Marnie




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1964
Länge
 
130 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.85:1)
Krimi
Thriller


Regie   Alfred Hitchcock
Drehbuch   Jay Presson Allen
Literaturvorlage   Winston Graham
Kamera   Robert Burks
Spezialeffekte   Albert Whitlock
Schnitt   George Tomasini
Musik   Bernard Herrmann
Ton   Waldon C. Watson; William Green
Bauten   George Milo
Ausstattung   Robert Boyle
Kostüme   Edith Head, James Linn, Rita Riggs
Maske   Jack Barron, Robert Dawn,
    Howard Smit (Make-up), Alexandre,
    Virginia Darcy(Frisuren)
Produktion   Alfred Hitchcock für Universal
Verleih   Universal


Kinostart
USA
  22.07.1964
D
  17.09.1964
       
TV-Premiere
D
  02.12.1969, ARD
       
DVD
USA
  30.05.2000 (Universal)
D
  25.10.2001 (Universal)
D
  30.01.2003 (Universal, Hitchcock Collection)


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Sean Connery   (Mark Rutland)
Tippi Hedren   (Marnie Edgar)
Diane Baker   (Lil Mainwaring)
Martin Gabel   (Sidney Strutt)
Louise Latham   (Bernice Edgar)
Bob Sweeney   (Bob)
Alan Napier   (Mr. Rutland)
S. John Launer   (Sam Ward)
Mariette Hartley   (Susan Glabon)
Bruce Dern   (Matrose)
Henry Beckman   (Detektiv)
Edith Evanson   (Rita)
Meg Wyllie   (Mrs.Turpin)


Nach jedem gelungenen Diebstahl legt sich Marnie einen neuen Namen zu, wechselt den Wohnort und sucht sich eine neue Stelle. Ihre persönliche Handschrift ist dabei immer gleich: Sie läßt sich als Sekretärin einstellen, bewährt sich als tüchtige und ehrliche Kraft und leert dann im geeigneten Augenblick den Firmensafe. Mark Rutland, Inhaber eines bedeutenden Verlages, hat sie wiedererkannt, läßt es sich jedoch nicht anmerken und stellt sie ein. Er macht ihr den Hof, sie reagiert zuerst nicht, dann auf übliche Weise: sie läßt den Inhalt des Safes mitgehen. Mark entdeckt den Diebstahl, ersetzt das Geld und nimmt die Verfolgung auf. Statt sie der Polizei zu übergeben, bringt er Marnie zurück nach Philadelphia und zwingt sie, seine Frau zu werden. Die Hochzeitsreise, die sie auf einem Schiff machen, wird zur persönlichen Katastrophe. Marnie ist vollkommen frigide. Nachdem Mark sie mit Gewalt genommen hat, versucht sie sich umzubringen. Sie leidet unter furchtbaren Alpträumen und Schreckenszuständen, ihre Kleptomanie war eine Kompensation ihrer Frigidität. Mark erfährt, daß Marnie noch eine Mutter hat. Er läßt sie suchen, um hinter das Geheimnis von Marnies Neurose zu kommen. Als er sie - eine Ex-Prostituierte - in Baltimore findet, bringt er sie dazu, das Geheimnis zu lüften. Marnie war fünf Jahre alt, als sie mit einem Schürhaken einen Matrosen erschlagen hat, als er sich ihr im Suff näherte. Der Mann starb in seinem Blut unter Donnergrollen, daher die entsprechenden Phobien. Nachdem die Wahrheit heraus ist, gehen Marnie und Mark einer positiven Zukunft entgegen.

 


»Mord, Erpressung, Mutter, Vergangenheit, das Wissen, das ein Paar aneinanderkettet, ein Paar, das sich spiegelbildlich ergänzt, die Verfolgungsjagd und das Identitätsproblem, die doppelte Flucht zwischen den Fronten, die rastlose Bewegung - alles, was sich in Hitchcock-Filmen findet, fließt hier zu einer Geschichte zusammen. Hinter allen Handlungen werden verborgene Motive erkennbar, die stets auf Erotik verweisen und auf den Tod.« (Bodo Fründt, Alfred Hitchcock und seine Filme).

»Abhängigkeit von der Mutter, Identitätsverlust, Schuld, sexuelle Aberration - die gemeinsamen Themen von Spellbound (1945) bis Psycho (1960) im Bild einer Frau.« (Peter Weibel, FILM).

»Marnie ist ein Film, der noch mehr Defekte hat als seine Heldin, ein schauriger Tiefpunkt des Hitchcockschen Werkes.« (Harris/Lasky, Alfred Hitchcock und seine Filme). Trotz solcher und anderer durchweg miserabler Kritiken grenzt es fast schon an ein Wunder, daß Marnie heute in den USA vor allem bei Feministinnen als eine Art Kultfilm gilt, eine Tatsache die allerdings eher auf soziologisch psychologische Hintergründe als auf cineastische zurückzuführen ist. »Marnie ist Hitchcocks Phantasie über das kleine Kind in der Frau und über den Züchtigungswahn der Männer. Auch ein Experiment damit, wie sehr das Freudsche Sozialisierungsmodell taugt für den Rahmen eines Suspense-Thrillers, in dem es anscheinend nur um die Auflösung kindlicher Traumata geht (die zu Verwirrungen bei Rot/Weiß-Wahrnehmungen, zu Alpträumen bei nächtlichen Klopfgeräuschen, zu Angstzuständen bei Gewittern führen). Im Grunde aber handelt der Film von den Stadien eines permanenten Schocks auf der einen Seite, die in ständige Transfers in andere Identitäten münden, und von der systematischen Manipulation einer Abhängigen, mal mit Gewalt, mal mit sadistischer Verzögerung zelebriert. Als der Film 1964 hierzulande in die Kinos kam, nahmen die meisten nur das offensichtliche wahr, das Konstruierte der Story, die Plumpheit der Darsteller. Dabei bleibt das Hintergründige kaum verborgen, die lüsternen Blicke des Mannes, der mit einer Diebin schlafen will, weil sie eine Diebin ist. Die enge, düstere Straße, in der die kühle Blonde aufgewachsen ist, ohne die Liebe ihrer Mutter, nach der sie sich wie wild verzehrt und der sie deshalb unentwegt Geldgeschenke macht. Die brodelnde Instabilität der Frau. Und Rutlands pathologische Bindung an sie, die er nur durch Zwang erreichen kann. Eigentlich ist der ganze Film eine einzige, gedehnte Vergewaltigungsphantasie. Marnie ist das schwarze Abenteuer einiger langer Tage Reise in die Nacht, ins Herz der tiefsten Finsternis. Aber auch: die fetischistische Liebe eines Mannes zu einer obsessiven Diebin als Parabel einer Widerspenstigen Zähmung.« (Norbert Grob in: Beier/Seeßlen (Hrsg.), Alfred Hitchcock)..

»Marnie ist und bleibt ein technisch schlampiger Film, etwas, was man bei Hitchcock sonst nicht kennt. Donald Spoto hat in seiner Hitchcock-Biographie die Hintergründe eingehend aufgedeckt. Gegen Ende der Dreharbeiten habe Hitchcock gegenüber seiner Hauptdarstellerin Tippi Hedren jeden Rest an Zurückhaltung und Würde aufgegeben und sie in ihrem Wohnwagen drangsaliert. Da sie seinen Antrag trotz Drohungen abgelehnt habe, hätte er sich von Stund an für alle Zeiten geweigert, Tippi Hedren jemals wieder persönlich anzusprechen. Darüber hinaus schien Hitchcock Marnie bewußt zu einem Mißerfolg machen zu wollen.« (Hahn/Jansen, Lexikon des Horror-Films). »Er kümmerte sich nicht mehr um die technischen Details, die Spezialeffekte, den sorgfältigen Einsatz der Rückprojektion und der künstlichen Dekorationen, die nach langem Zögern für größere Szenen entworfen worden waren. Er wies die Ratschläge von Designern und Assistenten zurück, man solle Alternativen zu diesen minderwertigen, fast notbehelfsmäßigen Kintoppmethoden suchen. Er hörte auf, sich für irgend etwas um ihn herum zu interessieren. Jahrelang weigerte er sich, über die auffallend groben technischen Fehler des Films zu sprechen... Jahrelang heckte eine Truppe von Hitchcock-Bewunderern verdrehte Argumente aus, die man mehr aufgrund ihres Erfindungsreichtums als ihres Zusammenhangs mit Tatsachen bewundern muß: Um einen Grund für die schlampige Technik des Films zu finden, mußten Rationalisierungen hergeholt werden, die beweisen sollten, diese Abweichungen seien von Hitchcock beabsichtigt gewesen, eine bewußte Umkehrung eines expressionistischen Stils, dessen Künstlichkeit die kranke Psyche symbolisieren sollte. Der wahre Grund aber war einfacher: Diese Momente in Marnie verstören nicht emotional, sondern sind schlicht visuelle Mißtöne; sie sind keine Anzeichen für eine absichtliche Verwendung unkonventioneller Methoden, sondern sind nur unerfreuliche Beispiele für das hochmütige Desinteresse des Regisseurs am endgültigen Produkt.« (Donald Spoto, Alfred Hitchcock).



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Cinema Nr.225 (2/1997), Plakatkarte

Beier, Lars-Oliver/Seeßlen, Georg: Alfred Hitchcock, Berlin 1999

Fründt, Bodo: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1986

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horror-Films, Berg.-Gladbach 1985

Müller, Jürgen: Filme der 60er, Köln 2004

Peary, Danny: Cult Movies 2, New York 1983

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock - Die dunkle Seite des Genies, München 1986

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1999

Truffaut, François: Mr.Hitchcock, wie haben sie das gemacht?, München 1984