Der große Diktator




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1940
Länge
 
127 min. (3420 m)
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.37:1)
Drama
Komödie


Credits
Regie   Charles Chaplin
Drehbuch   Charles Chaplin
Kamera   Roland Totheroh, Karl Struss
Schnitt   Willard Nico
Musik   Charles Chaplin, Meredith Wilson
Ton   Percy Townsend, Glenn Rominger
Ausstattung   J. Russell Spencer
Produktion   Charles Chaplin für United Artists
Verleih   United Artists


Erstaufführung
Kinostart
USA
  15.10.1940
D" 26.08.1958
       
DVD
USA
11.04.2000 (Image Entertainment)
USA
01.07.2003 (Warner Home Video)
D
21.10.1999 (Kinowelt)
D
06.11.2003 (Warner, The Chaplin Collection 2)
D
05.08.2005 (Warner, The Chaplin Collection)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Charles Chaplin   (jüdischer Friseur Charlie
    und Adenoid Hynkel)
Jack Oakie   (Napoloni, Diktator von
    Bakterien)
Henry Daniell   (Garbitsch)
Billy Gilbert   (Herring)
Grace Hayle   (Frau Napoloni)
Carter de Haven   (Botschafter von Bakterien)
Reginald Gardiner   (Schultz)
Paulette Goddard   (Hannah)


Inhalt
Tomanien 1915: Trotz aussichtsloser militärischer Situation kämpfen die Soldaten weiter um jeden Meter, unter ihnen ein etwas tapsiger jüdischer Gefreiter, im Zivilberuf Friseur. Er rettet den Fliegerleutnant Schultz vor dem Tode, verliert aber infolge eines Flugzeugabsturzes das Gedächtnis. Erst nach 15 Jahren kann er als geheilt aus dem Hospital entlassen werden. Inzwischen ist in Tomanien der gnadenlose Diktator Adenoid Hynkel an die Macht gekommen, der wie ein Zwillingsbruder des Friseurs aussieht. Wer sich seiner Macht nicht beugt, verschwindet im KZ. Um von der Not im Lande abzulenken, hetzen Hynkel und seine Berater Hering und Garbitsch das Volk gegen die Juden auf. Auch das Viertel, aus dem unser Friseur stammt, wird von Sturmtrupp-Schlägerkommandos schikaniert: Als er heimkehrt, legt sich aus Unkenntnis der Umstände mit den uniformierten Schergen an, kann jedoch in letzter Sekunde von Schultz, inzwischen zu einem hohen Funktionär des Staates avanciert, vor dem Tode gerettet werden. Schultz kann die Gettobewohner zunächst vor weiteren Repressalien schützen. Zwischen dem Friseur und dem Mädchen Hannah entwickelt sich eine Romanze. Inzwischen träumt Hynkel von der Unterwerfung des Nachbarlandes Ostrich und der Eroberung der Welt. Als Schultz wegen eines geplatzten Kreditgeschäfts in Ungnade fällt, bricht der Terror im Getto erneut los. Ein Aufstand der Gettobewohner mit Schultz scheitert. Schultz und der Friseur werden ins KZ gebracht, die anderen Aufständischen gehen ins Exil nach Ostrich, in eine trügerische Zukunft, denn Ostrich soll nach dem Willen des Diktators bald erobert werden. Unterdessen fühlt sich Hynkel von Napoloni, dem Diktator von Bakterien, bedroht. Zunächst will er ihm kurzerhand den Krieg erklären, doch dann lädt er ihn lieber zu einem Staatsbesuch ein. Am Tag des Einmarsches der tomanischen Truppen in Ostrich können der Friseur und Schultz aus dem KZ fliehen. Hynkel, der die Welt in Sicherheit wiegen will, ist zur Entenjagd gefahren. Bei der Verfolgung der Entflohenen kommt es zur folgenschweren Verwechslung: Hynkel wird anstelle des Friseurs festgenommen, der Friseur und Schultz fahren statt seiner unfreiwillig mit den Truppen über die Grenze nach Ostrich. Statt der erwarteten Siegerrede hält der Friseur vor den versammelten Volksmassen eine flammende Rede über die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen, über den Kampf gegen jegliche Unterdrückung, für eine Zukunft, die allen Menschen gehört. »Wir kommen aus der Finsternis ins Licht, wir kommen in eine neue Welt.«

 


Kritik

»Ein Film der Glanznummern: die Doppelauftritte von Hynkel, dem hysterischen Diktator, und Charlie, dem jüdischen Friseur aus dem Getto; Hynkels blubbernde Ansprachen an die Welt; sein verliebter Tanz mit dem Gasballon-Globus zu Wagners Lohengrin-Vorspiel; die Hahnenkämpfe mit dem Nachbardiktator Napoloni alias Mussolini; Charlies sechsminütiger, flammender Friedensappell in der letzten Sequenz, mit dem er der Filmfigur Charlie die Maske abnahm und Chaplin, den Zeitgenossen, vor das Publikum stellte. Chaplins zwei Rollen halten den Film im Gleichgewicht: der Unterdrückte und der Unterdrücker, Opfer und Henker, Hitlerpalast und Getto, zwei Welten, über die Chaplin einen Witz macht. Einen blutigen über die erste, einen augenzwinkernden über die zweite. Elegant und liebevoll erzählt er vom jüdischen Alltag, als kalte Mechanik zeigt er das Leben des Diktators. Nationalsozialismus als narzißtisches Ballett infantiler Größen, Stechschritt als Tangoersatz, Hynkel privat, beim Empfang, als begehrlicher Gockel mit Weltmachtwahn; Hynkel in Herrscherpose, mit und ohne Napoloni. Dagegen das stille Winkelglück der Guten und Kleinen im Getto, naive Lebensfreude: Kinorealität, die dem realen KZ-Grauen ein um künstlerische Autonomie bemühtes Abbild entgegensetzte.« (Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker).

Der große Diktator ist ein Film auf dem Kenntnisstand von 1935. Chaplin konnte nicht ahnen, wie sehr er die Diktatur, die er anprangerte, verharmloste. Die Geschichte mußte ihn eines Besseren belehren. Insofern ist der Film auch ein typischer Propagandafilm, der das Schicksal vieler seiner Art teilt: Die besonders enge Bindung an die aktuelle historische Situation führt dazu, daß sie schnell veralten. »d.h. daß ihre Aussagen und Appelle gegenstandslos werden oder im Lichte des neuen historischen Kenntnisstandes nicht mehr haltbar sind.« (Ricarda Strobel, Filme gegen Hitler).

»Dabei wird die Judenverfolgung keineswegs verharmlosend dargestellt: Der kleine jüdische Friseur wird beinahe von den Sturmtruppen aufgehängt, sein Haus angezündet, ein anderer jüdischer Mann erschossen, Geschäfte und Häuser werden geplündert und verwüstet. Diese ausführliche Darstellung der antisemitischen Progrome ist um so bemerkenswerter, als dieses Thema selbst im späteren Anti-Nazi-Film in den USA weitgehend vermieden wurde. Chaplin zeigt auch die Konzentrationslager, deren grausame Realität ihm in vollem Umfange jedoch nicht bekannt war. Treffend erfaßt hat er dagegen Hitler, dessen Auftritte Chaplin in zahlreichen Wochenschauen studierte. Adenoid Hynkel schreit und grunzt in einem verkauderwelschten Deutsch, die Satz- und Wortfetzen werden ausgespuckt wie Munition, das Gesicht wird zur Fratze. Diesem Bild totaler Barbarei stellt Chaplin am Schluß die große humanistische Rede des kleinen jüdischen Friseurs gegenüber. Chaplin verläßt damit die satirische Ebene und macht seinen Film zur politischen Tribüne. Diese Schlußrede ist häufig als unfilmisch kritisiert worden, doch ist sie folgerichtig aus dem Film heraus entwickelt. Zu Unrecht hat man Chaplin politische Naivität vorgeworfen. Es ging ihm darum, ein Massenpublikum zu ergreifen und aufzurütteln, was ihm fraglos gelungen ist. Wesentliche Elemente des Faschismus hat Chaplin herausgearbeitet und mit unangestrengtem Witz exakt auf den Punkt gebracht: das Verhältnis zum Kapitalismus, die Theatralik und den Pomp, die Rolle der Propaganda und der Medien, die völlige Skrupellosigkeit. Dabei bedient er sich zahlreicher Anspielungen in Wort und Bild: Das ›double cross‹ an Stelle des Hakenkreuzes bedeutet Betrug; der Name des Propagandaministers Garbitsch verballhornt ›garbage‹ = Müll; der Name ›Tomania‹ bedeutet Leichengift oder Lebensmittelgift (›ptomain‹) und auch Napolonis Land ›Bacteria‹ verweist auf Krankheitserreger; sein Symbol sind die beiden Würfel, Hinweis auf die Spielernatur; Hynkels Vorname ›Adenoid‹ kann sowohl als Zusammensetzung aus ›Adonis‹ und ›Paranoid‹ verstanden werden, und ist auch die Bezeichnung für Nasenpolypen, die dringend operativ entfernt werden müssen.« (Helmut G. Asper in: Metzlers Filmlexikon).

»Der große Diktator markiert einige unvermeidliche Innovationen in Chaplins Arbeitsmethode. Es ist sein erster Dialogfilm. Früher hatte er eine Sequenz nach der anderen ausgearbeitet, Phasen der Story-Entwicklung wechselten mit Drehphasen ab. Jederzeit konnten dabei im Verlauf der Arbeit Ideen geändert, ausgewählt, verworfen werden. Nun mußten sämtliche Prozesse auf die Vorbereitungsphase verlegt werden, an deren Ende dann ein vollständiges Skript stehen mußte. Chaplin studierte monatelang Wochenschau-Aufnahmen mit den Reden und dem Gebaren Hitlers und seiner Helfershelfer. Dann erst fühlte er sich sicher genug, ein Konzept zu erarbeiten, das grandios bis ins kleinste Detail darauf abzielte, den Geist der Faschisten ins Lächerliche zu ziehen und zu entlarven. Es ist immer wieder verblüffend, wie Chaplin in dieser Politsatire auf dieselben Mittel seiner früheren Filme zurückgriff: das tänzerische Element - Hynkels Tanz mit der Weltkugel, Charlies Taumeln, als er niedergeschlagen wird; das pantomimische Mimodram - Charlie rasiert einen Kunden im Rhythmus des 5. Ungarischen Tanzes von Johannes Brahms; die Tücken des Objekts - die Mikrofone bei Hynkels Rede benehmen sich wie Lebewesen und wenden sich vor Angst und Entsetzen von ihm ab; die Sahnetortenschlacht zwischen Hynkel und Napoloni. Einfallsreichtum auch im Einsatz des Tons: Bei der Parade vor Hynkel und Napoloni erkennt man die Truppen nur an dem Geräusch, das sie verursachen. Vor allem die letzte Einstellung - Hannah, die Geliebte des Friseurs, wartend im gelobten Land, so wie sich Amerikaner Österreich vorstellen - wirkt freilich widersprüchlich, fast wie ein Schnitzer, da sie die eben noch parodierte Gedankenwelt bildlich zur Heilsvision umfunktioniert. Doch genau betrachtet, ist Chaplins Schluß pessimistischer denn je: Hannah und Charlie wandern nicht beschwingt, wie in Moderne Zeiten, einer neuen, besseren Zukunft entgegen. Sie müssen erst zueinanderfinden. Ob das gelingt, bleibt offen.« (Hahn/Jansen, Kultfilme).

Der große Diktator ist ein Meilenstein in der FiImgeschichte. und er enthält zwei Szenen, die in der Kunst ihresgleichen suchen: zum einen Hynkels wilde, teutonische Kauderwelsch-Rede an die Nation, mit der Chaplin aus dem Stegreif unnachahmlich Hitlers Redestil karikiert, zum anderen Hynkels Ballett mit dem Globus. Im Gegensatz zur nahezu improvisierten Rede ist Hynkels unvergessener Traumtanz mit der Erdkugel präzise vorbereitet und schriftlich bis in die Einzelheiten geplant: »Hynkel geht zum Globus und streichelt ihn wie in Trance. Sanfte Klänge (in der endgültigen Version Wagners Vorspiel zu ›Lohengrin‹) treiben in den Raum. Hynkel hebt den Globus auf und stupst ihn mit dem linken Handgelenk in die Luft. Er schwebt wie ein Ballon und fällt wieder in seine Hände. Er stupst ihn mit seinem rechten Handgelenk und fängt ihn. Er beherrscht die Welt - tritt sie bösartig weg. Sieht sich im Spiegel, spielt Gott.« Diese erste Skriptversion war immerhin vier Seiten lang. Weitere folgten, bis zum Schluß ein Zehn-Punkte-Programm übrigblieb, an dessen Umsetzung Chaplin drei Tage hintereinander drehte. Das Ergebnis ist einzigartiges politisches Ballett, »eine Mischung aus leichtfüßiger Träumerei und hemmungslosem Besitzwahn - schließlich platzt der Globus, der aus einem wüsten Traum erwachende Führer hält die Welt nur noch wie ein verkrumpeltes, ruiniertes Präservativ in den Händen: eine Szene, die Kompendien politisch-psychologischer Hitler-Deutungen vorwegnimmt und überbietet.« (Hellmuth Karasek, Mein Kino)

»Die Premiere des Films am 15.10.1940 traf ein Land, das allzu peinlich darauf bedacht war, seine Neutralität zu wahren. Bezeichnend, daß gerade zu dieser Zeit der deutsche Propagandafilm Feldzug in Polen in ausverkauften Häusern vor begeistertem, ja tobendem amerikanischem Publikum lief. Da war es nicht leicht, demselben Publikum einen Hitler zu verkaufen, der anders als der strahlende Feldherr, wie ihn die Propaganda zeigte, mit der Erdkugel einen Pas de deux aufführt und den Globus zerplatzen laßt. Bereits während der Dreharbeiten sah Chaplin sich wütenden Drohungen deutschfreundlicher Kreise ausgesetzt. Nach der Uraufführung wurde der Film vor allem von den Presseorganen des Zeitungszaren Hearst vernichtend kritisiert. Die »Kommission zur Unterdrückung unamerikanischer Tätigkeit« setzte ihn an die erste Stelle ihrer Abschußliste - ein Widersinn in sich, war sie doch ursprünglich eingesetzt worden, um Nazi-Gruppen zu überwachen. Bald hatte sich ihre Aufgabe ins Gegenteil verkehrt, indem sie regelrechte Hetzjagden auf Filme veranstaltete, die sich nicht neutral verhielten Das wirkte in Hollywood und so war Chaplin zu dieser Zeit der einzige, der es wagte, Hitler direkt anzugreifen. Ein Boykott hätte seinen Ruin bedeutet, hatte er doch praktisch sein ganzes Vermögen in die Produktion gesteckt. Die Einnahmen waren zunächst recht schleppend. Auch die Auslandseinkünfte fielen geringer aus als erwartet, denn die NS-Diplomatie konnte in vielen neutralen Staaten erfolgreich gegen den Film vorgehen. Als Deutschland den USA den Krieg erklärte, mußte sich die Senatskommission gezwungenermaßen selbst auflösen. Nichts war jetzt willkommener, als der gestern geschmähte Prophet. Der große Diktator spielte nun binnen kurzer Zeit Rekordergebnisse ein. Chaplins Faschismusanalyse wurde plötzlich ernst genommen.« (Hahn/Jansen, Kultfilme).

»Der große Diktator ist die Frucht vieler geheimnisvoller Zufälle, langen Nachdenkens und heftiger Ablehnung jeder Form der Diktatur. Der Film richtet sich nicht nur gegen die faschistischen Staaten, er richtet sich in voller Offenheit auch gegen Mächte und Kräfte, die in nicht faschistischen Staaten ihr Unwesen treiben. Er ist weder schlechthin Komödie, noch im rechten Sinne satirisch. Mit seinen Verwicklungen, seiner Brillanz, seinem großartigen Aufbau und seinen komischen Szenen sticht er von allen Filmen ab, die Chaplin bis dahin geschaffen hatte.« (Robert Payne, The Great Chaplin).



Auszeichnungen
Academy Awards, USA
Jahr
-
Kategorie/Preisträger
1941
Oscar
Bester Film - Charles Chaplin (Nominierung)
Bester Hauptdarsteller - Charles Chaplin (Nominierung)
Bester Nebendarsteller - Jack Oakie (Nominierung)
Beste Originalmusik - Meredith Willson (Nominierung)
Bestes Originaldrehbuch - Charles Chaplin (Nominierung)
-


Bewertung
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Literatur

Jörg Friedrich in: Filmkritik, 11/1973; Stephen Harvey in: Film Comment, 8/1972; K.R.M. Short in: Historical Journal of Film, Radio and Television, 1/1985

Cinema Nr.224 (1/1997), Plakatkarte

Engelmeier, Peter W.: 100 Jahre Kino - Die großen Filme, Augsburg 1994

Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hrsg.): Fischer Filmgeschichte Bd.2 1925-1944 (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1991

Hahn, Ronald/Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heller, Heinz B./Steinle, Matthias (Hrsg.): Filmgenres: Komödie, Stuttgart/Leipzig 2005

Hembus, Joe: Charlie Chaplin (Heyne Filmbibliothek), München 1972

Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Mann, Klaus: Zweimal Deutschland, Reinbek 1994

Wiegand, Wolfgang (Hrsg.): Über Chaplin, Zürich 1978



Weblinks

IMDB