Das Biest muß sterben




Technisches
Land
 
FI
Jahr
 
1969
Länge
 
112 min. (3060 m)
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.66:1)
Krimi
Thriller


Credits
Regie   Claude Chabrol
Drehbuch   Paul Gégauff, Claude Chabrol
Literaturvorlage   Nicholas Blake
Kamera   Jean Rabier
Schnitt   Jacques Gaillard
Musik   Pierre Jansen
Ton   Monique Fardoulis, Guy Chichignoud
Ausstattung   Guy Littaye
Maske   Louis Bonnemaison
Produktion   André Génovès für Les Films La Boetie /
    Rizzoli Film
Verleih   Meteor/Materna (16 mm), American
    Video


Erstaufführung
Kinostart
F
  22.01.1969
D
  Mai 1974
       
Videostart
D
  März 1984
       
TV-Premiere
D
  01.02.1970, ARD
       
DVD
USA
  20.05.2003 (Pathfinder)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Michel Duchaussoy   (Charles Thénier/Marc Andrieux)
Caroline Cellier   (Hélène Lanson)
Jean Yanne   (Paul Decourt)
Anouk Ferjac   (Jeanne Decourt)
Maurice Pialat   (Kommissar Constant)
Marc Di Napoli   (Philippe)


Inhalt
»Ich werde einen Menschen töten. Ich kenne weder seinen Namen noch seine Adresse, ich weiß nicht einmal, wie er aussieht. Doch ich werde ihn finden und töten.« Mit diesen Sätzen eröffnet der Kinderbuchautor Charles Thénier ein Tagebuch. Verwitwet, hatte er zurückgezogen nur mit seinem neunjährigen Sohn Martin gelebt. Da wird dieser von einem Auto überfahren, dessen Fahrer flüchtet. Die Polizei legt den Fall bald nieder, doch Charles stellt weiter Untersuchungen an. Der Zufall kommt ihm zu Hilfe. Es gibt einen Unfallzeugen. Der glaubt, in dem beteiligten Wagen die Fernsehschauspielerin Hélène Lanson erkannt zu haben. Charles macht unter anderem Namen ihre Bekanntschaft. Hélène verliebt sich in ihn und nimmt ihn mit in die Bretagne zu ihrer Schwester und ihrem Schwager Paul, dessen Geliebte sie einmal war. Aber, so viel erfährt Charles, der Tod des kleinen Jungen hatte ihr Verhältnis beendet. Charles lernt Paul kennen, einen Garagenbesitzer, verwickelt in dunkle Geschäfte, ein Biest in Menschengestalt, tatsächlich der Unfallfahrer. Hélènes Schwester Jeanne ist von Paul abhängig, läßt sich seine Mißhandlungen gefallen. Nur Philippe, Pauls zwölfjähriger Sohn, haßt seinen Vater so tief, daß er ihn umbringen will. Zwischen Charles und dem Jungen entwickelt sich ein Vater-Sohn-Verhältnis. In sein Tagebuch schreibt Charles: »Ich muß ihn töten. Der nächste Satz, den ich in dieses Buch schreibe, wird heißen: Ich habe ihn getötet.« Doch dann rettet er Paul das Leben, als dieser von einer Klippe zu stürzen droht. Paul findet das Tagebuch, erniedrigt Charles und wirft ihn aus seinem Haus. Hélène begleitet ihn. In einem Landgasthaus gesteht er alles. Da hören sie in den Nachrichten vom Tod Pauls. Er wurde vergiftet. Charles fährt zurück, die Polizei hält ihn aufgrund des Tagebuchs für den Täter, doch Philippe stellt sich. Um das Leben des Jungen zu retten, bezichtigt Charles sich des Mordes und nimmt sich anschließend das Leben.

 


Kritik
»Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt er auch« - dieser Satz aus dem Text der »Vier ernsten Gesänge« von Brahms, die den Film leitmotivisch durchziehen, charakterisiert den Inhalt von Chabrols moralischer Anti-Bürger-Geschichte. Sein Mörder - ein Bourgeois und Gourmet, ein akkurater Planer eines sauberen Mordes, der dann doch nicht seine Tat in die Wirklichkeit umsetzt. Chabrol vermeidet eine Festlegung. Auch Philippe könnte der Mörder seines Vaters gewesen sein. Die Irritation am Ende spiegelt die untergründig vorhandene Unruhe wieder, die den glatten Bildern und der klaren Handlungsführung widerspricht.

»Angesichts der Unsicherheit menschlicher Verhältnisse bleibt als Gewißheit nur der Tod, der in allen seinen Formen gegenwärtig ist: als Unfall, als Folge von Krankheit (Marcs Frau), als Mord und als Selbstmord. Die übrigen Ereignisse entbehren auf den ersten Blick der Endgültigkeit. Sie bilden zwar in sich geschlossene Einheiten, sind aber gegenüber dem, was jeweils folgt, vollständig offen, so daß die Geschichte an jedem Punkt jede beliebige Wendung nehmen könnte. Erst der Zufall, der nach Marcs eigenen Worten ›das einzig Reale zu sein scheint‹, fügt sie in eine begreifbare Ordnung ein. Marc sieht im Tod seines Sohnes zunächst eine grausame und willkürliche Katastrophe, die seinen inneren Frieden vernichtet. Doch die Suche nach dem Schuldigen führt ihn zu Philippe, der für ihn zum zweiten Sohn wird, und stößt seine vorgefaßte Meinung um. Denn Hélène, die er für mitschuldig hielt, weil sie ebenfalls im Unglückswagen saß, erweist sich als bedauernswertes Opfer. Sie durchbricht allmählich Marcs Schutzpanzer aus geheuchelter Gleichgültigkeit und Selbstbeherrschung. Der Zufall fügt es, daß Marc sich gerade in die Frau verliebt, die er als Objekt mißbrauchen, ja sogar töten wollte. Selbst Paul, das Biest des Titels, gewinnt nach und nach einen Hauch von Menschlichkeit. Gewiß, er tritt die Gefühle anderer mit Füßen; gewiß, er beutet andere physisch und psychisch skrupellos aus. Dennoch erregt er unser Mitleid, wenn ihm nach seinem Abrutschen von der Klippe die nackte Angst im Gesicht steht. Er gleicht Marc sogar darin, daß er eine Überlegenheit vortäuscht, die er nicht besitzt. Am Ende stirbt das ›Vieh‹ Paul wie der ›Mensch‹ Marc.

Chabrol verweist auf die allegorische Bedeutung seines Films durch eine bewußt schematisierte Dramaturgie. Die Handlung beschreibt einen Kreis und der Kreis ist auch die für den Film typische Kamerabewegung. Die Geschichte wird vom Meer, das den Tod verkörpert, umrahmt: am Anfang kommt Marcs Sohn vom Meer, am Ende segelt Marc aufs Meer hinaus. Außerdem sind Anfang und Ende mit Hilfe der Parallelmontage gestaltet: es wechseln Bilder von dem Jungen und dem nahenden Auto bzw. Bilder von Marc und Hélène; dazu erklingt jeweils das Lied von Brahms. Marcs Aufenthalt bei Paul beginnt mit dem Abendessen; unmittelbar nach seiner Abreis ißt er mit Hélène in einem Lokal. Zweimal versucht Marc, Paul zu töten; zweimal läßt er davon ab; zweimal kommt es zu einem längeren Gespräch zwischen Marc und Philippe. Die Personen des Films sind paarweise angeordnet: Paul und sein Partner mit ihren Frauen, Marc und Hélène, Philippe und Pauls Mutter, wobei Philippe gegen und die Mutter für Paul Partei ergreift. Indem Chabrol durch derartige Schematisierungen sicherstellt, daß die Geschichte auf der reinen Handlungsebene ohne Rest aufgeht, sorgt er für Irritation. Der Film endet nicht mit der Projektion des letzten Bildes, sondern läuft im Kopf des Betrachters weiter, denn, obwohl die Gleichung gelöst ist, bleiben paradoxerweise die Unbekannten stehen.« (Vinzenz B. Burg, Medien+Erziehung).

Seine Vorliebe für Doppelungen - in den Paarbeziehungen, den (möglicherweise) zwei Mördern, in der Dialektik von Paul und Charles - teilt Chabrol mit Alfred Hitchcock, den er als seinen Lehrmeister betrachtet. »Die Kriminalgeschichte ist bei ihm, nicht anders als bei Hitchcock, bei allem, was sie an Spannendem und Unterhaltendem, an Gedächtnisschärfung und Nervenkitzel bieten soll, mehr als nur Vordergrund. Sie ist Mittel zum Zweck. Sie soll die Sicherheit des Zuschauers, und Chabrol sieht den Zuschauer vor allem als einen bürgerlichen, selbstsicheren Menschen, zerbrechen. Chabrol will aufstören, verstören, unsicher machen: den Zuschauer entlassen mit der Erkenntnis, daß es keine Menschen gibt, die man katalogisieren kann.« (Chabrol, Materialien).



Auszeichnungen

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Bewertung
 
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Literatur

Vinzenz B. Burg in: medien+erziehung, 3/1974

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Chabrol (Hanser Reihe Film Bd.5), München/Wien 1976ff

Zurhorst, Meinolf: Lexikon des Kriminalfilms, München 1993



Weblinks

IMDB