Der letzte Kaiser




Technisches
Land
 
Gb
Jahr
 
1986-87
Länge
 
162 min. (4450 m)
   
TV: 225 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
70mm 6-Track/
   
Dolby
Format
 
35 mm
   
(2.35:1, Technovision)
Monumentalfilm
Historienfilm


Regie   Bernardo Bertolucci
Drehbuch   Bernardo Bertolucci, Mark Peploe,
    Enzo Ungari
Literaturvorlage   Pu Yi
Kamera   Vittorio Storaro
Spezialeffekte   Gino Rossi, Fabrizio Martinelli
Schnitt   Gabriela Cristiani
Musik   David Byrne, Su Zong, Ryuichi Saka Moto
Ton   Bill Rowe, Ivan Sharrock
Prod.-Design   Ferdinando Scarfiotti
Bauten   Bruno Cesari, Osvaldo Desideri,
    Dario Micheli
Ausstattung   Gianni Silvestri, Maria Teresa Barbasso,
    Gianni Giovagnoni
Kostüme   James Acheson, Ugo Pericolom, Fabrizio
Maske   Sforza (Make-up), Iole Cecchini, Giancarlo
    De Leonardis, Elisabetta De Leonardis
    (Frisuren)
Produktion   Jeremy Thomas für Recorded Picture
Verleih   Jugendfilm, atlas (16 mm), VPS (Video)


Kinostart
D
  04.10.1987 (Kinostart: 29.10.1987)
       
Videostart
D
  21.04.1988
       
TV-Premiere
D
  15.04.1990, DFF1
       
DVD
USA
  23.02.1999 (Artisan Entertainment)
D
  21.09.1999 (EuroVideo)
D
  20.12.2005 (Kinowelt/Arthaus, Special Edition)


USA
 
43984000 $
 
D
 
12059873 €, 3070727 Zuschauer


John Lone   (Pu Yi)
Joan Chen   (Wan Jung)
Peter O'Toole   (Reginald Johnston)
Richard Vuu   (Pu Yi als dreijähriger)
Tijger Tsou   (Pu Yi als achtjähriger)
Wu Tao   (Pu Yi als 15jähriger)
Ying Ruocheng   (Gefängnisdirektor)
Victor Wong   (Chen Pao Shen)
Dennis Dun   (Big Li)
Ryuichi Sakamoto   (Masahiko Amakasu)
Maggie Han   (Juwel des Ostens)
Ric Young   (Verhörführer)
Jade Go   (Ar Mo)
Fan Guang   (Pu Chieh)


Der Film beginnt mit einem Selbstmordversuch des 45jährigen Pu Yi, der sich Anfang der 50er Jahre auf dem Weg in ein Umerziehungslager befindet. Nach dem Kriegsende in russische Gefangenschaft geraten und nun, fünf Jahre später, an China ausgeliefert, begegnet man in diesen ersten Bildern einer abgehärmten Gestalt in der tristen Kleidung aller Kriegsgefangenen. Als Pu Yi sich über dem Waschbecken die Pulsadern öffnet, führt die erste von vielen Rückblenden in die Vergangenheit: 1908 wird der Dreijährige von seinen Eltern getrennt und in die verbotene Stadt gebracht, wo das Kind, ahnungslos Versteck spielend im bombastischen Inneren des Palastes, von der im Sterben liegenden Kaiserin-Großwitwe Tze Hsi erfährt, daß es nun der Kaiser von China ist. Es beginnt eine Zeit, in der der Drachenthron zum Symbol für kindliche Machtbefugnisse wird, eine naive Vorstellung davon, alles tun zu können, was man will, ohne Rechenschaft oder Verantwortung ablegen zu müssen - eine Vorstellung, die Pu Yi fast sein ganzes Leben begleiten und prägen wird. Doch schon bald wird der Palast das erste von vielen Gefängnissen. 1911 wird China Republik, der Kaiser aber darf sein Reich mit all seinem Luxus, den Hofdamen, Nebenfrauen und Eunuchen vorerst behalten, es jedoch nicht verlassen. Nur wenig, was draußen vorgeht, erfährt er von seinem schottischen Hauslehrer Johnston, der ihm auch eine Ahnung der westlichen Entwicklung vermittelt: entsprechend gebärdet er sich nach 1924, als er mit seinen beiden Frauen den Palast räumen muß, als Dandy im luxuriösen Art-Deco-Ambiente, ein Gernegroß, der sich politische Macht und ausdrucksstarke Persönlichkeit herbeiträumt. Dementsprechend akzeptiert Pu Yi die japanische Einladung zur Übersiedlung von Tientsin nach Manschuria, wo er sich 1931 zum ahnungslosen Operetten-Kaiser von Manchukuo ausrufen läßt - und zum Spielball der japanischen Expansionspolitik wird. Dermaßen unschuldig-schuldig verwickelt in die Entwicklung des Zweiten Weltkrieges, gelangt Pu Yi in russische Kriegsgefangenschaft und schließlich in jenes Umerziehungslager, in dem er in zehn Jahren zum vorbildlichen Umdenker erzogen wird, der mit Beginn der Kulturrevolution nach Peking zurückkehren darf: ein »neuer« Mensch, einer von vielen Millionen, der als Gärtner arbeitet, äußerlich befreit von allen Insignien der Macht.

 


»Die Geschichte von Pu Yi, dem letzten chinesischen Kaiser der Mandschu-Dynastie (1905-1967), hat vieles von einem exotischen Märchen, wie es vielleicht nur ein tief im europäischen Erzählkino verwurzelter Regisseur nacherzählen konnte. Dieser europäische Blick, der durch erlesene Dekors und über fremde Rituale streift, weniger um Fremdheit als Faszination und Bewunderung für eine fremde Kultur zu illustrieren, ist auch der auf ein Individuum, das unter dem übermächtigen Zwang historischer Verhältnisse leidet, zum Spielball nie durchschauter politischer Ränkespiele wird, ohne freilich darin gänzlich unterzugehen: Bertolucci inszeniert die Tragödie eines lächerlichen Kaisers, eines unwirklich-theatralischen Regenten, der keine reale Macht besaß, schließlich in mehrfacher Hinsicht zur Marionette wurde. Ob solch ein Mensch zu sich selbst, zu einer Identität finden kann, wird zur zentralen Frage, die offen bleibt, die in den Grenzbereich von mythischer Überhöhung und vorsichtiger Spekulation verschoben wird.

Ob Pu Yi auch innerlich als ein neuer Mensch im Sinne eines gereiften, sich selbst erkennenden Individuums nach Peking zurückkehrt, läßt Bertolucci wohlweislich offen, bietet jedoch in einem Epilog ein vorsichtig deutendes Bild an: Als alter Mann in sein Haus der 9999 Kammern zurückgekehrt, das längst ein Museum ist, erklärt er einem Kind, wer er einmal war. In der Hand dieses Kindes schlüpft aus einer Dose, die Pu Yi als Kind gehört hat, wunderbarerweise jene Grille von einst, lebendig und endlich befreit aus einem jahrzehntelangen Gefängnis, genau in dem Moment, in dem Pu Yi spurlos aus dem Bild verschwindet. Erst im Augenblick seines physischen Todes ist der letzte Kaiser wirklich frei. Maos Umerziehungslager können nur weitere Stationen in der langen Kette fortlaufender Manipulationen gewesen sein. Daß Pu Yi nie die Chance hatte, Historie und Politik zu durchschauen, deutet Bertolucci auch mit seiner Inszenierungsweise an: er bemüht sich eigentlich nie darum Geschichte durchschaubar zu machen, vielmehr illustriert er sie an Hand ihres Beiwerks und ihrer Auswirkungen und Folgeerscheinungen. Rigoros behält er den subjektiven Blick Pu Yis bei, verdeutlicht, wie wenig dieser begreift. Immer wieder ist es Bertolucci gelungen, die naturalistische Ausstattung, den überbordend-aufwendigen Ausstattungspomp zu stilisieren und damit hinterfragbar zu machen. Tücher, Fahnen, Bettdecken und -laken in symbolgebenden Farben werden zum Sinnbild für das, was verborgen bleibt, während sich die Oberfläche bewegt und eigene Landschaften bildet - Sinnbilder für Lebensgier, Neugier, ebenso aber für eine immense Trauer, nie der sein zu dürfen, der man sein will.« (Horst Peter Koll, Filmdienst).

Bertolucci, der als erster Filmemacher in der Verbotenen Stadt drehen durfte, mußte sein Drehbuch vorlegen, hatte aber sonst keine Auflagen von offizieller Seite zu erfüllen. Das Geschichtsbild wie die Darstellung Rotchinas sind nicht frei von politischer Naivität und Revolutionsromantik, wie sie für linke Intellektuelle aus Europa zu dieser Zeit typisch waren. Seine ambivalente Einstellung zum maoistischen China - »zum einen die große ästhetische Faszination der Kulturrevolution, die mir wie ein post-brechtsches Straßentheater vorkommt, wie ein Post-Living-Theater, und zweitens meinen Verdacht, daß alle jene jungen Leute in einem religiösen Sinn fanatisiert waren« - hat Bertolucci in der Inszenierung lediglich angedeutet: Kritik am Regime wird nicht geübt.

»Wenn man hierzulande von einem besonders anmaßenden Machtprotzer redet, sagt man, er führe sich auf wie der Kaiser von China: Ein Sinnbild aus fernöstlichem Mittelalter, zu seinen Füßen die Kotau-Sklaven im Staub. Doch daß noch 1908 ein Dreijähriger als Kaiser von China erzogen wurde und bis 1922 in den Palästen der Verbotenen Stadt in Peking lebte, haben wir kaum im Bewußtsein. Bertoluccis 160-Minuten-Film über Pu Yi, den Letzten der Ch'ing-Dynastie (basierend auf der Autobiographie von Pu Yi), ist ein gewaltiges Melodram mit den Schaueffekten eines pompösen Ausstattungskostümfilms. Allein schon die Rekonstruktion der kaiserlichen Hofstaatsrituale in der verbotenen Stadt liefert die Luxusreize exotischer China-Kunst. Und wenn dann Peter O'Toole als stockbritischer Gentleman-Hauslehrer in Aktion tritt, denkt der kinoerfahrene Zuschauer vielleicht gleich in Anna und der König von Siam weiter. Doch Bertolucci benutzt das historische Spektakel ja als Klammer für einen ebenso tragischen wie dramatischen Lebenslauf: Die Rückblenden in die kaiserliche Kindheit erläutern die spätere Benutzung des späteren Playboy-Kaisers und seiner opiumsüchtigen Frau als Thron-Marionetten für die japanisch besetzte Mandschurei - und damit die Kriegsverbrecher-Verurteilung Pu Yis zum Umerziehungslager. Die Szenen des revolutionären China wirken plakativ, decken sich aber durchaus mit den Selbstdarstellungen aus neuen chinesischen Filmen. Nur sieht man es eben mit europäischen Augen. Mag die historische Wahrheit auch differenzierter sein: Die Entwicklung des grausam im goldenen Käfig gehaltenen Kindes zum jungen Luxuswicht und schließlich zum einfachen Bürger Pu Yi im Gärtnerberuf (ausgezeichnet gespielt von John Lone) ist ein Schicksalslehrstück - so edel und anachronistisch wie eine Ming-Vase.« (Ponkie, AZ).

Als prunkvolle Ausstattungsoper, die in erlesenen Bildern schwelgt und mit der Figur des weisen Engländers Johnston auch eine leicht kolonialistische Tendenz enthält, wurde der Film im Westen ein nirgends angezweifelter Erfolg: Bei der Oscar-Verleihung des Jahres 1988 erhielt Der letzte Kaiser insgesamt neun Auszeichnungen.



Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1988
Oscar
Beste Ausstattung - Bruno Cesari, Osvaldo Desideri, Ferdinando Scarfiotti
Beste Kamera - Vittorio Storaro
Beste Kostüme - James Acheson
Beste Regie - Bernardo Bertolucci
Bester Schnitt - Gabriella Cristiani
Beste Musik - David Byrne, Ryuichi Sakamoto, Cong Su
Bester Film - Jeremy Thomas
Bester Ton - Bill Rowe, Ivan Sharrock
Bestes adaptiertes Drehbuch - Bernardo Bertolucci, Mark Peploe
 
British Academy Awards, UK
Jahr   Kategorie/Preisträger
1989
British Academy Award
Beste Kostüme - James Acheson
Bester Film - Bernardo Bertolucci, Jeremy Thomas
Beste Maske - Fabrizio Sforza
Bester Nebendarsteller - Peter O'Toole (Nominierung)
Beste Kamera - Vittorio Storaro (Nominierung)
Beste Regie - Bernardo Bertolucci (Nominierung)
Bester Schnitt - Gabriella Cristiani (Nominierung)
Bestes Produktionsdesign - Ferdinando Scarfiotti (Nominierung)
Beste Musik - David Byrne, Ryuichi Sakamoto, Cong Su (Nominierung)
Bester Ton - Bill Rowe, Ivan Sharrock , Les Wiggins (Nominierung)
Beste Spezialeffekte - Gino De Rossi, Fabrizio Martinelli (Nominierung)
 
César, Frankreich
Jahr   Kategorie/Preisträger
1988
Bester ausländischer Film - Bernardo Bertolucci
Bestes Filmplakat - Philipe Lemoine (Nominierung)
 
Europäischer Filmpreis
Jahr
  Kategorie/Preisträger
1988
Spezialpreis der Jury - Bernardo Bertolucci
 
Golden Globes, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1988
Golden Globe
Beste Regie - Bernardo Bertolucci
Bestes Drama
Beste Musik - David Byrne, Ryuichi Sakamoto, Cong Su
Bestes Drehbuch - Bernardo Bertolucci, Mark Peploe, Enzo Ungari
Bester Hauptdarsteller (Drama) - John Lone (Nominierung)
 
Goldene Leinwand, Deutschland
Jahr Kategorie
1990

Goldene Leinwand

 




HPK in: film-dienst, 23/1987; Urs Jenny in: Der Spiegel, 46/1986; Dietrich Kuhlbrodt in: epd-Film, 12/1987; H.G. Pflaum in: SZ, 3.11.1987; John Powers in: American Film, 2/1987-88; Tony Ryans in: Sight and Sound, 1/1986-87; Gustav Seibt in: FAZ, 31.10.1987; Josef Schnelle in: FR, 30.10.1987; Wolf Schwartz in: medien+erziehung, 4/1988; Giovanni Spagnoletti in: FR, 7.11.1987 (Interview); David Wilson in: Sight and Sound, 2/1987-88; Karsten Witte in: Die Zeit, 30.10.1987

Cinema Nr.111 (8/1987), S.154 (Drehbericht); Nr.114 (11/1987), S.12; Nr.115 (12/1987), Plakatkarte

Kael, Pauline: For Keeps, New York 1994

Müller, Jürgen: Filme der 80er, Köln 2002