Das Fenster zum Hof




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1953-54
Länge
 
112 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Western Electric
   
Sound System
Format
 
35 mm (1.37/1.66:1)
Krimi
Thriller


Regie   Alfred Hitchcock
Drehbuch   John Michael Hayes
Literaturvorlage   Cornell Woolrich
Kamera   Robert Burks
Spezialeffekte   John P. Fulton
Schnitt   George Tomasini
Musik   Franz Waxman
Ton   Harry Lindgren, John Cope
Prod.-Design   Hal Pereira, Joseph MacMillan Jones
Bauten   Sam Comer, Ray Mayer
Ausstattung   Hal Pereira, Joseph MacMillan Jones
Kostüme   Edith Head
Maske   Wally Westmore
Produktion   Alfred Hitchcock für Paramount
Verleih   Paramount


Kinostart
USA
  September 1954 (restaurierte Fassung: 21.1.2000)
D
  08.04.1955 (restaurierte Fassung: 13.07.2000)
       
TV-Premiere
D
  01.08.1988, ARD
       
DVD
USA
  06.03.2001 (Universal)
D
  13.06.2001 (Universal)
D
  30.01.2003 (Universal, Hitchcock Collection)
D
  04.11.2004 (Paramount, Paramount Collection)


 
USA
  1559000 $ USA (restaurierte Fassung)
 
D
  9435 Zuschauer (restaurierte Fassung, 2000)


James Stewart   (L.B. »Jeff« Jeffries)
Grace Kelly   (Lisa Fremont)
Wendell Corey   (Thomas J. Doyle)
Thelma Ritter   (Stella)
Raymond Burr   (Lars Thorwald)
Judith Evelyn   (Miß Lonely Hearts)
Ross Bagdasarian   (der Komponist)
Georgine Darcy   (Miß Torso, die Tänzerin)
Sara Berner   (Ehepaar mit Hund)
Frank Cady  
Jesslyn Fax   (Bildhauerin)
Rand Harper   (das junge Ehepaar)
Havis Davenport  
Irene Winston   (Mrs.Thorwald)
Marla English   (Party-Girls)
Kathryn Grandstaff  
Alan Lee   (Wirt)
Anthony Warde   (Polizist)
Benny Bartlett   (Miß Torsos Freund)
Harry Landers   (junger Mann)
Iphigenie Castiglioni   (Vogel-Frau)
Len Hendry   (Polizist)
Mike Mahoney   (Polizist)
Bess Flowers   (Frau mit dem Pudel)


Fotoreporter Jeffries, Jeff genannt, ist wegen eines komplizierten Beinbruchs an den Rollstuhl gefesselt: Zur Untätigkeit verdammt, beobachtet er aus Langeweile das Verhalten seiner Nachbarn auf der anderen Seite des Hofes hinter seiner Wohnung. Zwar hat er viele Menschen nie näher kennengelernt, deren Leben wie auf der Bühne vor ihm abrollt, doch werden sie für ihn in ihren Gewohnheiten immer vertrauter, ja er prägt für alle treffende Namen: die junge Ballettänzerin »Miß Torso«, die »Flitterwöchner«, »Miß Lonely Hearts«, »das Ehepaar mit dem Terrier«. Jeffs Masseuse Stella mokiert sich über das Hobby ihres Patienten, zumal dieser zur Befriedigung seiner Neugier oft sogar zum Feldstecher greift. Bei ihren täglichen Besuchen erkennt sie jedoch bald, daß sich Jeffs Interesse in erster Linie auf einen bestimmten Mieter konzentriert, der das gegenüberliegende Appartement mit seiner kranken Frau bewohnt. Viele kleine Anzeichen sprechen für ungewöhnliche Vorkommnisse. Die Frau, die eine rechte Nervensäge zu sein scheint, ist nach einer heftigen Auseinandersetzung plötzlich verschwunden. Warum verläßt nun der Mann von Gegenüber, dessen Name Thorwald ist, in der Nacht mehrmals mit einem Musterkoffer in der Hand die Wohnung, um kurze Zeit später mit dem Koffer zurückzukehren? Am nächsten Tag verwandelt sich Jeffs Neugierde in einen konkreten Verdacht, als er sieht, wie sein Nachbar eine Säge und ein Fleischermesser in Zeitungspapier einwickelt. Weitere Indizien erhärten den Verdacht. So kratzte der Hund eines Ehepaares immer an einer bestimmten Stelle im Hinterhof, eines Nachts ist er tot. Der gellende Schrei seiner Besitzerin läßt die gesamte Nachbarschaft aufwachen und aus den Fenstern schauen. Nur in der Wohnung des Mannes bleibt es dunkel. Nach einiger Zeit aber entdeckt Jeffries das Glimmen einer Zigarette, der Mann ist also anwesend und kümmert sich nicht um den Aufruhr im Hof. Jeffries Freund, der Polizist Tom Doyle läßt sich indes nicht überzeugen. Seine Recherchen ergeben, daß der Mann, Lars Thorwald, seine kranke Frau zu einer Schwester gebracht hatte. Doch Jeffries, Lisa und Stella sind anderer Meinung. Mittels falschem Telefonanruf lockt Jeff Thorwald aus seiner Wohnung. Während seiner Abwesenheit schleicht Lisa in seine Wohnung, um nach Indizien zu suchen. Sie findet den Ehering der Frau. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Thorwald überrascht Lisa in der eigenen Wohnung. Er attackiert sie, doch die Polizei, von Jeff alarmiert, trifft gerade noch rechtzeitig ein und verhaftet Lisa. Thorwald jedoch ist gewarnt; er erkennt, daß er beobachtet wird. Blind vor Wut dringt er in Jeffs Wohnung ein, stürzt sich auf Jeff und zerrt ihn aus seinem Rollstuhl. Jeffs einzige Gegenwehr sind blendende Blitze aus seinem Blitzlichtgerät, eine zu schwache Waffe. Thorwald schleppt ihn zum Fenster und stößt ihn über die Brüstung. Als Jeff aufschlägt, treffen gerade Doyle und einige Polizisten ein, die Thorwald, der den Mord gesteht, festnehmen. Jeff hat sich durch den Sturz nur eine Verletzung zugezogen: komplizierter Bruch des zweiten Beines.



Hitchcock konzentriert sich stets auf wenige handelnde Personen, wenige Schauplätze und einen überschaubaren zeitlichen Rahmen. In seinen besten Filmen hat er durch suggestiven Einsatz der Technik versucht, den Zuschauer zum unbewußten, heimlichen Zeugen der Vorgänge zu machen. Das klassische Beispiel dieses »Peeping Tom«-Effektes ist Das Fenster zum Hof, in dem Hitchcock seinem Helden und damit dem Zuschauer ein eigenes kleines Welttheater präsentiert, eine Wohnwelt, in der die alten Ordnungen und Sicherheiten nicht mehr vorhanden sind; keiner schottet sich mit zugezogenen Gardinen vor neugierigen Blicken ab; im Gegenteil: geöffnete Fenster, hell erleuchtete Zimmer, Hektik, Ausgelassenheit, schrulliges Verhalten. Hitchcock kennt die verborgenen Phantasien der Zuschauer, unsere uneingestandenen Perversionen und Gelüste. Er zwingt uns in die Perspektive des Voyeurs. Der wohliger Schauder steigert die Neugier. Plötzlich ist der Konflikt da: die Mordwaffe, das Messer, gegen den Feldstecher, das Teleobjektiv. Beide Gegenstände haben etwas gemeinsam und machen dadurch ihre Benutzer vergleichbar: »Beide symbolisieren Ersatzbefriedigungen, Perversionen; beide dringen in etwas Verbotenes ein, verletzen Tabus.« (Peter Buchka, SZ).

Bereits in seiner ersten Einstellung determiniert Hitchcock den Charakter von Ambiguität, den Das Fenster zum Hof einnimmt. Die Kamera schwenkt langsam über den Hinterhof, stellt dabei die einzelnen Wohnungen mit ihren Insassen vor und fährt langsam zurück, durch ein offenstehendes Fenster. Man erkennt das Gipsbein, einen zertrümmerten Fotoapparat, das Bild eines zerstörten Rennwagens und schließlich Jeffries, wie er entspannt im Rollstuhl sitzt - ist das alles nur eine Einbildung des Fotographen? Der weitere Verlauf des Films scheint dies zu bestätigen. Wir sehen immer nur Andeutungen, das kleine Welttheater, das Hitchcock im Hinterhof entwirft, entsteht vor allem aus den Vorstellungen Jeffries, der das Geschehene weiterspinnt und erst dadurch zu einer Geschichte macht. »Er, der Voyeur von Beruf wie aus Neigung, sieht nicht mehr als das, was ihm die Fenster als Ausschnitt des Alltagslebens freigeben. Er sieht keine zusammenhängenden Geschichten, nur deren Fragmente. Die Löcher, die diese zufälligen Handlungspartikel wegen ihres Mangels an räumlicher und zeitlicher Kontinuität hinterlassen, muß er mit seiner Phantasie füllen. Das ist Hitchcocks genialer dramaturgischer Trick: Realität ohne Phantasie hat keinen Sinn.« (Peter Buchka, SZ). »Sag mir alles, was du siehst, und was es deiner Meinung nach bedeutet«, bittet Lisa ihn einmal.

Zweifellos beschreibt Hitchcock in der Figur von Jeffries die Rolle des Filmregisseurs. Wie der Fotograf durch sein Fernglas und sein Teleobjektiv nur Fragmente sieht, inszeniert ein Regisseur Ausschnitte, Impressionen, die sich erst im Kopf des Zuschauers zu einer Geschichte vereinen. Und wie der Fotograf versucht auch ein Regisseur die Realität abzubilden und unterwirft sie dabei seiner künstlerischen Gestaltung. »Als Projektion der Projektion gilt dies aber auch für den Mörder, der all jene geheimen, verdrängten Wünsche schreckhaft und verbrecherisch in die Tat umsetzt, die sich Jeffries/Hitchcock nur als phantastisches Gedankenspiel ins Bewußtsein zu heben erlaubt. In Rear Window macht Hitchcock deutlich, daß der Künstler so schuldig ist wie der Mörder. Denn was zählt, sind die geheimen Triebe - nicht die Tat.« (Peter Buchka, SZ).

Der Parallelismus zwischen Jeffries und dem Mörder wird evident auch unter einem anderen Gesichtspunkt: der Beziehung des Mannes zur Frau. Ihr Verhältnis wird dabei bestimmt durch Frustration und Angst. Wie der Mörder mit seiner zänkischen Frau nicht mehr schlafen kann oder mag, zugleich von ihr schon beim telephonischen Verkehr dauernd gestört wird, so ist auch Jeffries, eingepanzert in seinen Gips, unterhalb der Gürtellinie ziemlich lahmgelegt. Das muß um so schlimmer sein, als er ausgerechnet von Grace Kelly, der Hitchcockschen Superfrau par exellence, gehegt und gepflegt wird - mit dem eindeutigen Ziel, geheiratet zu werden. Jeffries möchte dies aber gar nicht, denn ihn plagt die nackte Angst, dieser Frau nicht genügen zu können. Er fürchtet um nichts weniger, als um seine männliche Identität. Dabei wird Jeff durch jeden seiner Nachbarn eine Art Verbindung zur Zukunft seiner Beziehung mit Lisa geliefert. »In einer der ersten Szenen sagt er zu einem Freund am Telefon, daß er die Ehe für schrecklich, langweilig und bedrückend hält. Während er das sagt blicken wir mit ihm hinüber zu Thorwald, der gerade von der Arbeit zu seiner nörgelnden Frau zurückkehrt -die, wie wir bei Lisas Auftritt einige Momente später bemerken, dieser verblüffend ähnlich sieht. Alle weiblichen Nachbarn sind Beispiele dafür, wie Lisas Zukunft aussehen könnte: Vor allem ist die traurige Miss Lonelyhart am engsten mit Lisa verwandt. In einem Großteil des Films trägt Lisa ein hellgrünes Kostüm; auch Miss Lonelyheart ist bei ihrem Rendezvous grün gekleidet. Als Lisa in die Wohnung der Thorwalds einsteigt, findet sie den Ehering der Frau, steckt ihn an den Finger und hält ihn stolz in die Höhe - für Jeff, der sie durch den Feldstecher beobachtet. Aber diese Geste verrät sie und bringt Jeff in Gefahr, denn Thorwald kommt zurück, und sein Blick wandert von ihrem Finger zu dem beobachtendem Jeff - das heißt, direkt zu uns. Mit dieser Szene schließt Hitchcock den Kreis: Lisa hat das ganze Abenteuer als Möglichkeit gesehen, Jeff zu zeigen, was für eine gute Ehefrau sie sein kann; sie steckt den Ring nicht nur deshalb an den Finger, weil sie ihren Verdacht über das Schicksal von Mrs. Thorwald bestätigen will, sondern auch um Jeff sozusagen einen Heiratsantrag zu machen.« (Donald Spoto, Alfred Hitchcock und seine Filme).

Fast beiläufig demonstriert Hitchcock auch noch Filmtheorie. In seinem Interview mit Truffaut erläutert er dies. Er zitiert den russischen Theoretiker Pudowkin, der über die Manipulationsfähigkeit der Montage geschrieben hat. Hitchcock setzte dies wortwörtlich um. »Genauso nehmen wir eine Großaufnahme von James Stewart. Er schaut zum Fenster hinaus und sieht z.B. ein Hündchen, das in einem Korb in den Hof hinuntergetragen wird. Wieder Stewart, er lächelt. Jetzt zeigt man anstelle des Hündchens, das im Korb nach unten getragen wird, ein nacktes Mädchen, das sich vor einem offenen Fenster dreht und wendet. Man nimmt wieder dieselbe lächelnde Großaufnahme von James Stewart, und jetzt sieht er aus wie ein alter Lüstling.« (Truffaut, Mr.Hitchcock, wie ...).

Hitchcock, der sich während der Dreharbeiten als rundherum zufrieden erwies, war lediglich über die Musik von Franz Waxman etwas unglücklich. »Auf der anderen Seite des Hofs gab es den Musiker. Ich wollte, daß man hörte, wie er sein Lied komponiert, es sich entwickelt, und den ganzen Film hindurch sollte man die Entwicklung des Liedes verfolgen können, bis es schließlich mit Orchester von der Platte kommt. Das hat nicht geklappt. Ich hätte dafür einen Schlagerkomponisten nehmen sollen. Ich war sehr enttäuscht.« (Hitchcock).

Das Publikum bekam diesen Streifen nur äußerst selten zu sehen. Nach dem Tod von Cornel Woolrich, der mit seiner Novelle die Vorlage zum Film geschrieben hatte, klagte das Anwaltsbüro, das die Tantiemen-Rechte seiner Werke gekauft hatte, gegen Paramount und Hitchcock und verbot einstweilen bis zur endgültigen Klärung der rechtlichen Verhältnisse weitere Aufführungen des Films. Später war es Hitchcock, der sich in seinem Testament dafür einsetzte, daß Das Fenster zum Hof neben weiteren Filmen wie Immer Ärger mit Harry oder Vertigo erst nach seinem Tod wieder dem Publikum zugänglich gemacht werden sollte. Nachdem er 1980, und kurz darauf seine Frau Alma gestorben war, veranlaßte Hitchcock-Tochter Patricia die Wiederaufführung dieser bedeutenden Werke. 1967 wurden die Filmnegative bei einem Brand zerstört. Aus den besterhaltendsten Kopien und Soundtracks mixten Robert A. Harris und James C. Katz, die für die Universal-Studios schon Lawrence von Arabien und Vertigo restaurierten, ein neues Original, die der Urfassung in Bild- und Tonqualität gleichkommt. Die Farben sind kühler und intensiver, als in allen Kopien, die man seit den 50ern in Kino und TV sehen konnte - schon dies allein lohnt das Wiedersehen mit dem Meisterwerk.



Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1955 Oscar
Beste Farbkamera - Robert Burks (Nominierung)
Beste Regie - Alfred Hitchcock (Nominierung)
Bester Ton - Loren L. Ryder (Nominierung)
Bestes adaptiertes Drehbuch - John Michael Hayes (Nominierung)
 
British Academy Awards, UK
Jahr   Kategorie/Preisträger
1955 British Academy Award
Bester Film (Nominierung)
 




David Atkinson in: American Cinematographer, 1/1990; Jörg Bockow in: medien+erziehung, 5/1984; Norbert Grob in: epd Film, 3/1984; Thomas Harris in: Literature/Film Quarterly, 1/1987; R. Barton Palmer in. Cinema Journal, 2/1985-86

Cinema Nr.109 (6/1987), Plakatkarte

Beier, Lars-Oliver/Seeßlen, Georg: Alfred Hitchcock, Berlin 1999

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Engelmeier, Peter W.: 100 Jahre Kino - Die großen Filme, Augsburg 1994

Fründt, Bodo: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1986

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horror-Films, Berg.-Gladbach 1985

Hickethier, Knut/Schumann, Katja (Hrsg.): Filmgernes: Kriminalfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Müller, Jürgen: Filme der 50er, Köln 2005

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock - Die dunkle Seite des Genies, München 1986

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1999

Truffaut, François: Mr.Hitchcock, wie haben sie das gemacht?, München 1984

Zurhorst, Meinolf: Lexikon des Kriminalfilms, München 1993