Im Zeichen des Bösen




Technisches
Land
 
Jahr
 
1958
Länge
 
93 min.
 
108 min.
(restaurierte Fassung)
 
111 min.
(Director's Cut)
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.37:1)


Regie   Orson Welles
Drehbuch   Orson Welles, Paul Monash
Literaturvorlage   Whit Masterson
Kamera   Russell Metty
Schnitt   Virgil W. Vogel, Aaron Stell, Edward Curtiss,
    Walter Murch (Director's Cut)
Musik   Henry Mancini
Ton   Leslie Carey, Frank Wilkinson
Bauten   Alexander Golitzen, Robert Clatworthy
Ausstattung   Russell Gausman, John Austin
Kostüme   Bill Thomas
Maske   Bud Westmore
Produktion   Albert Zugsmith für Universal
Verleih   Universal


Kinostart
USA
  21.05.1958 (Director's Cut: 11.09.1998)
D
  05.09.1958 (Director's Cut: 01.06.2000)
       
  06.07.1968, ARD
Deutschland
  17.11.1993, West3 (restaurierte Fassung)
       
DVD
USA
  31.10.2000 (Universal)
D
  20.11.2003 (Universal)
D
  28.05.2005 (SZ-Cinemathek Nr. 13)
D
  06.09.2007 (Universal Klassiker)


USA
 
2237000 $ (Director's Cut)


Orson Welles   (Hank Quinlan)
Charlton Heston   (Ramon Vargas)
Janet Leigh   (Susan Vargas)
Joseph Calleia   (Pete Menzies)
Akim Tamiroff   (Joe Grandi)
Valentin De Vargas   (Pancho)
Ray Collins   (Staatsanwalt Adair)
Dennis Weaver   (Nachtportier im Mirador Motel)
Marlene Dietrich   (Tanya)
Mercedes McCambridge   (Bandenführerin)
Joseph Cotten   (Leichenbeschauer)
ZsaZsa Gabor   (Nachtbarbesitzerin)
Joanna Cook Moore   (Marcia Linnekar)
Mort Mills   (Al Schwartz)
Victor Millan   (Manelo Sanchez)
Lalo Rios   (Risto)
Michael Sargent   (schöner Junge)
Phil Harvey   (Blaine)
Joi Lansing   (Zita)
Harry Shannon   (Chief Gould)
Joe Basulto   (Junger Delinquent)
Yolanda Bojorquez   (Bobbie)
Domenick Delgarde   (Lackai)
Jennie Dias   (Jackie)
John Dierkes   (Polizist)
Eleanor Dorado   (Lia)
Billy House   (Vorarbeiter auf Baustelle)
Arlene McQuade   (Ginnie)
Ken Miller   (Bandenmitglied)
Ramón Rodríguez   (Bandenmitglied)
Gus Schilling   (Eddie Farnham)
Wayne Taylor   (Bandenmitglied)
Rusty Wescoatt   (Detective Casey)
Dan White   (Zöllner)


Vom Detail des Zeitzünders an einer Bombe folgt die Kamera dem Mann, der sie in einem parkenden Wagen deponiert, schwenkt, als ein Paar mit dem Wagen losfährt, hoch über die Dächer der Häuserreihe in einer mexikanischen Kleinstadt, folgt zuerst diesem Auto und dann einem anderen Paar, das sich zu Fuß der mexikanisch-amerikanischen Grenze nähert, wo beide Paare beim Grenzübertritt zusammentreffen: In dem Augenblick, als der mexikanische Polizist und Drogenfahnder Vargas seine amerikanische Braut Susan küßt, explodiert die Bombe und beendet diese erste durchgehende Einstellung. Vargas und Susan verbringen nämlich ihre Flitterwochen in der Grenzstadt Los Robles und werden so Zeugen, wie der reiche Baumagnat Rudi Linnekar und seine Geliebte, die Tänzerin Zita, durch die Autobombe getötet werden. Die Bombe wurde zwar auf mexikanischen Seite in den Wagen gelegt, da sie aber auf der amerikanischen Seite explodierte, übernimmt Captain Hank Quinlan die Ermittlungen. Quinlan, ein übellauniger Mann, der wegen einer alten Schußverletzung am Stock geht, ist eine lokale Berühmtheit, denn seit der Ermordung seiner Frau hat der Fanatiker und Rassist jeden Verbrecher gefaßt. Seine Frau wurde seinerzeit von einem Latino erdrosselt, dem jedoch die Tat nicht bewiesen werden konnte. Intuitiv verdächtigt Quinlan den mexikanischen Schuhverkäufer Sanchez, den Geliebten von Linnekars Tochter Marcia, und entdeckt bald, daß aus der Firma Linnekars, in der Sanchez bis vor kurzem arbeitete, mehrere Stangen Dynamit fehlen. Die Recherchen führen ihn nach vielen Jahren wieder in den mexikanischen Teil der Stadt, in den Nachtclub, in dem Zita tanzte. Dabei besucht er auch eine Freundin aus alten Zeiten, die Wahrsagerin Tanja, die ein altmodisches Bordell führt, das die wenigen Kunden nur noch aus nostalgischen Gründen besuchen. Während Vargas Quinlan bei der Arbeit begleitet, um ihm zu helfen, wird seine Frau von der Grandi-Gang terrorisiert, einer Gruppe junger Männer, die von ihrem Onkel Joe angeführt wird, seit dessen Bruder Vic wegen Drogenhandels von Vargas ins Gefängnis gebracht wurde. Die Grandis wollen sich an Vargas rächen. Da Susan sich nicht einschüchtern läßt, wirft einer der Grandis eine Salzsäureflasche auf Vargas und verfehlt dessen Gesicht nur knapp. Da Susan nicht abreisen will, quartiert Vargas sie auf Empfehlung Quinlans in das vermeintlich sichere Motel Mirador um, nicht ahnend, daß es Grandi gehört. Vargas wird Zeuge, wie Quinlan Sanchez befragt und dabei einschüchtert. Während des Verhörs verläßt er die Wohnung, um mit Susan zu telefonieren. Als er zurückkommt, verkündet Quinlans treuer Assistent Menzies stolz die Entdeckung des Beweisstücks: zwei Stangen Dynamit. Sie waren in einem Schuhkarton im Badezimmer. Vargas weiß, daß Quinlan die Beweisstücke dort selbst versteckt hatte und sie Menzies finden ließ, denn kurz zuvor hatte er beim Händewaschen den noch leeren Schuhkarton versehentlich vom Regal gestoßen. Bei seinen Recherchen gegen Quinlan entdeckt er, daß der Captain selbst das Dynamit gekauft hat, welches er Sanchez unterschob. Als Vargas Quinlan in Gegenwart von dessen Vorgesetztem beschuldigt, Beweise zu fingieren, wirft Quinlan empört seine Marke fort und will sie erst wieder an sich nehmen, wenn er dazu aufgefordert wird. Der Bezirksstaatsanwalt stellt sich hinter ihn und verbietet Vargas, Quinlan weiter mit Fragen zu behelligen. Quinlan erzählt Menzies, daß Vargas und Susan Junkies seien. Er habe das herausgefunden, deshalb attackiere Vargas ihn nun. Vargas recherchiert weiter und entdeckt, daß Quinlan auch schon früher falsche Beweise ausgelegt hatte, und belegt dies Menzies. Quinlan hat derweil einen gemeinen Plan mit Grandi ausgedacht, um den gemeinsamen Feind Vargas zu diskreditieren. Eine Bande junger Mexikaner überfallen Susan im Mirador und entführen sie in Grandis Hotel Ritz, wobei sie Spuren einer Drogen- und Sex-Orgie hinterlassen. Im Ritz bleibt Susan bewußtlos und (scheinbar) unter Drogen allein zurück. Da Quinlan jedoch fürchtet, der Feigling Grandi werde ihn verraten, verabredet er sich mit ihm in Susans Zimmer, teilt Menzies telefonisch mit, wo er die drogenberauschte Susan finden kann, und erwürgt Grandi. Beim Verlassen des Zimmers vergißt er seinen Stock. Augenblicke später erwacht Susan und sieht die Leiche. Schreiend läuft sie auf die Feuerleiter und ruft um Hilfe. Vargas fährt inzwischen in die Bar, in der die Grandi-Neffen ihre Tat feiern. Als sie ihm nicht verraten wollen, wo Susan ist, verprügelt er sie und verwüstet dabei die Bar. Die Polizei trifft ein und erzählt Vargas, daß Susan wegen Mordes und Drogenmißbrauches im Gefängnis sitzt. Menzies zeigt Vargas den Stock, den er am Tatort gefunden hat und ist nach anfänglichem Zögern bereit, bei der Überführung Quinlans, zu helfen. Menzies, von Vargas mit einer Wanze versehen, findet den betrunkenen Quinlan in Tanjas Bordell, lockt ihn ins Freie und bringt ihn zu einem Geständnis, welches Vargas auf Tonband mitschneidet. Als Quinlan die Falle bemerkt, schießt er mit Vargas' Waffe auf Menzies, will auch Vargas töten und ihm den Mord an Menzies anlasten. Menzies erschießt im Sterben Quinlan. Vargas erfährt, daß Sanchez wirklich schuldig ist und das Bombenattentat gestanden hat.

 


Orson Welles wurde nach zehn Jahren Abwesenheit aus Hollywood von Universal die Rolle des Hank Quinlan angeboten, nachdem er rund zwei Jahre zuvor aus Europa in die USA zurückgekommen war. Der Hauptdarsteller des geplanten Films, Charlton Heston, bewunderte Welles und wollte, daß der auch die Regie übernimmt. Produzent Albert Zugsmith, der für die Dreharbeiten einen routinierten Studioregisseur eingeplant hatte, entsprach Hestons Wunsch, um Ärger mit seinem zugkräftigen Star zu vermeiden. Welles durfte zudem das Drehbuch eigenständig überarbeiten, jedoch bekam er den Regievertrag nur unter der Prämisse, alle Arbeiten am Film für die vereinbarte Gage als Schauspieler durchzuführen. Als Kameramann wählte er Russell Metty aus, mit dem er bereits an Der Fremde zusammengearbeitet hatte und der auch an neuen Szenen und Nachaufnahmen für Der Glanz des Hauses Amberson mitgewirkt hatte. Die Arbeiten an der Schnittfassung gestalteten sich recht kompliziert. In einem ersten Durchgang schuf Welles mit Virgil Vogel eine Fassung, mit der er gleich nach deren Fertigstellung so unzufrieden war, daß eine weitere mit Aaron Stell folgte; die Endfassung schließlich fertigte Stell in Abwesenheit von Welles. In den USA wurde Im Zeichen des Bösen kaum gezeigt, im Motion Picture Almanac und im Film Yearbook seinerzeit nicht einmal erwähnt. Da der Film in den USA ein kommerzieller Reinfall wurde, war an eine weitere Arbeit Welles' in Hollywood nicht zu denken. Welles hat den fertigen Film, dessen Endschnitt er nicht beaufsichtigen durfte, dessen Titel er ablehnte, für dessen erklärende Zwischeneinstellungen er nicht verantwortlich ist, nie angesehen. Also eine erneute Niederlage für den Autorenfilmer nach den Debakeln mit Der Glanz des Hauses Amberson(1941/42), It´s All True (1942) und Die Lady von Shanghai(1948). Und dennoch ist Im Zeichen des Bösen ein echter Welles, und das heißt: ein Ausstellungsstück der Filmgeschichte in Thema, Filmsprache und Form. In den Kriminalfall spielen Motive hinein wie das Grenzüberschreiten auf allen Ebenen, Voyeurismus und sexuelle Hysterie und die Erfahrungen von Orpheus und Eurydike in der Unterwelt.

»Wie das Gewinde einer Schraube bohrt sich der Film, den die rasante Exposition in Drehung versetzt hat, in die Geschichte, die er erzählt. Jede Drehung (ver)wechselt die Seiten in einer Folge von Überschreitungen, die zunehmend Perversionen von Rechts- und Moralvorstellungen werden. Der Schauplatz kennzeichnet das System des Films: Das Überschreiten der Grenze bringt nicht nur einen Kriminalfall in Gang, sondern unterbricht auch die Flitterwochen; die Verbindung zwischen dem Mexikaner Vargas und der Amerikanerin Susan wird abrupt getrennt. Hinter der vordergründigen Handlung wird die eigentliche Message aus dem Hollywood der 50er Jahre sichtbar: Die attraktive Susan hat mit der ebenfalls blonden Stripperin aus einem Nachtlokal, die im explodierenden Auto saß, noch viel zu viel explosive Sexualität gemeinsam, sie muß offenbar erst für die Ehe gezähmt werden. Während ihr Mann heroisch für Recht und Gesetz kämpft, wird Susan durch die Grandi-Bande in ihrer sexuellen Attraktivität systematisch zerstört und schließlich sogar als Mörderin verdächtigt. Zwischendurch zweifelt auch Vargas an Susan; erst muß ihr Name von jedem Verdacht gereinigt werden, bis er sie wieder in seine Arme schließen kann. Die Demontage weiblicher Sexualität ist hier die Voraussetzung dafür, daß eine Frau für einen Mann als Ehefrau akzeptabel wird, der aus dem Kampf um Recht und Gesetz und zugleich um die Anerkennung seiner Person siegreich hervorgegangen ist.« (Joachim Paech in: Metzlers Filmlexikon).

Darüber hinaus ist der Film das radikalste Werk seines Regisseurs, ein Fausthieb gegen den offiziellen Optimismus der fünfziger Jahre und gegen die einfachen Wahrheiten des traditionellen Genre-Kinos. Mit seinen düsteren Stimmungen, morbiden Szenerien, kaputten Figuren, dem moralischen Verfall und grandioser Bildsprache der letzte Film noir, der alle Extreme dieser Gattung zu Ende führt. Die Romanvorlage von Im Zeichen des Bösen wurde von Welles in wichtigen Punkten verändert und ergänzt. Zwei Themenbereiche, die in seinem Schaffen von Bedeutung sind, in der Vorlage jedoch nicht aufscheinen, wurden von Welles expliziert: Rassismus und Vorurteile. Zu diesem Zweck wurde die Handlung des Romans von Kalifornien in die mexikanische Grenzstadt Los Robles verlegt, die Nationalität des zentralen Paares verändert und der Erzählstrang über Grandi entwickelt, wodurch der Charakter Susan eine größere narrative Bedeutung bekommt. »Der Film zeigt eine starke Konzentration auf wenige Schauplätze im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet. Und er läßt sich auf keine attraktive Beschönigung dessen ein, was es zu besichtigen gilt. Keine überflüssigen Bilder, kein Reichtum des Ambiente. « (Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker).

Formal fasziniert der Film gleich im Vorspann mit einer langen, eleganten Kamerafahrt durch die heruntergekommenen Straßen der Stadt. Im Drehbuch bildet diese Szene gleichzeitig den Titelvorspann. Welles entschied sich jedoch, sie von Titeln freizuhalten und plazierte diese weiß auf schwarz vor dem ersten Filmbild. Nachdem das Filmmaterial jedoch in die Hände der Studiobosse gefallen war, wurden die Titel dem Drehbuch folgend der Exposition überlegt. Eine vergleichbare Kranaufnahme, die nahezu einen Akt dauert, findet sich in der Szene, in welcher im Appartement des Mexikaners Sanchez durch drei Räume gefahren wird und Dynamit im Badezimmer gefunden wird. Den Film hindurch zwingt Regisseur Welles die Zuschauerinnen und Zuschauer zur bewußten Wahrnehmung der Kamera. Die visuelle Gestaltung und die mise en scène wirken desorientierend. Indem Welles Mike und Susan zu Beginn heiraten läßt um sie sofort in die Kriminalgeschichte zu verwickeln und vorübergehend zu trennen, verstößt er in drastischer Weise gegen Hollywood-Konventionen. Die klassische Hochzeitsnacht konnte nicht durchlebt werden. Das Paar wird getrennt und kommt am Ende wieder zusammen, jedoch weniger glücklich. Beide haben grauenhafte Erfahrungen machen müssen. Die Situation weist somit eine für Hollywood untypische Qualität auf, indem das Paar nicht, nachdem es eine lebensbedrohliche Situation durchgestanden hat, sich glücklich wiedervereint. Im Roman ist das Paar seit einiger Zeit schon verheiratet und hat eine Tochter.

»Welles greift die in den späten fünfziger Jahren bereits hochgradig ausdifferenzierte Bildsprache des film noir auf, stilisiert sie aber auf eine eigene Weise. Typisch für den Film ist die Verbindung von Schärfentiefe und Weitwinkeloptik, die bereits seit Citizen Kane zu Welles‘ ausgeklügelter Bildsprache gehört. Im Zusammenspiel mit dem Bildaufbau und den niedrigen Kamerapositionen unterstreichen verzerrende halbnahe und nahe Weitwinkelaufnahmen immer wieder Quinlans Zwielichtigkeit und physische Überlegenheit. In ihrer Radikalität trägt diese visuelle Umsetzung zur ironischen Brechung der Furcht erregenden Monstrosität bei und zeichnet den Sheriff als Karikatur seiner selbst. Zudem sind die tiefenscharfen Weitwinkelaufnahmen - oft in Verbindung mit Untersichten oder einer gekippten Kamera - wesentliche Stilmittel zur Inszenierung des Schauplatzes. Die Kamera betont die Präsenz des Raumes und verfremdet die Stadt durch perspektivische Verzerrungen. Durch schräge Linien und aufgerissene Straßenschluchten wirkt der Handlungsort irreal und bedrohlich.« (Rüdiger Maulko in: Knut Hickethier/Katja Schumann (Hrsg.), Filmgenres: Kriminalfilm). Zwar beruft sich Welles auf die bekannten Vorbilder der Schwarzen Serie Hollywoods, doch erweitert er die Studio-Perspektive mit suggestiven Außenaufnahmen, die den Eindruck der Trostlosigkeit, Aggression und Schäbigkeit verstärken. In dieses Bild paßt auch Marlene Dietrich, die hier auf jeden Glamour verzichten muß und von Welles als völlig verlebte Bardame präsentiert wird. »Komplex auch das Verhalten der Figuren. Jede Tat verkehrt sich unbeabsichtigt auch in ihr Gegenteil. Jeder Gedanke besitzt auch einen doppelten Boden. Jede Sympathie erweist sich als unbegründet, jede Gemeinheit als gerechtfertigt, jede Mordabsicht als normal. Die Motivsuche dieses Filmes ist radikal: Seine Figuren präsentieren sich in unsozialem Zweckdenken, auch die Liebenden. Niemand tut etwas für einen anderen, es sei denn, er hat einen Revolverlauf an der Schläfe. Freundschaften werden aufgekündigt, wenn sie nicht schon längst zur Abhängigkeit verkommen sind. Schließlich pumpen sich die alten Kumpel gegenseitig Kugeln in den Leib. Sheriff Hank Quinlan ist ein großartiger Spürhund, aber ein korrupter Bulle. Er hat nicht nur alle Glaubwürdigkeit verspielt, man sieht es ihm auch an. Unrasiert, versoffen und fett humpelt er am Stock durch den lausigen Grenzort, den er beherrscht. Sein Gegenspieler, der Rauschgiftdetektiv Ramon Vargas dagegen: stolz, aufrecht, voller Zutrauen in das Gesetz. Er hat eine schöne junge Frau und ist seines Weges sicher. Vargas verteidigt das Gesetz, Quinlan die Gerechtigkeit. Vargas siegt und Quinlan verreckt. Aber Quinlan, das Monster, hatte recht. Vargas nicht. Obwohl Quinlan die Beweise konstruierte und Vargas sich streng an die Paragraphen hielt. So einfach, wie Gut und Böse einst schienen, sind sie nicht. Die mittelmäßige Detektivschnüffelei des positiven Helden triumphiert über den radikalen Gerechtigkeitsinn der Negativfigur. Kleinkariertheit ist Trumpf, die großen Persönlichkeiten, korrupt geworden, scheitern. Und indem Welles am Ende diese Wahrheiten ganz lapidar und nebenbei mit Worten enthüllt, während der Film mit seiner optischen Beweisführung die ganze Zeit das Gegenteil zeigte, stößt er alles noch einmal um: die Vorurteile, die Sympathievorsprünge, die Erwartungen des Publikums.« (Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker).

»In der Welt von Im Zeichen des Bösen wirken Susan und Mike recht anachronistisch. Welles hat Charlton Heston und Janet Leigh ihre Rollen in für Hollywood konventioneller Weise spielen lassen, baut sie für uns zu Identifikationsfiguren auf. Im Bildrahmen werden sie nicht selten in Star-Manier situiert, Heston als starker Held mit breiter Brust, Leigh als Pinup-Girl. Jedoch kommentiert der Bildraum in seiner spezifischen Ausgestaltung diese Posen zynisch. Im Zeichen des Bösen zeigt, wie ein perfektes Paar sowohl körperlich wie auch seelisch Risse und Kanten erhält, als es in ein korruptes und lasterhaftes Umfeld gesetzt wird. Wie sicher man sich auch fühlen mag, der Hauch des Bösen kann einen allerorten streifen. Der Handlungsort in Im Zeichen des Bösen ist folgerichtig nicht spezifisch, sondern universell, ein abstrakter Ort der Korruption und des Verfalls, gefährlich und bedrohlich. Welles setzt die Kamera ein, uns in der Interpretation von Figuren und Ereignissen zu manipulieren, besonders über Aufsichten und Untersichten von Hank Quinlan. Überwiegend wird Quinlan in starken Untersichten inszeniert, wodurch seine ausgeprägte Körperfülle das Bild beherrscht, dieserart seine Macht und sein Selbstvertrauen betonend. Später, als er der Manipulation von Beweisen überführt ist, Susan für seine Absichten mißbraucht und Grandi ermordet, wird er häufiger in der Aufsicht gezeigt und mitunter von Gegenständen zusätzlich gerahmt. Dies läßt ihn klein und isoliert erscheinen, in einer selbst geschaffenen Falle sitzend. Die intensivsten Wechsel zwischen Aufsicht und Untersicht gibt es in der Sequenz, in welcher Menzies Quinlan gegen Filmende ausfragt. Der Charakter Hank Quinlan ist im Werk von Welles (insbesondere) Charles Foster Kane in seinem Zeitungsimperium von Citizen Kane und Gregory Arkadin im Finanzimperium von Mr. Arkadin vergleichbar. Sie setzen sich hinweg über gesellschaftliche Spielregeln, schaffen ihr eigenes Regelsystem, dem sie andere Menschen unterwerfen, und sind letztlich doch zum Scheitern verurteilt. Für Quinlan ist das herrschende Recht unzureichend. In der Anfangszeit seiner Polizeilaufbahn wurde seine Frau ermordet, der Täter jedoch kam davon, weil man ihm nichts beweisen konnte. Aber eine höhere Gerechtigkeit sorgte Quinlan zufolge für den Ausgleich. Quinlans Verlangen nach Gerechtigkeit steht in einem grundsätzlichen Widerspruch zur tödlichen Sorglosigkeit in seinem Umgang mit anderen Menschen. Vargas entdeckt, daß Quinlan zur Lösung eines Mordfalles Beweismittel bei dem verdächtigten mexikanischen Schuhverkäufer Sanchez versteckt hat. Wie Vargas glauben wir an die Unschuld des Mannes, weil wir nur von der Handlung Quinlans wissen. Erst am Ende erfahren Vargas und wir, daß Sanchez tatsächlich der Mörder ist. In konventioneller Dramaturgie hätte sich der Verkäufer als unschuldig erwiesen. Aber Welles verpaßt dieser Dramaturgie eine sarkastische Wendung. Sein verkrüppeltes Bein sagt ihm, der Mann sei schuldig. Weder für Vargas noch für uns ist dies tragbar. Aber, auch dies ist wichtig, die Schuld des Täters impliziert nicht die Entschuldigung Quinlans. Hank Quinlan, darin den Figuren Arkadin, Macbeth, Othello und Harry Lime nicht unähnlich, begeht Morde, welche die Leere seiner Existenz offenbaren, seinen Mikrokosmos der Illusionen. Sein Leben, welches er nie wirklich im Griff hatte, soll heißen: bewußt gestalten konnte, kann er nicht weitertragen. Quinlan mißbraucht seine polizeiliche Autorität, die Macht, die ihm im Rahmen gesellschaftlicher Spielregeln vorübergehend zugeeignet wurde, weil er zu schwach ist, sich durch sie korrumpieren läßt. Quinlan scheint Tanja als einzigen (lebenden) Menschen zu lieben. Aber er ist in überraschender Weise seiner toten Frau zugeeignet. Zur Liebe scheint er zwar fähig zu sein, allerdings ist diese dann gleichzeitig eine Investition in das Böse und den Tod. Befreundet ist Quinlan mit Menzies, seinem untergebenen Kollegen, dem er vor langer Zeit das Leben gerettet hat, als er sich in die Flugbahn einer für diesen bestimmten Kugel warf; dabei wurde sein Bein verkrüppelt. Menzies fungiert als Quinlans Gewissen, wenn er ihm sagt, nachdem er von dessen Rechtsbrüchen bis hin zum Mord erfahren hat, er müsse die Wahrheit über sich akzeptieren. Schlußendlich tötet Quinlan Menzies, der im Sterben wiederum sein großes Vorbild erschießt. Vargas ist ein zwiespältiger Charakter, Träger des konservativen Banners voller Parolen über die richtigen Prinzipien und Ideale, moralische Autorität. Gleichzeitig behandelt er seine Frau, die auf absurde Weise von ihm abhängig ist, starrköpfig und schwachsinnig. Nicht genug, daß das Paar die Flitterwochen in Los Robles verbringen will, Vargas übernimmt sogleich auch den Fall und versteckt Susan zur Sicherheit in einem Motel in der Wüste, das von den Grandis, betrieben wird. In einer Stadt, die als dunkel und feindselig erlebt wird, läßt Vargas seine Frau mehrmals alleine, ohne für ihre Sicherheit Sorge zu tragen oder sich zwischenzeitig nach ihr zu erkundigen. Erst als Susan (wenigstens als Suggestion vermittelt) vergewaltigt, unter Drogen gesetzt und in der Stadt in ein Hotelbett gelegt wird, mit einer über dem Bettgeländer hängenden Leiche, merkt Vargas, wie verantwortungslos er sich verhalten hat: Vargas ist Repräsentant einer artifiziellen und lebensleeren Ordnung. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Parallelität der beiden Figuren. Quinlan ist durch den Tod seiner Frau zu dem geworden, was Vargas bekämpft. Als aber Susan Gefährdungen ausgesetzt ist, geht Vargas eine Entwicklung in Richtung Quinlans. Im Gegensatz zu Quinlan meint er jedoch, den Polizisten und den Ehemann voneinander trennen zu können. Einmal sagt Vargas zu Quinlan: ›A policeman's job is only easy in a police state. That's the whole point, captain. Who's the boss, the cop or the law?‹ Aber für Quinlan ist eine derartige Abstraktion ohne Bedeutung. Er folgt seiner Natur, und er trägt die Folgen ohne sich zu beschweren. Die Frage, ob der Polizist die maßgebliche Instanz ist oder das Gesetz, fokussiert das Anliegen von Im Zeichen des Bösen. Und Welles beantwortet diese Frage eindeutig, wenngleich nicht plakativ, zugunsten eines Gesetzes als Institution, die getragen wird durch gesellschaftlichen Konsens. Mangelt es dem Gesetz jedoch an diesem Konsens, gerät es in die Position des Polizisten. Hank Quinlan fügt dem herrschenden System formaler Regeln keine informellen Regeln hinzu, sondern das von ihm geschaffene Regelsystem soll das ursprüngliche in grundlegenden Elementen außer Kraft setzen. Quinlan pervertiert als Träger staatlicher Herrschaftsgewalt das Rechtssystem und unterwirft es seinem Willen. Im Zeichen des Bösen ist ein Film über Faschismus.« ( Holger Wacker in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).

Die permanent bedrohliche Atmosphäre sowie einige krasse Gewaltdarstellungen machten es dem Film seinerzeit bei Publikum und Kritik nicht leicht. Für andere Regisseure bot er jedoch durchaus attraktive Ansatzpunkte. Alfred Hitchcock zeigte sich von den Motel-Sequenzen so beeindruckt, daß er für seinen Thriller Psycho nicht nur dieselben Bauten verwendete, sondern auch die Besetzung in Gestalt von Janet Leigh übernahm. In den 70er Jahren wurde Im Zeichen des Bösen wiederentdeckt und gilt heute neben Citizen Kane als eines der bedeutendsten Werke Orson Welles'. Lange Zeit war in den Kinos und im deutschen Fernsehen nur eine 93-Minuten-Fassung des ursprünglich 111 Minuten dauernden Touch Of Evil zu sehen. Im Jahre 1975 entdeckte der Archivar der UCLA in Kalifornien, Bob Epstein, eine 108 Minuten lange Version, die erst seit 1993 in Deutschland zugänglich ist. Eine noch neuere, 111 Minuten lange Version wurde auf dem Telluride Film Festival im September 1998 gezeigt. Diese Version wurde nach einem 58 Seiten langen Memorandum, das Orson Welles 1957 an den damaligen Universal- Studiochef Edward Muhl geschrieben hatte, im Auftrag von Universal erstellt (Schnitt: Walter Murch; Ton: Bill Varney, Peter Reale, Walter Murch; Bildrestauration: Bob O'Neil; Gesamtleitung: Rick Schmidlin, Jonathan Rosenbaum). Ein wesentlicher Unterschied zur alten Fassung ist nun, daß die Eröffnungssequenz ganz ohne Credits und Musik auskommt und sich auf der Tonspur auf Geräusche beschränkt. Orson Welles' Grabgesang auf den Film noir, seine subversive Unterwanderung des klassischen Polizeifilms und seine die 1957er Hollywood-Produktionsstandards weit hinter sich lassenden Montageexperimente sind zwar auch in der geläufigen Version erkennbar, doch ihren größeren Zusammenhang erhalten sie erst in der 15 Minuten längeren Fassung. Wie brutal man mit dem Film umgegangen ist, belegen die Schnittstellen, die in laufende Dialoge oder Kamerafahrten hinein vorgenommen wurden - üblich war eher das Entfernen ganzer Szenenblöcke - und räumliche, zeitliche und inhaltlich-motivische Erklärungen terminierten: so gerät das Werk eines Poeten unter die Kettensäge des Mainstream, weil es seiner Zeit voraus ist.



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Paul V. Beckley in: New York Herald Tribune, 28.5.1958; John Belton in: Movietone News, 47/1976; William Bywater in: Film Criticism, 3/1989-90; Terry Comito in: Film Comment, 2/1971; Franz Everschor in: film-dienst, 7/1998; Stephen Heath in: Screen, 1-2/1975; E.M. Krueger in: Cinema Journal, 1/1972-73; Jonathan Rosenbaum in: Sight and Sound, 4/1975; John Stubbs in: Cinema Journal, 2/1985-86; Verschiedene in: Film Quaterly, 1/1992-93

Cinema Nr. 265 (6/2000), S.80

Bazin, André: Orson Welles, Wetzlar 1980

Bogdanovich, Peter: Hier spricht Orson Welles, Weinheim/Berlin 1994

Cowie, Peter: The Cinema of Orson Welles, New York 1983

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Comito, Terry (Hrsg.): Touch Of Evil. Orson Welles. Director, London 1985

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Hickethier, Knut/Schumann, Katja (Hrsg.): Filmgernes: Kriminalfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Welles (Hanser Reihe Film Bd.14), München/Wien 1977

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Müller, Jürgen: Filme der 50er, Köln 2005

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