Der Fremde im Zug




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1951
Länge
 
101 min.
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
RCA Sound System
Format
 
35 mm (1.37:1)
Krimi
Thriller


Regie   Alfred Hitchcock
Drehbuch   Raymond Chandler, Czenzi Ormonde,
    Whitfield Cook
Literaturvorlage   Patricia Highsmith
Kamera   Robert Burks
Spezialeffekte   H.F. Koenekamp
Schnitt   William H. Ziegler
Musik   Dimitri Tiomkin
Ton   Dolph Thomas
Bauten   George James Hopkins
Ausstattung   Edward S. Haworth
Kostüme   Lea Rhodes
Maske   Gordon Bau
Produktion   Alfred Hitchcock für Warner Brothers/
    First National Pictures
Verleih   Warner Columbia, Warner Home (Video)


Kinostart
USA
  03.07.1951
D
  01.02.1952
       
TV-Premiere
D
  29.09.1969, ZDF
       
DVD
USA
  10.06.1997 (Warner Home Video)
USA
  07.09.2004 (Warner Home Video, Special Edition)
Gb
  09.04.2001 (Warner Home Video)
D
  05.11.2004 (Warner Home Video, Hitchcock Coll.)


?



Farley Granger   (Guy Haines)
Ruth Roman   (Anne Morton)
Robert Walker   (Bruno Anthony)
Leo G. Carroll   (Senator Morton)
Patricia Hitchcock   (Barbara Morton)
Laura Elliot   (Miriam Haines)
Marion Lorne   (Mrs.Anthony)
Jonathan Hale   (Mr.Anthony)
Howard St.John   (Capt. Turley)
John Brown   (Prof. Collins)
Norma Varden   (Mrs.Cunningham)
Robert Gist   (Hennessy)
John Doucette   (Hammond)
Charles Meredith   (Richter Dolan)
Murray Alper   (Bootsmann)
Roy Engel   (Polizist)


Im Nordexpress von Washington nach New York spricht Bruno Anthony, ein verwöhnter Junggeselle, den berühmten Tennischampion Guy Hanes an. Bruno weiß alles über das Sportidol und schlägt ihm vor, jeder von ihnen solle für den anderen einen Mord begehen. Bruno will Guys Frau umbringen, da sie sich nicht von ihrem Mann scheiden lassen will, und im Gegenzug soll Guy Brunos überaus gestrengen Vater töten. Der perfekte Doppelmord: Der Verdacht könne weder auf Guy noch auf Bruno fallen, weil die Polizei keinerlei Motive für die Taten finden könne. Guy lehnt mit einem nervösen Lächeln ab und verläßt den Fremden, ver-gißt jedoch sein Feuerzeug. Bruno führt den ersten Teil des Plans aus. Auf einer kleinen Insel am See eines Vergnügungsparks erwürgt er Guys Frau. Da Guy mit der Tochter eines Senators liiert ist, fällt der Verdacht auf ihn. Sein Alibi ist äußerst dünn. Von nun an wird er von der Polizei beschattet. Bruno meldet sich und besteht auf der Einhaltung der Abmachung. Als Guy Bruno hereinlegen will, beschließt Bruno, ihm einen Strick zu drehen. Er will das Feuerzeug, das er im Zug an sich genommen hatte, am Tatort verstecken und der Polizei einen Hinweis zukommen lassen. Guy hat wenig Zeit. Er muß so schnell wie möglich ein Tennis-Match absolvieren, um Bruno zuvorzukommen. Von der Polizei verfolgt, trifft Guy endlich auf dem Vergnü-gungspark ein. Bruno ist bereits hier und wartet nur auf die Dämmerung, um unerkannt das Feuerzeug an den Tatort zu legen. Als er Guy und die Polizisten sieht, springt er auf ein fahrendes Karussell. Guy setzt nach. Durch den erbitterten Kampf wird der Antriebsregler verstellt, so daß sich das Karussell in atemberaubender Geschwindigkeit immer schneller dreht und dann in sich zusammenfällt. Wie ein Wunder ist Guy mit heiler Haut davongekommen. Bruno liegt tödlich verletzt in den Trümmern. Noch im Todeskampf weigert er sich, mit der Wahrheit herauszurücken. Als er tot ist, öffnet sich seine Hand, die Guys Feuerzeug umklammert hält. Ein Schausteller identifiziert den Toten als den Mann, der damals Guys Frau auf die Insel gefolgt ist. Guy ist entlastet.

 


»Es ist leicht zu verstehen, was Hitchcock an dieser Geschichte zweier Männer gefiel, die sich zufällig begegnen und deren Schicksale sich miteinander verknüpfen,« schreibt Hitchcock-Biograph Donald Spoto, »Hitchcock fiel die Möglichkeit auf, eines seiner Lieblingsthemen weiter zu entwickeln: den Austausch von Schuld; außerdem konnte er die Koexistenz von Gut und Böse innerhalb einer einzigen Beziehung und in den sich ähnelnden Persönlichkeiten der beiden Fremden untersuchen. Noch mehr reizte ihn, diese Idee in der Form des Films dramatisch wiederzugeben - als eine Serie von Doppelungen oder Paaren, wie acht Jahre zuvor in Im Schatten des Zweifels.« Schon der Anfang des Films symbolisiert das Thema der Ambiguität, der Doppelungen. Zwei Fußpaare sind zu sehen, dann zwei Schienenstränge. Von diesem Moment an verliert der Film das faszinierende Design der Doppelungen nicht mehr aus dem Sinn. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Bruno erwähnt das Doppel in Southampton, bestellt zwei Drinks, doppelte. Es gibt zwei Tennisspiele, zwei abwesende Väter (Mr.Morton und Mr.Anthony), zwei Schwestern (Anne und Babs), zwei Frauen für Guy (Anne und Miriam), zwei Frauen mit Brillen (Miriam und Babs), zwei Begleiter für Miriam, zwei Beschatter von der Polizei in zwei Städten, zwei Fahrten nach Metcalf und zurück nach Washington, zwei ältere Damen bei den Mortons auf der Party, zwei Reisen zum Vergnügungspark, zwei Karussellfahrten für Bruno, zweimal Mr.Anthony (als reale Person und als häßliches Ölgemälde), zwei Hitchcocks im Film (Alfred und Patricia), zwei Liebespärchen (Anne und Guy, Babs und Hennessey), zweimal sehen Bruno und Guy zur gleichen Zeit auf die Uhr, zweimal sehen sie gleichzeitig zur Sonne. »Das Motiv der Doppelungen, das der Romantik und dem Viktorianischen Zeitalter entsprang und in Büchern wie Wildes Das Bildnis des Dorian Gray oder Stevensons Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr.Hyde thematisiert wurde, spiegelte stets einen tiefreichenden Konflikt wieder - die Angst, mit der Entdeckung des verborgenen Ichs zugleich die eigene Zerstörung in Gang zu setzen. Natürlich wünscht Guy Haines den Tod seiner Frau, die ihn an der Heirat mit der hübschen Senatorentochter Ann hindert, doch seinen Wunsch setzt Bruno in die Tat um, ein gefährlicher Psychopath, dessen ödipale Schwierigkeiten ihn in den Wahnsinn trieben. Die Gesetzmäßigkeiten rationalen Handelns hätte für Guy die Benachrichtigung der Polizei vorgesehen, doch statt dessen beginnt er sich wie ein Schuldiger zu fühlen und zu verhalten, sind doch seine innersten, dunklen Gedanken ans Tageslicht gekommen. Hitchcock ließ diese beiden Seiten von Guys Persönlichkeit in zwei verschiedenen Welten spielen. Bruno lebt in einem riesigen, düsteren Haus, während Guy sich auf hellen Tennisplätzen und gut besuchten Parties bewegt. Diese formale Gestaltung spiegelte dabei sehr genau Hitchcocks Persönlichkeit wider, seine Faszination von dunkler Triebhaftigkeit und sein betont bürgerliches Leben.« (Meinolf Zurhorst, Lexikon des Kriminalfilms). »Überschneidemd montiert Hitchcock immer wieder selbst alltägliche Handlungen von Bruno und Guy. Guys Wunsch, Miriam zu erwürgen, wird sofort mit einer Nahaufnahme von Brunos Händen kommentiert. Bruno benutzt dieselbe Telefonzelle wie Guy, er blickt auf die Uhr und Guy liest andernorts die Zeit ab, einer zündet sich die Zigarette an, der andere raucht in der nächsten Einstellung weiter. Begegnen sich Bruno und Guy, so sind sie zunächst durch Säulen und Gitter voneinander getrennt, aber nach kurzer Zeit lösen sich die Bildhälften auf, und beide teilen einen gemeinsamen Hintergrund. Einer der vielen magischen Alltagsgegenstände in Hitchcocks Werk ist das Feuerzeug, das Guy im Zug vergisst und das die beiden bis zum Ende aneinanderkettet. ›A to G‹ ist eingraviert, ›Ann to Guy‹. Aber ›A‹ kann auch für Anthony stehen, den Nachnamen Brunos. Wie ein Liebhaber übernimmt Bruno mit diesem Feuerzeug Anns Platz an Guys Seite - ein tödliches Verhältnis.« (Christop Mecke in: in: Knut Hickethier/Katja Schumann (Hrsg.), Filmgenres: Kriminalfilm). Für die damalige Zeit ist das Motiv von Guys und Brunos homosexuell angehauchter Freundschaft recht explizit: Es dient der Erweiterung des Themas der zwei Aspekte in einer einzigen Persönlichkeit.

Höhepunkt des Films ist sicherlich der Mord von Brunos an Guys Ehefrau. Der Vorgang des Erwürgens, von dem Hitchcock sich überhaupt fasziniert zeigte, ist nicht direkt zu sehen, sondern als Reflexion in einem der Brillengläser des Opfers. In der Verzerrung - es wurde eigens eine riesige Linse dafür angefertigt - bekommt der Mord den Charakter eines Alptraums, die perspektivische Veränderung als Ausdruck einer gestörten Psyche gemahnt dabei an den deutschen expressionistischen Film, der auf vergleichbare Weise versuchte, Wahnsinn visuell umzusetzen. »Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß für Alfred Hitchcock eine besondere Faszination darin lag, die abscheulichste menschliche Tat auf unvergeßliche und visuell packende Art zu planen und zu filmen, das Publikum gar mit der fast fanatischen Natur des Mordaktes zu beeindrucken. Es ist aber auch wahr (und nirgends wahrer als in dieser speziellen Mordszene und in der Partyszene, in der Walker den Vorteil des stillen Erdrosselns als einer perfekten Tötungsart demonstriert), daß Hitchcock im eigentlichen Akt des Mordens etwas Schönes, etwas Angenehmes sah - etwas aus einem Wunschtraum und gleichzeitig aus einem Alptraum.« (Donald Spoto).

Die Rechte an Patricia Highsmith erstem Roman kosteten Hitchcock nur 7500 Dollar, die Erarbeitung des Drehbuchs durch Raymond Chandler bei 2500 Dollar Wochengage schon erheblich mehr. Chandler, der durch seine großen Kriminalromane seinen Marktwert erschrieben hatte, kam weder menschlich (Chandler über Hitchcock: »Dieses fette Schwein.«) noch fachlich mit Hitchcock zurecht, weil Hitchcock hartnäckig darauf bestand, das Drehbuch müsse sich an seine visuellen Anforderungen halten. Hitchcock ließ die zweite Drehbuchfassung Chandlers von anderen Mitarbeitern überarbeiten und in die endgültige Form bringen. Als Chandler, der daran gedacht hatte, seinen Namen zurückzuziehen, den fertigen Film sah, notierte er: »The picture has no guts, no plausibility, no characters and no dialouge, but of course it's Hitchcock.«

Nach einer Kette von sowohl finanziell als auch künstlerisch enttäuschenden Werken wurde Der Fremde im Zug eine fulminante Rückkehr zum intelligent gemachten Spannungskino und setzte durch die Kamera Robert Burks (er fotografierte außer Psycho bis zu seinem Tod 1964 alle Filme des Altmeisters) formal neue Akzente im Œuvre Hitchcocks. Mit der Besetzung hingegen - die Stars der Produktionsgesellschaft mußten beschäftigt werden - war der Regisseur nicht ganz zufrieden. Dies gilt nicht für die Leistung von Robert Walker, der bis dahin immer nur der Prototyp des netten amerikanischen Jungen war. Walker, dessen eigenes Leben völlig zerrüttet war, stattete den Psychopaten mit einer großen Poesie und einem subtilen Repertoire von vordergründig homosexuellen Gesten aus. Bruno, in seiner engen Beziehung zur verrückten Mutter, ist ein Vorläufer von Norman Bates in Psycho. Eine besondere Anerkennung verdient auch die schauspielerische Leistung von Hitchcock-Tochter Patricia, die in unvergleichlicher Weise die etwas naiv-drollige Film-Schwester von Ruth Roman verkörperte und dabei ihr Talent in der Interpretation leicht schrullig-geschwätziger Jungfrauentypen unter Beweis stellte.

Alternativtitel: Verschwörung im Nordexpress



Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1952 Oscar
Beste Schwarzweißkamera - Robert Burks (Nominierung)
 


 
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Cinema Nr.127 (12/1988), Plakatkarte

Beier, Lars-Oliver/Seeßlen, Georg: Alfred Hitchcock, Berlin 1999

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Engelhard, Günter/Schäfer, Horst/Schorbert, Walter: 111 Meisterwerke des Films (Fischer Cinema), Frankfurt a.M.1989

Fründt, Bodo: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1986

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horror-Films, Berg.-Gladbach 1985

Harris, Robert A./Lasky, Michael S.: Alfred Hitchcock und seine Filme, München 1979

Hickethier, Knut/Schumann, Katja (Hrsg.): Filmgernes: Kriminalfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock - Die dunkle Seite des Genies, München 1986

Spoto, Donald: Alfred Hitchcock und seine Filme (Heyne Filmbibliothek), München 1999

Truffaut, François: Mr.Hitchcock, wie haben sie das gemacht?, München 1984

Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995

Werner, Paul: Film noir (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1985

Zurhorst, Meinolf: Lexikon des Kriminalfilms, München 1993