Vorname Carmen




Technisches
Land
 
F
Jahr
 
1983
Länge
 
85 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Stereo
Format
 
35 mm (1.37:1)
Krimi
Erotik


Credits
Regie   Jean-Luc Godard
Drehbuch   Anne-Marie Miéville
Kamera   Raoul Coutard, Jean Garcenot
Schnitt   Suzanne Lang-Willar, Fabienne Alvarez,
    Jean-Luc Godard
Musik   Ludwig van Beethoven, Tom Waits
Ton   François Musy
Kostüme   Renée Renard
Produktion   Bernard Bouix, Alain Sarde für Sara Films,
    JLG Films, Films A2
Verleih   Concorde


Erstaufführung
Kinostart
F
11.01.1984
D
  13.07.1984
       
DVD
USA
23.02.2001 (Fox Lorber)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Maruschka Detmers   (Carmen)
Jacques Bonnaffé   (Joseph)
Myriem Roussel   (Claire)
Hyppolite Girardot   (Fred)
Christophe Odent   (Chef)
Jean-Luc Godard   (Onkel Jean)
Bertrand Liebert   (Carmens Leibwächter)
Alain Bastien-Thiery   (Hotelangestellter)
Christophe Odent   (Bandenchef)


Inhalt
Carmen lernt bei einem von ihr inszenierten Banküberfall den Polizisten Joseph kennen. Der kleine Polizist flieht mit ihr in die Wohnung ihres Onkels Jean am Meer, bis ihn die Polizei findet. Godard spielt selbst die (kleine) Rolle von Onkel Jean, eines einstmals berühmten Regisseurs und Produzenten. Am Anfang des Films sitzt er im Irrenhaus, einem Ort, an dem er sich geborgen fühlt. Als seine Nichte Carmen ihn besucht, um ihn für ein Filmprojekt zu gewinnen, versucht er gerade, wieder krank zu werden, so daß er die Anstalt nicht verlassen muß. Das Filmprojekt dient als Vorwand um die Tochter eines bekannten Industriellen zu entführen. Dazwischen eine poetische Liebesgeschichte: Joseph versucht, eine Rolle in Carmens Leben zu spielen, aber nicht die, die er ohnehin spielt. Aus seiner Liebe wird Verzweiflung. Carmens Komplizen behandeln ihn wie einen Fremden, so wie ihn auch Carmen mehr und mehr behandelt. Die Geschichte läuft auf einen Show-Down hinaus. Die Dreharbeiten in der Hotelhalle des Inter Conti, in der die Entführung ablaufen soll, werden von Onkel Jean arrangiert. Joseph versucht als »Querschläger« dieser Szene, Carmen zurückzugewinnen. Auch die Polizei ist längst auf dem Plan. Carmen und Joseph stehen sich mit Revolvern gegenüber. »Ich möchte wissen, wer zuerst schießt«, sagt der Polizist. Sterbend fragt Carmen, »Elektra« von Jean Giraudoux zitierend: »Wie nennt man das, wenn jeder alles verpfuscht hat, wenn alles verloren ist, aber der Tag beginnt. Und man atmet trotzdem.« Und sie bekommt die Antwort: "Man nennt es die Morgenröte, Mademoiselle.«



Kritik
»Godards Version der Carmen-Geschichte - der Ursprungsgeschichte nur in einigen Merkmalen der Figurenkonstellation und Details verbunden - schwelgt nicht im Mythos neuer Weiblichkeit. Seine Annäherung an die Carmen-Figur ist gebrochen und brüchig. Nicht die Musik von Bizet bestimmt diesen Carmen-Film, die wird nur ein paarmal von Statisten gepfiffen, sondern fünf Streichquartette von Beethoven. Immer wieder wird der Zuschauer Zeuge der Proben dieser Musik. Godards Film ist schwermütig und Komödie zugleich. Er vermeidet jeden Realismus. Die Szenen zwischen den Liebenden sind stilisiert wie ein Ballett, die räuberischen Überfälle von absurder Komik. Onkel Jean, das Alter Ego von Godard, ist ein Weiser in Narrengestalt, dessen Bonmonts dem Film die Tragik jeder genialen Komödie verleihen. Dagegen steht die Poesie der Bildsprache, die den Film zu Lyrik und Musik werden läßt. Das Meer, tosend im Rhythmus der Gefühle, und eine Autobahnauffahrt, bei der sich die individuellen Lebenspläne in den gleichförmigen Strom des gesellschaftlichen Lebens einordnen, dienen als immer wiederkehrende Bildmetaphern. Vorname Carmen ist voller Literaturzitate, oft mehr filmischer Essay als Spielfilm. Vorname Carmen ist pessimistisch und schwermütig, ein Film auf der Suche nach Sinngebung und Überwindung existentieller Not. Vorname Carmen ist burleske Komödie, der Tanz eines weisen Narren um das goldene Kalb gesellschaftlicher Identität. Und Vorname Carmen ist ein Versuch über Kunst und Leben von nicht alltäglichem Facettenreichtum.«(Josef Schnelle, Filmdienst).

»Die sarkastische Phantasie, mit der Jean-Luc Godard die Welt in Bilder und Töne, in Gesten, Wörter und Halbsätze zerhackt, um sie als Assoziations-Tummelplatz neu zu erschaffen - diese Intellektuellen-Phantasie funktioniert so virtuos, daß Sankt Godard schon längst von seinem Nimbus leben kann: Ob er nun gelbe Socken trüge oder gar nichts oder ein rostiges Schlachtmesser - der Cinéast vermutet Tiefsinn. In Wahrheit bekommt er jedoch nur Spielmaterial für seine eigene Phantasie: Nun mach'- oder laß es. Die Legende Godard. ›Alle Welt kennt Carmen‹, sagt Godard. Aber diese Allerwelts-Carmen war schon bei Saura dran. Was vor dem Vornamen kommt und noch davor (die Musik? Beethoven pur?) - erst dieses Informationsloch ist es, in dem Godards Vorstellungskraft aufblüht. Er spielt Onkel Jean, einen kranken Filmregisseur, der in der Nervenklinik vor sich hinmuffelt. Von der Nichte Carmen X, die er gern antatschen würde, läßt er sich seine Wohnung für Filmdreharbeiten abschwatzen. Carmen tarnt mit den Dreharbeiten aber nur einen Terroristen-Bankraub. Der Polizist Joseph fängt sie, ruiniert sich in ihren Fängen und macht sie traditionsgemäß hin. Das hektische Pathos der rituellen Bewegungen (Sex und Aggression!) wird immer wieder kontrapunktiert durch vier Musiker, die inbrünstig an Beethovens Streichquartetten üben - und durch die Brandung des Atlantik. Erotik, Terror, Meer, Musik. Lachhaft, diese ›Geschichte‹ nachzuerzählen. Sie entsteht erst im Wiedererkennungsnetz, das sich in jedem Zuschauerkopf anders zusammenknüpft. Godard beherrscht (mit seinemn exzellenten Kameramann Raoul Coutard) souverän die Bluff-Künste des Mediums: Ein Kultkinostück der fundamentalen Weiblichkeitserfahrung des Mannes, ironisch elegant - und raffiniert verquast.« (Ponkie, AZ).



Auszeichnungen
Filmfestival Venedig, Italien
Jahr   Kategorie/Preisträger
1983
Goldener Löwe
Goldener Löwe - Jean-Luc Godard

Spezialpreis - Raoul Coutard (Kamera), François Musy (Musik)

 


Bewertung
 
*
*
 


Literatur

Josef Schnelle in: film dienst, 15/1984

Cinema Nr.74 (7/1984), S.74



Weblinks

IMDB