Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1988
Länge
 
172 min. (4706 m)
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Stereo
Format
 
35 mm (1.85:1)
Drama
Liebesfilm


Regie   Philip Kaufman
Drehbuch   Jean-Claude Carriere, Philip Kaufman
Literaturvorlage   Milan Kundera
Kamera   Sven Nykvist
Schnitt   Walter Murch
Musik   Leos Janacek, Mark Adler, Ernie Fosselius
Ton   Mark Berger, Todd Bockelheide, David
    Parker, Ann Kroeber, Alan Splet, Luis
    Colina (Schnitt), Pat Jackson (Schnitt)
Prod.-Design   Pierre Guffroy
Ausstattung   Gerard Viard
Kostüme   Ann Roth
Maske   Rosalina Da Silva
Stunts   Remy Julienne
Produktion   Saul Zaentz für The Saul Zaentz Comp.
Verleih   Tobis, CBS/Fox (Video)


Kinostart
USA
  05.02.1988
D
  07.04.1988
       
Videostart
D
  27.02.1989
       
DVD
USA
  14.09.1999 (Criterion)
USA
  24.07.2001 (Criterion/Voyager, Special Edition)
USA
  17.09.2002 (MGM Home Entertainment)
USA
  21.04.2006 (Warner, Special Edition)
D
  18.06.2003 (Warner Home Video)
D
  07.02.2006 (Warner, Special Edition)


 
USA
  10006000 $
 
D
 
6011616 €, 1128371 Zuschauer


Daniel Day-Lewis   (Tomas)
Juliette Binoche   (Teresa)
Lena Olin   (Sabina)
Derek de Lint   (Franz)
Erland Josephson   (Botschafter)
Pavel Landovsky   (Pavel)
Donald Moffat   (Chefarzt)
Daniel Olbrychski   (Agent des Innenministeriums)
Stellan Skarsgard   (Ingenieur)
Tomek Bork   (Jiri)
Bruce Myers   (Zeitungsherausgeber)
Pavel Slaby   (Pavels Neffe)
Pascale Kalensky   (Schwester Katja)


Der Film erzählt chronologisch die Geschichte des vielversprechenden Gehirnchirugen Tomas, der aus Angst vor den Frauen sichergehen will, »daß die erotische Freundschaft niemals in aggressive Liebe« übergeht. Vor dem Hintergrund des Prager Frühlings und des Einmarsches des russischen Militärs am 21.8.1968 bestimmen vor allem zwei Frauen sein Leben. Die kapriziöse Künstlerin Sabina, die ihn durchschaut, weil sie ihm ähnelt, und das Provinzmädchen Teresa, die eifersüchtig ihren Alleinvertretungsanspruch verteidigt. Ihr gelingt es, Tomas zur Heirat zu bewegen. Alle drei emigrieren nach August 1968 in die Schweiz, weil sie unter politischen Druck geraten. Tomas hatte in einem Zeitungsartikel das stalinistische System angegriffen, Teresa hatte die Konfrontation zwischen tschechischer Bevölkerung und russischen Soldaten fotografiert und die Bilder heimlich an ausländische Journalisten weitergegeben. Sabina war als Individualistin den Riten des Systems seit jeher abgeneigt, ihre Kunstwerke gelten unter den Funktionären als entartet. Enttäuscht von den ersten Wochen in Genf, trennt sich Teresa von Tomas und kehrt nach Prag zurück. Tomas folgt ihr im Bewußtsein der Unwiderruflichkeit seines Entschlusses. Bei der Einreise in die CSSR wird sein Paß einbehalten. Er arbeitet zuerst in der Notaufnahme eines Vorstadtkrankenhauses, dann als Fensterputzer. Schließlich ziehen beide aufs Land und verrichten bäuerliche Arbeiten. Sabina erhält in Amerika, einer weiteren Station ihres Exils, die Nachricht, daß ihre Freunde bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.

 


Milan Kundera, geboren 1929 im tschechischen Brünn, ging 1975 ins französische Exil, nachdem seine Bücher seit 1968 in der CSSR verboten waren. 1979 erkannte ihm die tschechische Regierung die Staatsbürgerschaft ab. 1984 veröffentlichte er den Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, der von der internationalen Kritik als das literarische Ereignis des Jahres und als Meilenstein in der tschechischen Literaturgeschichte gefeiert wurde. Kundera erzählt darin keine lineare Geschichte, sondern er gruppiert Sequenzen aus dem Leben seiner Protagonisten nach unterschiedlichen Motiven geordnet zu Kapiteln, in denen philosophische, psychologische und politische Betrachtungen die Handlungsführung umschließen. So entsteht eine unsentimentale Liebes- und Dreiecksgeschichte, distanziert und häufig ironisch gebrochen, die sich auf den ersten Blick einer filmischen Realisation völlig widersetzt. Auf Anraten Kunderas ließen Kaufman und Carriere alle theoretischen Phasen des Romans beiseite. Statt der klassischen Literaturverfilmung beabsichtigten sie eine Variation auf den literarischen Text im Medium des Bildes. Die Verfilmung von Milan Kunderas vielfach verschlungenem Roman verzichtet auf die philosophischen Ausführungen, den spielerischen Charakter der Vorlage und konzentriert sich auf die chronologische Ausmalung einer Liebesgeschichte im Prag von 1968. Die zeitliche Struktur des Romans wird dadurch begradigt, gerafft, kondensiert und vor allem die verschiedenen Perspektiven vereinheitlicht.

»Der Roman zeigt die Ereignisse und Handlungen mehrfach und jeweils durch die unterschiedliche Sicht der Beteiligten, wodurch sie jeweils zu anderen werden. Das schafft Distanz und damit auch jene Leichtigkeit, die als so unerträglich gilt. Der Film ist dagegen immer wieder ganz dicht auf den leicht geröteten Wangen Teresas, oder irgendwo zwischen den Schenkeln. Er erzählt chronologisch bis zum Ende, unerbittlich, alles ist von vornherein eindeutig und klar. Vertreibt die Multiperspektive des Romans das Zwanghafte von Entwicklungen, so zwingt der Film das Schicksal wieder in die Geschichte hinein. Vergißt man die Existenz seiner literarischen Vorlage, gewinnt der Film eine andere Qualität. Er erzählt filmisch von Dingen, die so nicht im Buch vorkommen. Überwältigend die Darstellung der russischen Invasion und zuvor die Andeutung des Prager Frühlings durch die Veränderung des filmischen Raums: Die vorher doch eher private Geschichte des Liebesfanatikers, der es in Krankenhäusern und winzigen Kammern treibt, verblaßt plötzlich. Teresas und Tomas besuchen eine Tanzhalle. Der Raum ist auf einmal groß. ›Hey Jude‹ erfüllt nicht nur den Filmraum, ergreift darüber hinaus den Zuschauerraum, plötzlich ist etwas von jener Aufbruchstimmung der Zeit zu spüren. Dazwischen der Kampf der Alten (die Geheimdienstleute und Russen) mit den Jungen um die Musik in diesem Raum: Es ist - in Andeutungen - ein Kampf der Welten. Ein bißchen wie Casablanca. Und dann das Zusammenbrechen der Bildwelten, nachdem sich die Panzer dröhnend durch die Stadt geschoben haben. Eine furiose Mischung aus dokumentarischen Aufnahmen und nachgestellten Szenen: Im Wechsel und gleitenden Übergängen von verblichenen Farben, Schwarzweißbildern, Kolorierungen, grobkörnigen Emulsionen und harter Zeichnung bricht die Gewalt herein, einsteht der ohnmächtige Protest. Danach kann die Welt nicht mehr so sein wie früher, hat die ›Leichtigkeit des Seins‹ eine andere Dimension. Teresas Verhaftung zeigt ihr, deutlicher, krasser, schärfer als im Buch, wie die Bilder, die sie als Dokumente des Terrors festhalten wollte, als Anklage gegen die Okkupanten, nun gegen die Unterdrückten gewendet werden. Schon allein dieser Sequenzen wegen ist der Film sehenswert.« (Knut Hickethier, EPD Film). »Es gibt einen zweiten Einschnitt, die Rückkehr von Teresa und Tomas nach Prag. Hier deutet sich an, daß der klassische dreiteilige Aufbau des Films, den man vorschnell als Annäherung an die Konventionen des Mainstreamkinos mißverstehen könnte, einer Konzeption folgt, die jeden Abschnitt einer der drei Hauptfiguren zuordnet. In der sich daraus ergebenden Struktur - Tomas/Aufbruch, Sabina/Exil, Teresa/innere Emigration -, die auch visuell äußerst differenziert umgesetzt ist, manifestiert sich die Verbindung von Politik und Privatsphäre, ein wesentlicher Aspekt in Kunderas Buch, der auf diese Weise subtil in den Film einfließt.«(Jürgen Müller, Filme der 80er).

»Kaufmans Verfilmung, nicht zuletzt auch durch Leon Janaceks Musik der tschechoslowakischen Gedanken- und Gefühlswelt angenähert, manchmal erinnernd an die besten Filme der 60er Jahre aus Prag und Bratislava, andererseits stellenweise effektgeladen, kann weitgehend diese einzigartige Verwurzelung und Kongruenz zwischen Privatleben und Politik, zwischen Liebesdramen und Völkertragödien unseres Zeitalters spürbar machen. ›Das Leichte‹ erscheint in einer Entsprechung zum Physischen, ›das Schwere‹ in der geistig-seelischen Verarbeitung der oft gebrochenen, gespaltenen Ganzheit; die Risse, die Gefahr sich verlierender Zerrissenheit, zeigt auch der Film, ästhetisch gebannt durch eine geschickt zusammenhaltende (manchmal etwas zu wenig verkürzende, oft nur kurz andeutende) Dramaturgie, die meisterlich-solide Kameraarbeit von Sven Nykvist und einige erstaunliche schauspielerische Leistungen, am überzeugendsten zweifellos Juliette Binoche.« (Leo Schönecker, Filmdienst).



Academy Awards, USA
Jahr
  Kategorie/Preisträger
1989
Oscar
Beste Kamera - Sven Nykvist (Nominierung)
Bestes adaptiertes Drehbuch - Jean-Claude Carriere, Philip Kaufman (Nominierung)
 
British Academy Awards, UK
Jahr   Kategorie/Preisträger
1989
British Academy Award
Bestes adaptiertes Drehbuch - Jean-Claude Carriere, Philip Kaufman
 
Golden Globes, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1989
Golden Globe
Bestes Drama(Nominierung)
Beste Nebendarstellerin - Lena Olin (Nominierung)
 




Dietmar Bittrich in: Die Welt, 9.4.1988; Wolf Donner in: tip, 8/1988; Norbert Grob in: Kölner Stadt-Anzeiger, 9.4.1988; Knut Hickethier in: epd Film, 4/1988; Peter Körte in: FR, 14.4.1988; H.G. Pflaum in: SZ, 7.4.1988; Leo Schönecker in: film-dienst, 8/1988; Hans-Dieter Seidel in: FAZ, 19.4.1988

Cinema Nr.119 (4/1988), S.10; Nr.120 (5/1988), Plakatkarte

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Müller, Jürgen: Filme der 80er, Köln 2002