Der Mann, der Liberty Valance erschoß




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1962
Länge
 
113 min.
   
Originalfassung:
   
123 min.
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.66:1)
 Western


Regie   John Ford
Drehbuch   James Warner Bellah, Willis Goldbeck
Literaturvorlage   Dorothy M. Johnson
Kamera   William H. Clothier
Spezialeffekte   Farciot Edouart
Schnitt   Otho Lovering
Musik   Cyril J. Mockridge, Alfred Newman
Ton   Philip Mitchell, Charles Grenzbach
Bauten   Sam Come, Darrell Silvera
Ausstattung   Eddie Imazu, Hal Pereira
Kostüme   Edith Head
Maske   Wally Westmore (Make-up), Nellie Manley
    (Frisuren)
Stunts   John Hudkins
Produktion   Willis Goldbeck für John Ford Productions/
    Paramount
Verleih   Paramount, CIC (Video)


Kinostart
USA
  22.04.1862
D
  21.09.1962
       
TV-Premiere
D
  02.02.1970, ZDF
D
  03.06,1999, ZDF (restaurierte Fassung)
       
DVD
USA
  05.06.2001 (Paramount)
D
  10.01.2002 (Paramount)


 
USA
 
3200000 $


John Wayne   (Tom Doniphon)
James Stewart   (Ransom Stoddard)
Vera Miles   (Hallie)
Lee Marvin   (Liberty Valance)
Edmund O'Brien   (Dutton Peabody)
Andy Devine   (Link Appleyard)
Ken Murray   (Doc Willoughby)
John Carradine   (Major Cassius Starbuckle)
Jeanette Nolan   (Nora Ericson)
Willis Bouchey   (Jason Tully)
John Qualen   (Peter Ericson)
Woody Strode   (Pompey)
Denver Pyle   (Amos Carruthers)
Strother Martin   (Floyd)
Lee Van Cleef   (Reeset)
Carleton Young   (Maxwell Scott)
Robert F. Simon   (Handy Strong)
Paul Birch   (Mayor Winder)


Senator Ransom Stoddard kommt mit seiner Frau Hallie nach Shinbone, um der Beerdigung eines Unbekannten namens Tom Doniphon beizuwohnen. Den Journalisten, die diese Aufmerksamkeit neugierig macht, erzählt er die Geschichte des Mannes, der Liberty Valance erschoß. Es war vor 30 Jahren. Stoddard, der junge Anwalt, der an Recht, Gesetz und Bildung glaubt, kommt in diese Gegend, um hier, wo die großen Viehzüchter und ihre Handlanger ein Schreckensregiment führen, die Ordnung durchzusetzen. Er macht Bekanntschaft mit dem schlimmsten dieser Handlanger, Liberty Valance, und findet einen Freund in Tom Doniphon, der ihn vor Valance warnt - und vor sich selbst: »Liberty Valance ist der härteste Kerl südlich der Picketwire - er kommt gleich nach mir.« Tom Doniphon liebt die Kellnerin Hallie und erweitert seine Farm um einen Anbau, weil er hofft, sie bald zu heiraten. Als Stoddards friedliche Mission zu scheitern droht, stellt er sich einem Zweikampf mit Liberty Valance; zum größten Erstaunen aller tötet er ihn. Auch zu seinem eigenen Erstaunen - bis Tom Doniphon ihm verrät, daß in Wirklichkeit er, Tom Doniphon, Liberty Valance erschossen hat: »Es war kaltblütiger Mord. Aber ich kann damit leben.« Inzwischen ist Tom Doniphon klar geworden, daß er Hallie an Stoddard verloren hat. In der Nacht, nachdem er Stoddards Leben gerettet hat, geht er nach Hause, verrückt vor Schmerz und Zorn, und verbrennt die Farm, in der Hallie nie wohnen wird. Stoddard wird berühmt als der Mann, der Liberty Valance erschoß. Dank dieser Berühmtheit macht Stoddard Karriere und wird zu einer entscheidenden Kraft bei der Erschließung des Landes. Nachdem Stoddard seine Erzählung beendet hat, wirft der Zeitungsmann seine Notizen ins Feuer und sagt: »This is the West, Sir. When the legend becomes fact, print the legend.« Stoddard fährt mit seiner Frau zurück in den Osten. Hallie schaut aus dem Zugfenster in das Tal, durch das sie fahren: »Sieh doch. Früher war das eine Wildnis. Jetzt ist es ein Garten. Bist du nicht stolz?« Der Schaffner umsorgt den Senator: »Nur das Beste ist gut genug für den Mann, der Liberty Valance erschoß.«

 


»Wenn die Wahrheit über die Legende herauskommt, drucken wir trotzdem die Legende.« Peter Bogdanovichs Kommentar zu diesem berühmten Satz besagt, daß die Legende auch eine Wahrheit ist. Schon in Ford Apache hatte es Captain York (John Wayne) vorgezogen, die Legende Thursday zu begründen, als die peinlichen Fehlleistungen seines toten Vorgesetzten zu enthüllen. In einem 1955 gedrehten Fernsehfilm, Rookie of the Year, zeigt Ford, daß ihn das Thema weiterhin beschäftigt: hier weigert sich ein von John Wayne gespielter Reporter, zu enthüllen, daß ein legendärer Baseball-Spieler im Suff verkommen ist. Die Erzählung von Dorothy M. Johnson, die den Stoff zu The Man Who Shot Liberty Valance abgab, war eine banale Enthüllungsstory, deren Held Stoddard sein Geheimnis aus politischem Kalkül für sich behält. »In Fords Version adelt Stoddards Bekenntnis Stoddards Charakter (vielleicht auch unter dem Einfluß von Fords Katholizismus); er läßt uns den historischen Prozeß nicht als eine absurde Komödie der Irrungen begreifen, sondern als eine Tragödie, die Helden und Schurken in einem weiten, unerbittlichen Rahmen subsumiert. Ford will nicht suggerieren, daß aus Lüge Wahrheit geworden ist, sondern daß die Lüge Teil der Geschichte war, und daß das Symbol des Helden Stoddard eine Tatsache ist.« (Joseph McBride, Michael Wilmington, John Ford).

»Die Legende ist die Kraft, die den Fortschritt baut; sie produziert den primären Stolz, der die Kraft zu der Leistung produziert, die den wahren Stolz rechtfertigt und das elementare Selbstbewußtsein begründet. So rechtfertigt John Ford in diesem Film, der sein großes Testament ist, den Westen und den Western der Legende. Wie es einem Testament zukommt ist es ein Werk der Erinnerung und der Bilanz. Ford ähnelt sehr dem Senator Stoddard seines Films, der eine Reise in seine Vergangenheit antritt, ›to enter his house justifid‹. Shinbone ist ein bißchen wie das Tombstone von My Darling Clementine, die Figuren haben viele Züge von Fords Helden, Schurken, Komikern und Frauen aus seinen früheren Filmen geerbt, und die Thematik von Liberty Valance variiert und resümiert Fords ganzen Westen: Arbeit und Vergnügen, Armut und Analphabetentum, Politik und Presse, Rassismus und Liberalität, Freiheit und Ordnung, das Dilemma des Rechts, das ohne Gewalt nicht auskommen kann, die Skrupellosigkeit der Kapitalisten, die den loyalen Staatsbürger mit Hilfe von Gangstern einschüchtern, den Machismo John Waynes, erheiternd wie in Stagecoach, und die Verzweiflung John Waynes, erschütternd wie in The Searchers.« (Joe Hembus, Western-Lexikon). »Der Film verleiht all diesen Themen Ausdruck und bekräftigt sie; doch in seinem Kern findet sich eine tiefe Trauer um den Preis, den die Stadt Shinbone (und Amerika) zahlen mußte. Es ist Fords deutlichste Manifestation der Strömung von Nostalgie und Bedauern, die durch sein Werk fließt; und in diesem Film ist sie isoliert von den ausgleichenden Kräften der Erhabenheit der freien Natur und des reinigenden Effektes von Fords visueller Schönheit. The Man Who Shot Liberty Valance ist physisch der Höhepunkt der düster werdenden persönlichen Visionen Fords; doch bringt der Stil des Films weit mehr zum Ausdruck als nur das Schwinden von Optimismus und von Fords Glauben an den amerikanischen Traum. Dem visuellen Stil des Films mangelt es an mehr als nur an Licht: Die Wirkung der Dunkelheit besteht darin, die mythischen Proportionen des Films zu reduzieren, die Story innerhalb der Grenzen der Legende zu belassen. Er verleiht den dunkleren Elementen dieser Legende Ausdruck, und sein visueller Stil beschränkt diese Elemente auf den Traum, anstatt sie zu einem Mythos zu erweitern.« (J.A. Place, Die Western von John Ford).

»Wem Fords Sympathien in Liberty Valance gehören, liegt auf der Hand: ›Jimmy Stewart had most of the scenes, but Wayne was the central character, the motivation for the whole thing.‹ Ford gelingt das Kunststück, die Westernmythen nicht nur in Frage zu stellen, sondern mit der Figur Tom Doniphons dem Mythos des Westerners noch einmal glanzvoll zu huldigen. Doniphons Tragik - und hier ist er die radikale Fortsetzung von Ford/Wayne-Helden wie Nathan Brittles (Der Teufelshauptmann) oder Ethan Edwards (Der schwarze Falke) - liegt darin, daß seine Zeit abgelaufen ist. Er ist Geburtshelfer der neuen Zivilisation, die ihn zum Außenseiter stempeln wird; er spielt das Kindermädchen für Ransom Stoddard, dem er nicht nur den Ruhm, sondern gleich noch die Frau abtreten muß. Eine ähnliche Konstellation findet sich schon 1946 in Fords Faustrecht der Prärie zwischen Wyatt Earp, Clementine Carter und Doc Holliday - mit dem Unterschied, daß Holliday im Kampf für die Zivilisation sein Leben läßt. Tom Doniphon lebt weiter: einsam und vergessen, ein Mann, der bis zum Ende seines Lebens vom niedergebrannten Anbau seines Hauses ebenso die Hände lassen wird wie vom seinem Revolver. Der Westen, wie er in Stoddards Erzählung auftaucht, hat etwas von einem Museumsstück. Schon der Postkutschenüberfall in seinen grotesk künstlichen Kulissen hat nichts mehr gemein mit den grandios weiten Landschaften, in denen Fords Western so oft gespielt haben. Nur einmal weht ein Hauch befreiender Weite durch The Man Who Shot Liberty Valance; dann nämlich, wenn Stoddard auf Doniphons Ranch auftaucht (und dort wirkt wie der sprichwörtliche Fisch auf dem Trockenen). Die Ranch, so legt es die Rahmenhandlung nahe, wird später der Zufluchtsort des vereinsamten Doniphon. Die Zivilisation mit ihren Städten und ihren Männern des Wortes mag unaufhaltsam sein, sie mag sogar nötig sein für das friedliche Wachsen der Gemeinschaft. Männer wie Tom Doniphon - und wie John Ford - allerdings werden sich in ihr nie wirklich heimisch fühlen.« (Stefan Lux, Lexikon des internationalen Films).

Der Mann, der Liberty Valance erschoß führt das Genre an sein Ende, ohne daß die Konvention anders als subtil verletzt, schließlich zerstört wird. Fords The Iron Horse (1924) präsentierte den Bau der Eisenbahn noch als einfache Erfolgsgeschichte. In seinen späten Filmen hat der Regisseur sich immer mehr den Kosten zugewandt, die mit dem Erfolg verknüpft waren, immer offener die Widersprüche gestaltet, die von der nationalen Identität nur notdürftig zugedeckt werden. Die letzte Einstellung zeigt den Zug, der nach Osten fährt, woher in Fords Filmen selten Gutes kommt.

1999 sendete das ZDF eine restaurierte Fassung, die durch ihre optisch brillante Qualität besticht. Zugleich wurde der Film um die gegenüber dem Original bislang fehlenden Sequenzen ergänzt, so daß sich nun noch differenzierter Fords Reflexionen - auch in Sachen "Staatsbürgerkunde" - vermitteln.



Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1963
Oscar
Beste Kostüme (Schwarzweiß) - Edith Head (Nominierung)
 

 





David Bordwell in: Film Comment, 3/1971; David F. Sound in: Sight and Sound, 4/1978; W. Darby in: Cinema Journal, 1/1991; Enno Patalas in: Filmkritik, 10/1962; D. Pye in: Movie, 25/1977-78

Hembus, Joe+Benjamin: Western-Lexikon (2.Auflage), München 1995

Jeier, Thomas: Der Western-Film (Heyne Filmbibliothek), München 1987

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmgernes - Western, Stuttgart/Leipzig 2003

Place, J.A.: Die Western von John Ford (Citadel Filmbuch), München 1984