Der unsichtbare Dritte




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1959
Länge
 
136 min. (3740 m)
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm
    (1.66:1, VistaVision)
Krimi
Thriller


Regie   Alfred Hitchcock
Drehbuch   Ernest Lehman
Kamera   Robert Burks
Spezialeffekte   A. Arnold Gillespie, Lee LeBlanc
Schnitt   George Tomasini
Musik   Bernard Herrmann
Ton   Frank Milton
Prod.-Design   Robert Boyle
Bauten   Robert Boyle, Henry Grace, Frank
    McKelvey
Ausstattung   William A. Horning, Merrill Pye
Maske   William Tuttle (Make-up), Sydney Guilaroff
    (Frisuren)
Produktion   Alfred Hitchcock, Herbert Coleman für
    MGM
Verleih   MGM, MGM/UA Home (Video)


Kinostart
USA
  17.07.1959
D
  18.12.1959 / Neustart: 21.10.1999
       
TV-Premiere
D
  26.12.1970, ZDF
       
DVD
USA
  29.08.2000 (Warner Home Video)
D
  22.03.2001 (Warner Home Video)
D
  05.11.2004 (Warner, Hitchcock Collection)
D   20.08.2005 (SZ-Cinemathek Nr. 25)


?



Cary Grant   (Roger Thornhill)
Eva Marie Saint   (Eve Kendall)
James Mason   (Philip Vandamm)
Jessie Royce Landis   (Clara Thornhill)
Leo G. Caroll   (Professor)
Philip Ober   (Lester Townsend)
Josephine Hutchinson   (»Mrs.Townsend«)
Martin Landau   (Leonard)
Adam Williams   (Valerian)
Edward Platt   (Victor Larabee)
Robert Ellenstein   (Licht)
Les Tremayne   (Auktionator)
Philip Cooligde   (Dr. Cross)
Edward Binns   (Captain Junket)
Pat McVey   (Polizist in Chicago)
Ken Lynch   (Polizist in Chicago)


Roger Thornhill, erfolgreicher Werbefachmann, zweifach geschieden (seine Frauen wollten nicht sein langweiliges Leben teilen), wird mitten in Manhattan von Gangstern entführt und in ein Landhaus verschleppt. Hier steht er Townsend, dem smarten Chef eines Spionagerings, gegenüber, der ihn für »Kaplan«, einen Agenten der Gegenseite, hält und ihm Informationen abpressen will. Der ahnungslose Thornhill wird mit Whisky betäubt und soll im Auto an einer Steilküste ins Meer abstürzen; er flüchtet jedoch, wird von der Polizei aufgegriffen und wegen Trunkenheit am Steuer vor Gericht gestellt. Nachforschungen im Landhaus ergeben, dass die Gangster alle Spuren beseitigt haben. Die Ermittlungen verlaufen im Sande. Um den wirklichen »Kaplan« zu finden und aus dem gefährlichen Spiel wieder auszusteigen, absolviert Thornhill, mit seinen Verfolgern auf den Fersen, nun eine alptraumhafte Odyssee, die ihn zunächst ins UNO-Gebäude führt. Hier hofft er, Townsend zu treffen; stattdessen gerät er an einen gänzlich unbeteiligten Politiker dieses Namens, der plötzlich, von einem Messer im Rücken getroffen, tot zusammenbricht. Thornhill steht nun auch unter Mordverdacht. Mit der Langeweile in Thornhills Leben ist es endgültig vorbei. Es hilft nur die Flucht und die Suche nach Mr.Kaplan. Der soll sich in Chicago aufhalten. Der Zuschauer erfährt, daß Kaplan ein nichtexistenter Spion im Kampf gegen den Spionagering eines gewissen Vandamm (eben jenes Mannes, der sich zu Beginn als Townsend ausgab) ist, erfunden, um den echten zu decken. Im Interesse der Staatsräson unternimmt die Obrigkeit nichts zum Schutze Thornhills, der auf sich allein gestellt seine wahre Identität beweisen muß. Im Schlafwagen des Zuges nach Chicago trifft Thornhill eine auffallend attraktive Frau - Eve Kendall -, die es versteht, die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken. Als sie Chicago erreichen, arrangiert sie ein Treffen mit Mr.Kaplan. Weit vor den Toren der Stadt an einer einsamen Bushaltestelle wartet Thornhill auf den Mann, der ihm seine Identität zurückgeben soll. Der Treffpunkt erweist sich als Falle: Ein Flugzeug, das Maisfelder bestäubt, attackiert Thornhill, der sich nur mit letzter Kraft retten kann. Das Flugzeug explodiert bei dem Aufprall auf einen Tanklastzug. Die Lage wird für Thornhill immer undurchsichtiger, bis man ihm mitteilt, daß Eve Kendall zwar Gespielin des Chefs eines ausländischen Geheimdienstrings sei, in Wirklichkeit aber für die Regierung arbeite. Thornhill müsse seine Rolle weiter spielen, sonst sei das Leben der Agentin in Gefahr. Er willigt ein, widersetzt sich jedoch der Absicht der Spionageabwehr. In einem Ausflugslokal gegenüber Mount Rushmore, mit den monumentalen Felsenbüsten der vier US-Präsidenten, treffen sich alle wieder: Vandamm mit seinen Spießgesellen und der blonden Eve; Thornhill, der von Eve verabredungsgemäß mit Platzpatronen »erschossen« wird - und der Abwehrchef, der seine »Leiche« fortschafft und noch ein kurzes Tête-à-tête zwischen Thornhill und Eve ermöglicht, bevor diese an der Seite Vandamms, doch im Interesse der Nation, ins Ausland fliegen soll. Aber dazu kommt es nicht: Thornhill schleicht sich in die hoch in den Felsen des Mount Rushmore gelegene Villa Vandamms; er deckt auf, dass die Gangster für Eve ein schauriges Ende vorgesehen haben. Beiden gelingt es, unter Mitnahme der von Vandamm erbeuteten Mikrofilme zu entfliehen, und nach einer atemberaubenden Kletterpartie unter der Felsennase Abraham Lincolns sind die Gangster tot, alle Rätsel gelöst und Thornhill und Eve ein Paar. Eine dritte langweilige Ehe bahnt sich an..

 


Der unsichtbare Dritte gehört wie Die 39 Stufen (1935), Sabotage (1936) und Der Mann, der zuviel wußte (1955) zu den aktionsreichen »Abenteuerfilmen« Hitchcocks. Robin Wood nennt Der unsichtbare Dritte ein »Divertissement«, das vielleicht nicht die psychologische Tiefe seiner kurz zuvor entstandenen Filme Das Fenster zum Hof (1953), Der falsche Mann (1956) und vor allem Vertigo (1958) hat, aber dennoch weit entfernt von purem Entertainment sei.

»North By Northwest ist die Summe der amerikanischen Filme Hitchcocks. Eine Fülle bekannter Motive und Konstruktionen werden hier noch einmal lustvoll variiert und elegant verwoben: Das Faible für ebenso verführerische wie zwielichtige und in der Regel blonde Frauen. Die Vorliebe für vertauschte Identitäten. Der ironische Kommentar zu symbiotisch engen Mutter-Sohn-Beziehungen. Die immer neuen Variationen des unschuldig verfolgten Helden. Der Spaß daran, Nationaldenkmäler wie die Freiheitsstatue oder die Präsidentenköpfe des Mount Rushmore als Klettergerüste für Jäger und Gejagte zu mißbrauchen. Die Lust am Spiel gegen die Erwartungen und Konventionen: Die Weite und die Helligkeit dieses Films, der Glanz seiner Oberflächen und die Eleganz der Anzüge von Cary Grant, kurzum, alles, was der Dunkelheit, der Angst, dem Dreck, der Schmuddeligkeit von Verbrechen und Tod widerspricht. Überhaupt das Vergnügen an paradoxen Konstruktionen: Daß man beispielsweise in einer Menschenmenge untertauchen kann, gerade indem man die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Oder die Erkenntnis, daß entwaffnende Offenheit eine bessere Tarnung ist als Heimlichtuerei. Das diabolische Vergnügen, einen nichtigen, fadenscheinigen Vorwand, seinen berühmten MacGuffin, zum Motor eines ganzen Films zu machen. Und last but not least auch die Souveränität, mit der er Wahrscheinlichkeit und Logik in den Wind schlägt.«(Anke Sterneborg in: Beier/Seeßlen (Hrsg.), Alfred Hitchcock).

Die berühmtesten Szenen des Films - sieht man einmal von der Schlußkletterei auf den Präsidentenköpfen ab - sind die, in denen Thornhill von einem Doppeldecker angegriffen wird; Szenen, die alle bisherigen Spannungsgesetze des Films auf den Kopf stellten. Nicht nur der krasse Widerspruch zwischen dem gepflegten Äußeren, das sein bisheriges Leben charakterisiert, und der trostlosen Prärie, in der Thornhill völlig deplaziert wirkt, machen diese Szene zu einem Höhepunkt. Es ist vor allem die scheinbar willkürliche Bedrohung aus dem Nichts, die Hitchcock in einem bewundernswerten Rhythmus inszeniert. Hier wird »Kino wirklich zu einer abstrakten Kunst.«´(François Truffaut). »Ich wollte mich gegen die Schablone stellen«, erklärte Hitchcock. »Ein Mann kommt an einen Ort, wo er wahrscheinlich umgebracht wird. Wie wird das im allgemeinen gemacht? Eine finstere Nacht an einer engen Kreuzung in einer Stadt. Das Opfer steht im Lichtkegel einer Laterne. Das Pflaster ist noch feucht vom letzten Regen. Großaufnahme einer schwarzen Katze, die eine Mauer entlangstreicht. Eine Einstellung von einem Fenster, hinter dem schemenhaft das Gesicht eines Mannes auftaucht, der nach draußen blickt. Langsam nähert sich die schwarze Limousine, usw. Ich habe mich gefragt, was das genaue Gegenteil einer solchen Szene wäre. Eine völlig verlassene Ebene in hellem Sonnenschein, keine Musik, keine schwarze Katze, kein geheimnisvolles Gesicht hinterm Fenster.« (Alfred Hitchcock in Truffaut, Mr. Hitchcock...).

Die Wahl der imposanten Schauplätze brachte einige Schwierigkeiten mit sich. Im New Yorker UN-Gebäude durften generell keine Spielfilme gedreht werden, so daß eigens für diese Szenenfolge aufwendige Kulissenbauten nötig waren. Die kurze Szene, in der Cary Grant das Gebäude betritt, wurde allerdings verbotenerweise doch im Originalgebäude mit einer versteckten Kamera aufgenommen. Ein weiteres Kuriosum ergab sich bei der Wahl der Schauspieler. Jessie Royce Landis, die in vortrefflicher Weise Cary Grants Mutter darstellte, war in Wirklichkeit gerade drei Jahre älter als ihr Kollege, doch wirkte beider Verwandtschaftsverhältnis in jeder Hinsicht glaubhaft.

Wie nicht anders zu erwarten war, wurde Der unsichtbare Dritte (mit seinen 136 Minuten Laufzeit der längste aller Hitchcock-Filme) ein ungeheurer Publikums -und Kritikererfolg, der es bei den Oscar-Feierlichkeiten immerhin auf drei Nominierungen brachte (Drehbuch, Ausstattung und Schnitt). Speziell die französische Kritik reagierte enthusiastisch: Gerade weil sich der Film jeder soziologischen oder philosophischen Attitüde enthalte, sei er reinste Metaphysik. Jede Einstellung sei durch unbezwingbare formale Logik und nicht durch persönlichen Geschmack bestimmt, meinte der Kritiker der Cahiers Du Cinéma. Nie sei Hitchcock der »art pour l'art« näher gekommen. Tatsächlich treibt Hitchcock sein Konzept des »MacGuffin« - also ein kriminalistisches Motiv, das die Handlung vorantreibt, inhaltlich jedoch weitgehend ohne Bedeutung ist - auf die Spitze: lautes Motorengeräusch übertönt den Dialog, in dem der Professor dem unwilligen Thornhill erklärt, warum seine Mitwirkung aus Gründen der Staatsräson weiterhin erforderlich ist. »Einen zwei Stunden lang dauernden Witz«, nannte Hitchcock selbst den Film. Der vordergründig komödiantische Charakter wird aber immer wieder gebrochen. Aus Spaß kann schnell ernst werden und umgekehrt. Das brillante Drehbuch gibt Cary Grant unzählige Gelegenheiten, durch sein komisches Talent eine scheinbar aussichtslose und mörderische Situation umkippen zu lassen. So sind auch zwei der letzten Einstellungen mit einem Match-cut verbunden, der typisch für Hitchcocks Umgang mit Hitchcocks Umgang mit lebensgefährlichen Situationen in diesem Film ist: Roger hält Eve am Mount Rushmore an einer Hand über dem Abgrund - im nächsten Bild zieht er sie auf das Stockbett in einem Schlafwagen. Die jetzige Mrs.Thornhill ist gerettet, der Zug fährt in einen dunklen Tunnel.



Academy Awards, USA
Jahr
  Kategorie/Preisträger
1960
Oscar
Beste Ausstattung (Farbe) - Robert F. Boyle, Henry Grace, William A. Horning, Frank R. McKelvy, Merrill Pye (Nominierung)
Bester Schnitt - George Tomasini (Nominierung)
Bestes Originaldrehbuch - Ernest Lehman (Nominierung)
 




Lesley Brill in: Film Criticism, 3/1981-82; Jocelyn Camp in: Literature/Film Quarterly, 1/1978; Marian Keane in: Wide Angle, 1/1980

Beier, Lars-Oliver/Seeßlen, Georg: Alfred Hitchcock, Berlin 1999

Bordwell, David/Thompson, Kristin: Film Art - An Introduction, New York 1993

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Fründt, Bodo: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1986

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horror-Films, Berg.-Gladbach 1985

Harris, Robert A./Lasky, Michael S.: Alfred Hitchcock und seine Filme, München 1979

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Menningen, Jürgen/Schulz, Berndt: Kultfilme, Hamburg 1983

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989

Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock - Die dunkle Seite des Genies, München 1986

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1999

Truffaut, François: Mr.Hitchcock, wie haben sie das gemacht?, München 1984

Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995

Zurhorst, Meinolf: Lexikon des Kriminalfilms, München 1993