Der dritte Mann




Technisches
Land
 
Gb
Jahr
 
1949
Länge
 
104 min.
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.37:1)
Drama
Krimi
Thriller


Credits
Regie   Carol Reed
Drehbuch   Graham Greene, Alexander Korda
Literaturvorlage   Graham Greene
Kamera   Robert Krasker, John Wilcox, Stan Pavey
Schnitt   Oswald Hafenrichter
Musik   Anton Karas
Ton   John Cox, Red Law, Bert Ross,
    Jack Drake (Schnitt)
Prod.-Design   Vincent Korda, Joseph Bato, John
    Hawkesworth
Bauten   Dario Simoni
Maske   George Frost (Make-up),
    Joe Shear (Frisuren)
Produktion   Alexander Korda, David O. Selznick,
    Carol Reed für London Films
Verleih   DFH


Erstaufführung
Kinostart
Gb
  03.09.1949
D 06.01.1950
       
TV-Premiere
D
  09.10.1965, ARD
       
DVD
USA   30.11.1999 (Criterion)
D   05.11.1999 (Arthaus)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Joseph Cotton   (Holly Martins)
Alida Valli   (Anna)
Orson Welles   (Harry Lime)
Trevor Howard   (Major Calloway)
Ernst Deutsch   (Kurtz)
Erich Ponto   (Winkel)
Siegfried Breuer   (Popescu)
Paul Hörbiger   (Portier)
Bernard Lee   (Sgt. Paine)
Hedwig Bleibtreu   (Pensionswirtin)


Inhalt
Der amerikanische Schriftsteller Holly Martins will kurz nach dem Krieg in Wien seinen Freund Harry Lime besuchen. Doch er kommt gerade zu Limes Begräbnis zurecht, bei dem er dessen Freundin Anna und Calloway, den Chef der britischen Militärpolizei, kennenlernt. Calloway deutet an, daß Lime in dunkle Geschäfte verwickelt gewesen sei. Martins stellt Nachforschungen an, um seinen Freund zu rehabilitieren. Er spricht mit Kurtz, Popescu und einem Hausmeister, die sich als Augenzeugen des Unfalls bezeichnen, dem Lime zum Opfer gefallen ist. Ihre Aussagen sind widersprüchlich, und Martins wird mißtrauisch. Er forscht weiter und entdeckt schließlich, daß Lime tatsächlich ein Penizillinschieber ist, der sich durch einen vorgetäuschten Tod den Nachforschungen der Polizei entziehen wollte. Nachdem Calloway ihm drastisch vor Augen geführt hat, wie viele Menschen dahinsiechen oder sogar sterben müssen, weil Schieber das Penizillin verwässert haben, hilft Martins bei der Fahndung nach Lime, der nach aufregender Jagd durch die Kanalisation Wiens stirbt. Der Film endet, wie er begonnen hat: mit dem Begräbnis Limes. Martins Hoffnung, Limes Freundin für sich gewinnen zu können, erfüllt sich nicht. Die letzte Einstellung ist eine Totale, in der das Wesen des Melodrams zum Bild geworden ist: Statt abzureisen steht Martins auf der Chaussee des Friedhofs und wartet auf Anna. Es dauert unendlich lange, bis sie ihn erreicht - und ohne ein Wort vorbeigeht.

 


Kritik

Der dritte Mann machte Carol Reed weltberühmt und wurde - ausgezeichnet mit dem Oscar für die Beste Schwarz-Weiß-Kamera (sowie weiteren Nominierungen für Regie und Schnitt) und mit dem Großen Preis von Cannes - zu einem der größten Erfolge des englischen Films. Die Filmkritiker und -historiker haben den Film zwar bereits direkt nach der Uraufführung im Jahre 1949 als Meisterwerk gefeiert, aber auch mit Einwänden nicht gespart. Obwohl der Autor Graham Greene später erklärte: »Wir wollten sie (die Zuschauer!) einfach unterhalten, sie ein wenig erschrecken, sie zum Lachen bringen!«, kursierten bald zahlreiche tiefgründige Interpretationen, die in dem Film mythische Elemente entdeckten. So schreiben Ulrich Gregor und Enno Patalas noch Anfang der sechziger Jahre, Der dritte Mann sei ein »Thriller mit einem vagen Zeitbezug und modisch-philosophischen Akzenten« und »auf metaphysisch getönte Spannung angelegt«. Maßstab sei jeweils der einsame Held; die Gesellschaftskritik sei »schematisch« und treffe »alle anderen«. Gerügt wird auch die »symbolträchtige Atmosphäre«, die die Helden umgibt. Doch die Dinge, die so symbolisch scheinen, erweisen sich, bar jedes metaphysischen Bezugs, als integrale Momente der Handlung und sind von eminent filmischer Qualität. Auch die existentialistischen Akzente des Films wirken heute belanglos und treten hinter die filmische Brillanz der Erzählung zurück. In der Tat ist Der dritte Mann ein Thriller - ein schlüssig konstruierter und hochkarätig besetzter Kriminalreißer in einem konkret geschilderten politischen Milieu, den sein Regisseur mit einem ausgeprägten Sinn für Tempo und Dramatik, für retardierende Momente und für die Tragik der Ausweglosigkeit in Szene gesetzt hat. Die Kamera arbeitet geschickt mit Licht und Schatten und erzeugt spielerisch die Atmosphäre der Ungewißheit und lastender Bedrohung. »Kameramann Robert Krasker kippt die Kamera manchmal nach links, so daß die Bilder schief wirken - Menschen und Gegenstände scheinen ins Rutschen zu geraten. Der Film spielt fast ausschließlich nachts: dunkle Straßen und Höfe, Treppenhäuser mit Wendeltreppen und Innenräume, die einen stickig-musealen Eindruck machen. Der visuelle Stil weist Der dritte Mann als Vermischung zweier Genres aus: Der Film noir paart sich mit dem Trümmerfilm. Auch der klassische deutsche Film hat seine Spuren hinterlassen. Der kleine Junge mit dem Ball, der zuerst im Türrahmen erscheint, später auf der Straße Martins einen Mörder nennt, oder der Mann mit den Luftballons, der den polizeilichen Zugriff gefährdet: Solche Szenen scheinen direkt aus Fritz Langs M abgeleitet. Der Schriftsteller glaubt, Gangstern in die Hände gefallen zu sein, doch wird er nur ihm Rahmen des Reeducation-Programm auf ein Podium gezerrt, wobei im Publikum einer der zwielichten Freunde Limes sitzt: eine Szene aus einem Hitchcock-Film. Carol Reed hat sich überall bedient und doch etwas Eigenes geschaffen, das nie aussieht wie die Kombination fremder Errungenschaften. Der dritte Mann ist ein Glücksfall, der sich nicht wiederholen läßt: Das ästhetische Konzept, das Ausdruck einer verunsicherten Gesellschaft war, ging nur auf in dieser historischen Situation; in jedem anderen Milieu mußte es als manirierte Effekthascherei erscheinen.« (Michael Töteberg in: Metzlers Filmlexikon). Auch Details sind vorzüglich gelungen: Limes erster Auftritt aus dem Dunkel, bei dem man zunächst nur seine Füße sieht, das Gespräch zwischen Lime und Martins im Riesenrad des Praters, die Schlußeinstellung, in der Anna auf dem herbstlichen Friedhof unendlich lange von der Kamera weggeht. Vielzitierte und wohl auch bekannteste Szenenfolge ist die Verfolgungsjagd durch das unterirdische Kanalsystem der Stadt.

Der Zuschauer konnte bei aller effektvollen Spannung auch noch ein psychologisches Drama verfolgen. »Amerika wird durch die beiden Zivilisten Holly Martins und Harry Lime zur doppelgesichtigen Metapher für Abenteuer und Verbrechen. Martins neigt zum Alkohol und schreibt triviale Wildwestgeschichten. Er ist eine tragikomische Figur und ein Fremdkörper. Das einzige Privileg des Amerikaners besteht darin, ›from the other side‹ zu kommen, aus der im Krieg unbeschädigt gebliebenen Neuen Welt. Der Pioniergeist seiner Wildwestromantik scheitert an der düsteren Nachkriegsrealität. Im Grunde genommen ist Martins völlig substanzlos. Hinter der Fassade fehlen die materielle Potenz, Holly ist ständig pleite, und die kulturelle Substanz, den Erwartungen des bildungshungrigen Bürgertums ist der nicht gewachsen. Unbeirrt versucht Holly seinen Freund zu rehabilitieren und bewegt sich wie ein Tourist in der Hölle. Dabei befindet sich Martins in einem Identitätsdilemma, daß einer klassischen Tragödie gleicht. Martins muß erkennen, daß sein Freund ein Lump ist und daß gerade seine Freundschaft Lime ins Verderben stürzt; denn seine Bemühungen, den Freund zu rehabilitieren, machen dessen Plan zunichte. Um endlich eine wirklich selbständige Figur zu werden, muß er sich von dem Spuk seiner Vergangenheit befreien. Er erschießt seinen Freund Harry Lime. Dennoch vollzieht sich Hollys Erwachsenwerden nicht. Calloways Gerechtigkeitssinn hat über Hollys Freundschaftsideal gesiegt, und die Liebe zu Anna bleibt auch am Schluß unerwidert. Das Alter ego des naiven Idealisten ist der skrupellose und zynische Gangster Harry Lime. Im unterirdischen Kanalsystem bedroht er gleichsam wie ein Virus grenzenlos und unentdeckt die moralische Ordnung.« (Christoph Fuchs in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).

Orson Welles hat keine große Rolle, doch er gibt dem Film die entscheidende Prägung. »Die pralle Ruchlosigkeit, die jungenhaft verderbte Skrupellosigkeit, die mit dem ersten Aufleuchten dieser Augen in der dunklen Straße schon feststehen, Meisterhaft und unvergeßlich«, heißt es in der zeitgenössischen Kritik von Friedrich Luft (Die Neue Zeitung, 11.1.1950). Im unterirdischen Kanalsystem bedroht er gleichsam wie ein Virus grenzenlos und unentdeckt die moralische Ordnung. Lange wird von Harry Lime nur gesprochen; Martins erinnert sich an alte Geschichten aus der gemeinsamen Schulzeit. Mit dem ersten Auftritt ist die Figur präsent. Seine Philosophie mit der er sich gegenüber dem Freund rechtfertigt, war Originalton Welles: Martins solle an Italien und den Borghias denken - es habe nur Krieg gegeben, Terror und Blut, aber auch Michelangelo, Leonardo und die Renaissance. »In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe - 500 Jahre Demokratie und Frieden - was haben wir davon? Die Kuckucksuhr! Adieu, Holly!« Hinter der Faszination des Bösen verbirgt sich die nicht seltene Sicht, daß ohne Zerstörung nichts Neues entstehen kann. Welles erfand nicht nur solche Dialogpassagen, er machte aus der Figur einen Mythos.

»Für den ungeheuren Erfolg von Der dritte Mann war schließlich noch ein bis dahin völlig unbekannter Mann verantwortlich. Anton Karas, ein Zitherspieler aus einem Heurigen-Lokal in Wien-Sievering, komponierte, anfänglich eher widerwillig, die Filmmusik, die zum internationalen Ohrwurm avancierte. Einen Tag nach der österreichischen Erstaufführung im Wiener Apollo-Kino schwärmte die Zeitung Neues Österreich von dem ›Harry-Lime-Thema, das die geschickten Finger des Sieveringer Heurigenmusikanten aus den Saiten der Zither zupften und das zu einer gewaltigen Symphonie des Bedrückenden, Hoffnungslosen und Unterweltlichen anschwillt, wenn der Held des Films, Harry Lime, auftaucht. Symbol eines nicht von den vier fremden Mächten, aber von allen guten Geistern verlassenen Wien.‹ « (Christoph Fuchs in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).

Die im Fernsehen und den Programmkinos gezeigte deutsche Fassung hat die Besonderheit, daß selbst die deutschsprachigen Schauspieler Hedwig Bleibtreu, Erich Ponto und Ernst Deutsch von Eva Eras, Wilhelm Borchert und Erich Musil synchronisiert wurden. Als 1963 die ARD die Senderechte für den Film erstanden hatte, stellte man an der Tonspur dermaßen starke Verschleißerscheinungen fest, daß man dem TV-Publikum diese Fassung nicht zumuten wollte. Die Neusynchronisation mußte dann mit anderen Sprechern erfolgen, weil unterdessen die richtigen Schauspieler verstorben waren. Lediglich Paul Hörbiger konnte als einziger der eigenen Person seine Stimme leihen.



Auszeichnungen
Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1951
Oscar
Beste Schwarzweiß-Kamera - Robert Krasker
Beste Regie - Carol Reed (Nominierung)

Bester Schnitt - Oswald Hafenrichter (Nominierung)

 
British Academy Awards, UK
Jahr   Kategorie/Preisträger
1950
British Academy Award
Bester britischer Film
Bester Film (Nominierung)
 
Filmfestival Cannes, Frankreich
Jahr   Kategorie/Preisträger
1949
Goldene Palme

 

Großer Preis

 


Bewertung


Literatur

Lynette Carpenter in: Film Criticism 1/1978?79; Paul Driver in: Sight and Sound, 1/1989-90; Joseph A. Gomez in: Literature/Film Quarterly, 4/1974; Glenn K.S. Man in: Literature/Film Quarterly, 3/1993; James W. Palmer/Michael M. Riley in: Literature/Film Quarterly, 1/1980; William F. Van Wert in: Literature/Film Quarterly 4/1974

Cinema Nr.114 (11/1987) Plakatkarte

Albersmeier, Franz-Joseff/Roloff, Volker: Literaturverfilmungen, Frankfurt a.M. 1989

Bogdanovich, Peter: Hier spricht Orson Welles, Weinheim/Berlin 1994

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Engelmeier, Peter W.: 100 Jahre Kino - Die großen Filme, Augsburg 1994

Ferro, Marc: Cinema and History, Detroit 1988

Greene, Graham: The Graham Greene Film Reader, New York 1994

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989

Hickethier, Knut/Schumann, Katja (Hrsg.): Filmgernes: Kriminalfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Manthey, Dirk (Hrsg.): Goldenes Kino (Cinema-Buch), Hamburg 1986

Moss, Robert F.: The Films of Carol Reed, London 1987

Müller, Jürgen: Filme der 40er, Köln 2006

Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995

Wapshot, Nicholas: The Man Between. A Biography of Carol Reed, London 1990

Werner, Paul: Film noir (Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1985



Weblinks

IMDB