Der letzte Tango in Paris




Technisches
Land
 
IF
Jahr
 
1972
Länge
 
129 min.
Farbe
 
color
Tonverfahren
 
Mono
Format
 
35 mm (1.66:1)
Drama
Erotik


Regie   Bernardo Bertolucci
Drehbuch   Bernardo Bertolucci, Franco Arcalli,
    Agnès Varda
Literaturvorlage   Robert Alley
Kamera   Vittorio Storaro
Schnitt   Franco Arcalli, Roberto Perpignani
Musik   Gato Barbieri
Ton   Antoine Bonfanti
Bauten   Ferdinando Scarfiotti
Ausstattung   Maria Paola Maino, Philippe Turlure
Kostüme   Gitt Magrini
Produktion   Alberto Grimaldi für PEA
    Cinematografica/Les Artistes Associes
Verleih   United Artists


Kinostart
USA
  14.10.1972, New York Film Festival
D
  29.03.1973
       
Videostart
D
  10.08.2000
       
DVD
USA
  03.11.1999 (MGM Home Entertainment)
USA
  14.08.2001 (MGM Home Entertainment)
D
  10.08.2000 (MGM Home Entertainment)
D
  19.11.2005 (SZ-Cinemathek Nr. 38)


?



Marlon Brando   (Paul)
Maria Schneider   (Jeanne)
Jean-Pierre Léaud   (Tom)
Massimo Girotti   (Marcel)
Maria Michi   (Rosas Mutter)
Giovanna Galetti   (Prostituierte)
Catherine Allegret   (Catherine)
Darling Legitimus   (Concierge)
Marie-Helene Breillat   (Monique)
Veronica Lazare   (Rosa)


Der alternde amerikanische Hotelbesitzer Paul und die 19jährige Jeanne treffen sich zufällig in einer leeren, zur Vermietung ausgeschriebenen Wohnung. Fast übergangslos kommt es zu einem brutalen sexuellen Kontakt, dem sich beide rückhaltlos hingeben. Beiden ist klar, daß sie sich wieder hier treffen werden. Und auf Pauls Wunsch schließen sie eine Art Vertrag: Sie werden einander fremd bleiben, nichts über ihre Lebensumstände sagen, dem anderen nicht einmal den Namen nennen. So treffen sie sich immer wieder, ihre sexuellen Kontakte werden intensiver. Zwischendurch lebt jeder sein eigenes Leben: Paul sucht eine Erklärung für den Selbstmord seiner Frau, von dem man in Rückblenden erfährt. Jeanne trifft sich mit ihrem Verlobten Tom, einem jungen Regisseur, der einen Cinéma-vérité-Film über sie drehen will. Doch dann bricht Paul die von ihm selbst vorgeschlagene Abmachung. Er beginnt, über sein Leben zu sprechen, seine privaten Probleme auszubreiten. Schließlich schlägt er Jeanne sogar vor, sie solle mit ihm ganz bürgerlich zusammenleben. Und nun erst scheint Jeanne ihn wirklich zu erkennen - einen alternden, gescheiterten Mann. Noch einmal haben sie einen gemeinsamen großen Auftritt mit einem obszönen Tangotanz in einem merkwürdig sterilen Tanzlokal; dann will Jeanne ihre Beziehung zu Paul lösen. Doch der gibt nicht auf und verfolgt sie bis in die Wohnung ihrer Mutter. Als er sich ihr nähern will, erschießt sie ihn.

 


»Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann - oder wie hier ein Paarungsritual, eine höhnische Metapher, zusammengesetzt aus zwei Klischees: Paris als Stadt der Sehnsucht und Tango als schwüles Liebesspiel. Im Vorspann zeigt der Regisseur zwei Gemälde von Francis Bacon, einen Mann und eine Frau - Chiffren der Entfremdung. In der ersten Einstellung sieht man einen Mann in einem abgetragenen braunen Mantel unter einem Viadukt, er läuft schwankend und weint. Das scharfe An-und Abschwellen der Autogeräusche dringt ins Bewußtsein des Kinogängers. Die junge Frau mit dem eleganten Hut überholt ihn. Sie treffen sich kurz danach in einer riesigen Altbauwohnung wieder, die beide besichtigen, und es beginnt eine morbide Liebesbeziehung, die den Zufall in Schicksal verwandelt. Die Begegnung steigert sich zur Obsession, eine notorische Besessenheit, in der nichts zählt als die Lust des Fleisches - keine Namen, keine Vorgeschichte, keine Erinnerungen. »Vergessen« heißt Pauls Devise. Glück nennen sie kalauernd ›hap-penis‹. Das Ausleben der Sexualität an einem anonymen Ort erscheint von allen moralischen und sonstigen Skrupeln befreit, es wird zum eigentlichen Ausdrucks-und Kommunikationsmittel, doch abgetrennt von der Ganzheit der Persönlichkeit entwickelt die Lust bald eine makabre Eigendynamik, die zu Sadismen und Neurosen führt und in Verzweiflung umschlägt.« (Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker). Bertolucci gelingt über weite Strecken die beklemmende Studie zweier Menschen, die aus der Welt, der Zeit, der Gesellschaft fliehen wollen, die sich auf den privatesten Bereich, den der Erotik, zurückzuziehen suchen und die selbst dort scheitern, weil sie zu einer echten Partnerschaft unfähig sind. Daß ihr Versuch keine Chancen hat, zeigt die lähmende Tristesse ihrer Begegnungen. Der Versuch scheitert endgültig, als Paul ihr Verhältnis legitimieren und damit den hoffnungslosen Traum in der Alltagswelt etablieren will.

»Die Bilder sind in warmen Braun-und Ockertönen gehalten wie Brandos Mantel. Sie evozieren die Intimität der Innenwelt, die sich auf die leerstehende Wohnung konzentriert. Diese ist angefüllt mit Gerümpel und Abfall wie die exhibitionistische Seele des Amerikaners. Jeanne, die junge Französin, ist ahnungslos, unbelastet und neugierig auf den erfahrenen Mann, aber erbarmungslos in ihrer Jugend. So kann dieser letzte Tango nur als eine Bewegung auf den Tod zu getanzt werden. Als Jeanne spürt, daß er ein Schürzenjäger und Charmeur ist, eine triste abgewrackte Existenz, läuft sie ihm in den Straßen von Paris davon. ›Es ist aus.‹ Nun gibt es keine goldenen Farbtöne mehr. Bertolucci übersetzt die gefährdete Existenz seiner Figuren in gläserne Reflexe. Die Personen verflüchtigen sich schemenhaft hinter dem Milchglas von Telefonzellen, verdoppeln sich in Fensterscheiben, das Blut von Pauls toter Frau erscheint im Badezimmerspiegel. Jeanne flüchtet im stählernen Glaskäfig eines alten Pariser Aufzugs vor Paul, der sie über die Treppe verfolgt - Glas, Spiegel, Verzerrungen, Phantome der Erinnerung, augentäuschende Vexierbilder. Am Ende treibt Pauls sexueller Befreiungsversuch, seine letzte Revolte, ihn in den Tod. Bertolucci liebt das Paradoxe. In seinem Tango-Stück entfaltet er eine bizarre Welt unvereinbarer Gegensätze. Sie beginnen bei der Wahl der Personen, für die der Antagonismus Jugend - Alter unüberbrückbar bleibt und enden in den Motiven und Interieurs. Was für Paul einen letzten Fluchtversuch bedeutet, ist für Jeanne das faszinierende Vorspiel im Traum von der bürgerlichen Geborgenheit - als er endlich auf ihre Wünsche eingeht, hat sie die Täuschung durchschaut. Und was die Zuschauer in der deutschen Synchronisation nicht hören können: Paul spricht im Original englisch, Jeanne französisch.« (Adolf Heinzlmeier, Kinoklassiker).

»Brando ist anfangs eine brutale, aggressive Gestalt, die einer allmählichen Entmännlichung unterworfen wird, bis er sich schließlich von dem Mädchen sodomisieren läßt. Inszenierung wird somit zum aktiven, Bewußtwerdung zum passiven Analverkehr. Brando stürzt rückwärts in den Tod, der paradoxerweise auch eine Geburt ist. Die Leiche auf dem Balkon nimmt Fötalhaltung ein.« (Bernardo Bertolucci). Die Figur des intellektuellen Filmemachers Tom ist ein ironisches Selbstporträt des Regisseurs; die fast schon parodistischen Szenen sind eine polemische Verabschiedung vom Cinéma vérité. Paul und Tom sind Repräsentanten. Bertolucci: »Brando ist die körperliche und kulturelle Quintessenz zahlreicher Amerikaner von Hemingway über Norman Mailer zu Henry Miller, genau wie Léaud für meine Vergangenheit als Filmfanatiker steht. Die beiden Männerfiguren stecken voller Erinnerungen, während die Frauengestalt keine Vergangenheit hat.«

In den Jahren der sexuellen Revolution und des Aufbegehrens gegen bürgerliche Ordnungen und Moralvorstellungen sorgte Der letzte Tango in Paris weltweit für Aufsehen. Mit bisher nie gezeigten freizügigen Szenen attackierte Bertolucci die repressive Sexualmoral und provozierte die Zensur. Bertolucci wurde Spekulation aufs große Publikum vorgeworfen und Verrat an seiner politisch inspirierten Filmarbeit. In Italien wurde der Film verboten, in den USA durfte er zunächst nur in Porno-Kinos gezeigt werden und wurde so in der Bereich einer spießigen Doppelmoral gerückt, aus der Bertolucci gerade auszubrechen versuchte.



Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1974
Oscar
Bester Hauptdarsteller - Marlon Brando (Nominierung)
Beste Regie - Bernardo Bertolucci (Nominierung)
 
British Academy Awards, UK
Jahr   Kategorie/Preisträger
1974
British Academy Award
Bester Hauptdarsteller - Marlon Brando (Nominierung)
 
Golden Globes, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1974
Golden Globe
Beste Regie - Bernardo Bertolucci (Nominierung)
Bestes Drama (Nominierung)
 
Goldene Leinwand, Deutschland
Jahr Kategorie
1974

 

Goldene Leinwand

 


 
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Alan Barr in: Film Criticism, 2/1983-84; Ann Kaplan in: Jump Cut, 4/1974; Daniel Lopez in: Film Heritage, 4/1975-76; Joan Mellen in: Film Quarterly, 3/1972-73; J.C. Rice in: Journal of Popular Film, 271974; Richard Roud in: Sight and Sound, 3/1972; David Sadkin in. Literature/Film Quaterly, 2/1974; Siegfried Schober in: Filmkritik, 4/1973

Heinzlmeier, Adolf: Kinoklassiker, Hamburg/Zürich 1986

Heinzlmeier, Adolf/Schulz, Berndt: Kultfilme (Cinema-Buch), Hamburg 1989

Jansen, Peter W./Schütte, Wolfram (Hrsg.): Bertolucci (Hanser Reihe Film Bd.24), München/Wien 1982

Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994

Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995

Kolker, Robert Phillip: Bernardo Bertolucci, London 1985

Müller, Jürgen: Filme der 70er, Köln 2003

Peary, Danny: Cult Movies 2, New York 1983

Ungari, Enzo: Berolucci, München 1984