Stardust Memories




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1980
Länge
 
91 min. (2629 m)
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm
Fantasy
 Drama
Komödie


Regie   Woody Allen
Drehbuch   Woody Allen
Kamera   Gordon Willis
Schnitt   Susan E. Morse
Musik   Dick Hyman, Sidney Bechet,
    Django Reinhardt, Lester Young,
    Count Basie, Marie Lane, M.P.
    Musorgsky, Chick Webb, Cole
    Porter, Glenn Miller, Louis Armstrong
Ton   James Sabat, Dan Sable (Schnitt)
Prod.-Design   Mel Boume
Bauten   Steven Jordan
Ausstattung   Michael Molly
Kostüme   Santo Loquasto, Ralph Lauren
Maske   Fern Buchner (Make-up), Werner
    Scherer(Frisuren)
Produktion   Robert Greenhut, Charles H. Joffe,
    Jack Rollins für United Artists
Verleih   United Artists, Warner Home Video


Kinostart
USA
  26.09.1980
D
  22.01.1981
       
Videostart
D
  November 1985
       
DVD
USA
  05.07.2000 (MGM Home Entertainment)
Gb
   


 
USA
  10400000 $


Woody Allen   (Sandy Bates)
Charlotte Rampling   (Dorrie)
Marie-Christine Barrault   (Isobel)
Jessica Harper   (Daisy)
John Rothman   (Jack Abel)
Amy Wright   (Shelley)
Helen Hanft   (Vivian Orkin)
Daniel Stern   (Schauspieler)
Tony Roberts   (Tony)
Anne Desalvo   (Sandys Schwester)
Joan Neumann   (Sandys Mutter)
Ken Chapin   (Sandys Vater)
Leonardo Cimino   (Sandys Analytiker)


Ein tristes Zugabteil, gefüllt mit merkwürdigen Figuren: ein Fetter, ein Weinender, ein Ausgemergelter, ein Prototyp-Arier. Inmitten der Groteskerie Woody Allen, sich sichtlich unwohl fühlend. Als er auf dem Nachbargleis ein Zugabteil sieht, in dem sich eine Hochzeitsgesellschaft lauthals vergnügt, versucht er zu flüchten, den Schaffner zu überzeugen, daß er im falschen Zug sitzt - vergeblich. Als sein Zug jedoch am Ziel angekommen ist, ist auch die fröhliche Gesellschaft wieder da. Gemeinsam wandern sie über eine Müllkippe, über der die Möwen schweben. Diese kafkaeske Eröffnungssequenz von Stardust Memories ist in Wahrheit die Schlußszene des neuen Films von Sandy Bates, um dessen künstlerische Krise sich der eigentliche Film drehen wird. Sandy Bates, ist durch komische Filme berühmt geworden und will nun ebendiese komischen Filme nicht mehr drehen. Was seine Fans, die ihn während eines Filmwochenendes im Stardust-Hotel bestürmen, allerdings nicht akzeptieren wollen. Unermüdlich biedern sie sich an, verlangen Autogramme, entblöden sich nicht, ständig zu beteuern, wie sehr ihnen seine frühen, komischen Filme gefallen haben. Resignierend bezahlt Sandy den Preis seiner Berühmtheit, signiert willig Busen und wimmelt Ehefrauen ab, die darauf bestehen, ihr Autogramm bei einem besonders guten Joint im Bett zu erhalten. In einer fragmentarischen Erzählstruktur verwischen sich alsbald Gegenwart, Realität und Phantasie zum Bild eines narzißstischen Künstlers, den nicht so sehr sein Mangel an Kreativität bestürzt, als die Tatsache, daß er den Willen dazu verloren hat. In zahlreichen Episoden stellt der Film all die Krisenauslöser vor. Neben den Fans sind da vor allem die Produzenten, die z.B. das eingangs erwähnte Ende von Sandys neuem Film zu einem Happyend im Jazzhimmel umfunktionieren wollen. Und natürlich trägt auch der Sexus sein Scherflein dazu bei. Drei Frauen sind es, die Sandy an diesem Wochenende noch zusätzlich verwirren - Dorrie, eine neurotische Schauspielerin mit besonderem Talent für Eifersuchtsszenen; Isobel, eine geschiedene Französin mit zwei Kindern; Daisy, eine junge Violini-stin bei den New Yorker Philharmonikern.

 


»Woody Allen, dessen Filme ihre Stärke in Reflexionen über sein Leben und das seiner in Mitleidenschaft gezogenen Umgebung fanden, hat sich in ein schmerzvolles Remake von zurückgezogen. Mit Stardust Memories hat er einen Filmstudio-Käfig um seine Erfahrungen errichtet und Bilder der Gitterstäbe und Gefängniswärter produziert.« (Filme). »Es geschieht in diesem Film die Selbstanalyse eines großen Komikers und Filmemachers. Woody Allen hat bestritten, Stardust Memories sei autobiographisch. Hier irrt oder lügt er bewußt. Er gibt die Verzweiflung, die Eitelkeit, Glück und Elend eines trügerisch erfolgreichen Filmidols wieder. Er stückelt Erfahrungen der Unfreiheit im Erfolg, das persönliche Unglück im öffentlichen Applaus.« (Die Welt).

»Vielsagenderweise frönt Allen nicht mehr den Beteuerungen seiner romantischen Unschuld. Warum entschwindet ihm die Liebe? Warum ist Sandy ein aussichtsreicher Kandidat für den August-Strindberg-Preis für Beziehungen zum anderen Geschlecht? Die Antworten sind nur zu offenkundig, wenn sich Sandy ständig im Kreis bewegt, müde seiner neuesten Flamme Daisy versichert, daß sie keine Schwierigkeiten machen und vielleicht die perfekte Frau sein werde, obwohl er gerade erfahren hat, daß Daisy bisexuell ist. Für Allen und uns, vielleicht auch für Sandy, ist nun klar, daß er seine selbstzerstörerischen Liebesaffären wiederholen wird, da ihn eben nur Schwierigkeiten noch erregen können.« (Diane Jacobs, The Magic Of Woody Allen). Und als sich Sandy in einer Frankenstein-Traumsequenz aus den einzelnen Charakterzügen seiner Frauen tatsächlich die perfekte Frau zusammenoperiert, muß er am Ende verzweifelt feststellen, daß er eigentlich das Ausschußprodukt der Operation liebt.

Schwierigkeiten, Zerfall, Tod. Von der Zielscheibe sind sie zum Thema Woody Allens aufgestiegen; der Humor von Der Stadtneurotiker und der Ernst von Innenleben haben sich zu einem verdüsterten Film zusammengezogen, der zwischen Tragödie und finsterer Komödie balanciert. Eine Schlüsselszene zeigt Sandy in seiner Stadtwohnung, plakativ umgeben von zwei großen Wandbildern - Groucho Marx und ein Vietkong im Moment seiner Exekution. Dazu sieht man ihn über einen Artikel in einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift nachgrübeln, der die Instabilität des Protons konstatiert: »Bin ich denn der einzige, der bemerkt hat, daß das Universum um uns herum langsam zerbröselt?« - »Diese und ähnliche Fragen, die Sandy Bates sich stellt (einmal will er sogar von außerirdischen Ufo-Wesen etwas über seine Bestimmung erfahren), führen eher von Fellini weg zum Ingmar Bergman der frühen sechziger Jahre.« (Filmbeobachter).

Wie der Held in Preston Sturges Sullivans Reisen, wie James Stewart in Ist das Leben nicht schön? vielleicht auch, steuert Sandy Bates auf das kathartische Erlebnis zu, die Erfahrung, daß der wahre Tod um vieles schmerzvoller ist als eine auch noch so unbefriedigende Realität: Als der Heiratsantrag von Isobel ablehnt, erlebt Sandy eine, in mehrfacher Hinsicht signifikante Vision seines Todes. Ein Fan, der in der Mitte des Films ein Autogramm gefordert hat, tritt auf ihn zu und erschießt ihn. »Ziemlich viele Leute waren entsetzt, daß ich eine ambivalente Haßliebe-Beziehung zwischen Publikum und Star anzudeuten wagte. Und dann, kurz nach der Premiere von Stardust Memories, wurde John Lennon von genau dem Typ erschossen, der ihn einige Stunden zuvor um ein Autogramm gebeten hatte. So etwas passiert Stars in der Tat. Am einen Tag lieben dich die Leute, am nächsten Tag wollen sie dich umbringen. Und der Star denkt genauso über seine Fans: Im Film stellt sich Sandy vor, daß ihn dieser Fan umbringt. Aber in Wirklichkeit ist es doch Sandy, der den Revolver besitzt. Der Star stellt sich also vor, daß der Fan ihm antun wird, was in Wirklichkeit er selbst dem Fan am liebsten antun würde. Die Leute wollen das nicht hören - es ist eine unangenehme Wahrheit, die ich da darstelle.« (Woody Allen). Die Vision erlöst Sandy. Er kehrt ins Leben zurück, akzeptiert seine wahren Fähigkeiten, versöhnt sich mit Isobel und der Realität und entwirft sogar einen neuen, vielleicht alle befriedigenden Schluß seines Films. Am Ende von Stardust Memories sitzt Sandy allein vor der leeren Leinwand und verläßt als letzter den Saal. Das karthatische Erlebnis ist durchlaufen, der Tod geleugnet. Die Realität ist immer noch entsetzlich, bleibt aber auch der einzige Ort, wo man ein gutes Steak bekommt.

»In der Mischung aus Realität und Phantasie, Erinnerung und Philosophie, Liebe, Haß und Eifersucht, Melancholie und Traurigkeit, bitterem Humor und zynischem Witz liegt tiefe Verzweiflung über eine Zeit und eine Gesellschaft, die sich in ihren Zwängen und Verdrängungen festgefahren hat.« (TZ).



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Wolfgang J. Fuchs in: medien+erziehung, 6/1989; Franz Ulrich in: film-dienst, 1/1981

Cinema Nr.33 (2/1981), S.20

Gerhold, Hans: Woodys Welten (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1991

Rauh, Reinhold: Woody Allen (Heyne Filmbibliothek), München 1991