna und einer Duellforderung ihres etatmäßigen Liebhabers. Kurz vor dem Duell hat er dann Sonja wiedergesehen, die ihm leichtfertig für den Fall des Überlebens ihre Hand versprach. Er überlebte, Sonja heiratete ihn und überredete ihn alsbald zu dem verhängnisvollen Attentat, das sich als ein einziges Intrigenspiel auf seine Kosten erwies. Am anderen Morgen schreitet Boris frohen Herzens zum Richtplatz. Doch der Engel war wohl nicht hinreichend informiert: Boris wird hingerichtet. Einige Tage später sieht die verwitwete Sonja Boris in Begleitung eines Sensenmannes. Sie erkundigt sich nach seinem Befinden. »Kennst du die Hühnchen in Treskys Restaurant?« fragt Boris zurück. »Gewiß«, meint Sonja. »Ich bin noch schlimmer dran!« sagt Boris düster.

 


Die letzte Nacht des Boris Gruschenko ist eine sarkastische Komödie, die vom Militarismus über Sex bis zur Religion mit Onelinern, Alltags-Aphorismen, Filmzitaten, witzigen Vergleichen und bewußt eingesetzten Anachronismen (Boris/Allen mit Hornbrille und dem intellektuellen Habitus eines modernen jüdischen Künstlers im Rußland des 19.Jahrhunderts; ein schwarzer Sergeant als Ausbilder unter dem Zaren; Cheerleader zwischen kämpfenden Soldaten) alles parodiert, was ihr unterkommt. Thematisch sind Allens Filme häufig bestimmt vom Kampf des kleinen, schmächtigen Außenseiters gegen seine feindliche Umwelt. Mit Zähigkeit, List und bissigem Humor kämpft er ums Überleben. In diesem Film schlägt die skeptische Grundtendenz seiner früheren Filme in düsteren Pessimismus um. Hier ist Boris alias Woody Allen endgültig der Geschlagene, dessen wenige Siege deprimierenden Zufällen zu verdanken sind und stets zu neuem Chaos führen. Ein bitterer und entlarvender Humor wird hier geboten, bei dem unsere Welt vor dem legitimen und durchaus nicht unbescheidenen Glückserwartungen eines gutwilligen Außenseiters versagt.

»Woody Allen hält in Love and Death eine sichere Balance zwischen Film- und Romanparodie und persönlichem Essay. In einer kreisförmigen Bewegung führt er Reflexionen um jenen Mittelpunkt, der Liebe und Tod heißt. Die extremen Pole menschlicher Erfahrung werden als die komplementären Seiten ein und derselben Lebensmünze auf ihre komischen und ernsten, witzigen und tragischen Momente hin untersucht. Die Dualität bestimmt den Erzählduktus: die Frage nach dem Lebenssinn angesichts eines apokalyptischen Lichts (Kriegs) und der Abwesenheit Gottes. Für die zufällige Begegnung des Diesseits mit dem Jenseits hat Woody Allen eine Sequenz erfunden, deren surrealer und halluzinatorischer Gehalt sie in die besten metaphysischen Szenen der Filmgeschichte einreiht. Der junge Boris hat einen Traum: Auf einer Herbstwiese stehen aufrecht über das Feld verteilt fünfzehn Särge. Als sich die Deckel von innen öffnen, tritt aus jedem Sarg ein schwarzbefrackter Kellner mit Schürze, Serviertuch und Tablett. Sie gehen aufeinander zu. Mitten zwischen den Särgen beginnen die Kellner, die Tuch und Tablett fallen lassen, paarweise miteinander zu tanzen, der Oberkellner tanzt für sich. Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Woody Allen schafft somit eine metaphysische Basis mit dem er die höchst irdischen Belange der Menschen in Love and Death auf die philosophische und humoristische Probe stellt. Dies findet sich höchst plastisch in Taten, Gedanken und Sentenzen von Boris wieder, der in seiner Beschäftigung mit dem Tod zu dem Schluß gelangt: ›Es gibt schlimmeres im Leben als den Tod. Wenn Sie je einen Abend mit einem Versicherungsvertreter verbracht haben, wissen Sie genau, was sich meine.‹ In Sätzen wie diesem liegt der Schlüssel zu Allens Methode. Die Verbindung von existentieller Angst und transzendentalem Motiv mit einer Alltagstrivialität schafft jene produktive Spannung, aus der heraus der Gag und die tiefere Einsicht in Allens Wahrheit resultieren. Wo die philosophische Ebene die Theologie berührt, gelingen Allen virtuose Kombinationen einer säkulartheologischen Deutung der Welt. Wie Woody Allen das Jenseits als pure Bilderfindung ohne verbalen Kommentar darstellbar, zugänglich und zu einem filmischen Äquivalent für die metaphysischen Dimensionen des Daseins macht wird deutlich in der letzten Einstellung von Love and Death, die zum Besten gehört, was Allen je erdacht und umgesetzt hat. Zur meisterhaft spielerischen und irritierenden Musik von Sergej Prokofjew tanzt Boris dem ebenfalls tanzenden und mit der aufrechten Sense vorwärtsdrängenden Tod hinterher, minutenlang in einer ungeschnittenen Einstellung, in traumhafter Harmonie und sicherer Bewegung:: wie ein spielendes Kind, voll Freude und wie einer, der vollkommen mit sich eins ist. Der Tanz mit dem Tod ist filmhistorisch nicht neu - motivgeschichtliche Vergleiche führen zu Dreyers Vampyr und Bergmans Das siebente Siegel, aber in dieser Form, in den gedeckten Grün-Weiß-Tönen, die Kameramann Ghislain Cloquet aufgenommen, und in der gelösten und traurigen Atmosphäre, die Woody Allen geschaffen hat, einmalig.« (Hans Gerhold, Woody's Welten).



Internationale Filmfestspiele Berlin, Deutschland
Jahr   Kategorie/Preisträger
1975
Silberner Bär (UNICRIT-Preis) - Woody Allen
 


 
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Felix, Jürgen: Woody Allen, Marburg 1992

Gerold, Hans: Woodys Welten (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1991

Girgus, Sam B.: The Films of Woody Allen, Cambridge (Mass.) 1993

Rauh, Reinhold: Woody Allen (Heyne Filmbibliothek), München1991