Zeugin der Anklage




Technisches
Land
 
USA
Jahr
 
1957
Länge
 
116 min. (3179 m)
Farbe
 
s/w
Tonverfahren
 
Mono / Westrex
   
Recording System
Format
 
35 mm (1.66:1)
Krimi


Credits
Regie   Billy Wilder
Drehbuch   Billy Wilder, Harry Kurnitz
Literaturvorlage   Agatha Christie
Kamera   Russel Harlan
Schnitt   Daniel Mandell
Musik   Matty Malneck
Songs   Ralph Arthur Robert
Ton   Fred Lau, Gordon Sawyer
Bauten   Alexandre Trauner
Ausstattung   Howard Bristol, Stanley Detlie
Kostüme   Joseph King, Edith Head
Maske   Gustaf Norin, Harry Ray, Ray Sebastian
    (Make-up), Nellie Manley, Helene Parrish
    (Frisuren)
Produktion   Arthur Hornblow für Theme/United Artists
Verleih   United Artists


Erstaufführung
Kinostart
USA
  30.01.1958
D
  28.02.1958
       
TV-Premiere
D
  07.04.1969, ZDF
       
DVD
USA
  11.12.2001 (MGM Home Ent.)
D
  22.06.2004 (MGM Home Ent.)


Einspielergebnisse

?



Darsteller
Tyronne Power   (Leonard Vole)
Marlene Dietrich   (Christine Vole)
Charles Laughton   (Sir Wilfrid Robarts)
Elsa Lanchester   (Miss Plimsoll)
John Williams   (Brogan-Moore)
Una O'Connor   (Janet McKenzie)
Henry Daniell   (Mayhew)
Ian Wolfe   (Carter, der Butler)
Torin Thatcher   (Mr. Meyers, der Ankläger)
Francis Compton   (Richter)
Norma Varden   (Mrs. Emily French)
Philip Tonge   (Chefinspektor Hearne)
Ruta Lee   (Diana)


Inhalt

Der herzkranke Londoner Staranwalt Sir Wilfried verteidigt Leonard Vole, der des Mordes an der reichen Witwe Emily French angeklagt ist. Neben dem kniffligen Fall muß er sich auch noch mit der aufdringlichen Krankenschwester Miss Plimsoll herumärgern, die mit penibler Strenge über seine angegriffene Gesundheit wacht. Vole hat ein Motiv - er wurde von der Toten zum Erben eingesetzt - und kein Alibi, doch Sir Wilfried glaubt an seine Unschuld. Zum Prozeßauftakt sieht der Fall beinahe hoffnungslos aus. Die Suche nach Entlastungszeugen bleibt erfolglos. Zudem wird Vole von Mrs. Frenchs langjähriger Haushälterin Janet McKenzie schwer belastet. Sie will gehört haben, daß Vole eine Woche vor dem Mord mit Mrs. French über das Testament sprach. Auch am Mordabend will sie die Stimme Voles in Mrs. Frenchs Wohnung gehört haben. Sie war es auch, die Mrs. Frenchs Leiche bei ihrer Rückkehr von einem Besuch gefunden hatte. Mrs. French wurde mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen, anscheinend von einem Einbrecher. Doch die Scherben einer eingeschlagenen Scheibe lagen auf dem Rasen, es wurde offenbar nichts gestohlen und auf Voles Jacke war Blut, das mit dem des Opfers übereinstimmt. Sir Wilfried kann Vole entlasten. Das Blut stamme vom Klienten selbst, der sich versehentlich geschnitten habe und die gleiche Blutgruppe wie das Opfer besitzt. Janet sei schwerhörig und täusche sich bewußt, da sie von Mrs. French zugunsten Voles enterbt wurde. Sir Wilfried scheint die Geschworenen überzeugt zu haben, als Ankläger Meyers mit einer Überraschung aufwartet und Voles deutschstämmige Ehefrau Christine, eine beängstigend kalte Frau, als Zeugin der Anklage aufbietet. Christine trägt nichts dazu bei, ihren Mann zu entlasten, sondern belastet ihn schwer. Als der Prozeß schon verloren scheint, erhält der Verteidiger von einer geheimnisvollen Unbekannten Liebesbriefe der Zeugin, die nachweisen, daß sie einen Geliebten hat. Der Zuschauer hat wenig Mühe, in der verkleideten Unbekannten Christine zu erkennen und (im Original) auch den schaurig nachgemachten Cockney-Dialekt, aber Sir Wilfried bleibt blind, weil er die Dinge so sehen will, wie er sie sieht. In einem brillanten Kreuzverhör widerlegt er entscheidend die Glaubwürdigkeit der Zeugin, und Vole wird freigesprochen. Erst hinterher kommt er dahinter, daß alles nur ein Trick Christines war, um ihren Mann zu retten. Aber dann wird auch Christine um ihren Lohn betrogen; auch sie war nur ein Mittel zum Zweck. Sie erfährt, daß ihr Mann die ganze Zeit über ein Verhältnis hatte und ersticht ihn mit einem Messer (das als Beweismittel verfügbar ist). Sir Wilfried hat einen neuen Fall.

 


Kritik
»Zeugin der Anklage ist ein Gerichtsfilm und gilt als Meisterstück dieses Subgenres. Zu seinen Erzählmustern gehört die hoffnungslose Anfangssituation für den Angeklagten, das Eintreffen der entscheidenden Information in letzter Minute, die Verzögerung der Entscheidung und das Motiv der unerwarteten Wendungen.« (Knut Hickethier in: Knut Hickethier/ Katja Schumann (Hrsg.), Filmgenres: Kriminalfilm). Für Billy Wilder war es ein weiterer Film, mit dem er den Beweis erstellen konnte, daß er auf dem Gebiet des Kriminalfilms ebenso bewandert war wie in der Komödie. Sein aufwühlend gestaltetes Werk gewinnt seine Faszination zu einem Großteil durch die Gestaltung seiner Protagonisten und deren überraschende Gesinnungswandlungen. Der Regisseur konnte sich dabei auf einen exzellenten Stab von Mitarbeitern verlassen. In technischer Hinsicht orientierte sich Kameramann Russell Harlan recht deutlich an dem Hitchcock-Film Der Fall Paradin und übernahm daraus einige Einstellungen, diverse Untersichten, Schwenks und Zwischenschnitte ins Publikum.

»Der Film ist in seiner Handlungs- und Identifikationsführung so aufgebaut, daß man sich jedesmal erneut hinters Licht geführt fühlt, auch wenn man den Ausgang der Handlung kennt. Denn was im Theaterstück von Agatha Christie ein brillantes kriminalistisches Verwirrspiel ist, das wird unter Wilders Regie vor allem zum Porträt eines alternden Mannes, der unter seiner zynischen und schroffen Art, seinen rauhen und gelegentlich obszönen Scherzen ein Mann von äußerster Rechtschaffenheit und Menschenliebe ist, aber in einem Prozeß, in dem er sich noch einmal auf der Höhe seines Könnens glaubt, erkennen muß, daß er der Bösartigkeit der neuen Zeit nicht mehr gewachsen ist. Während die kriminalistische Handlung, einschließlich der Rückblende ins Deutschland der Trümmer, weitgehend getreu der Christie-Vorlage folgt, haben Wilder und sein Autor Harry Kurnitz die Rolle des Sir Wilfried ausgebaut und die Figur der Krankenschwester dazuerfunden. Der Film »gehört« vor allem Charles Laughton, der durch die Art wie er sein Monokel zurechtrückt, durch die unterschiedlichen Blicke, die er auf seine Mitmenschen wirft, oder seine sarkastischen Reaktionen auf die Zurechtweisungen der Krankenschwester, unvergeßliche Miniaturen der Schauspielkunst geschaffen hat.« (Hahn/Jansen, Kultfilme). Den Regisseur hat er durch immer neue Variationen überrascht mit denen er seine Szenen auszustatten gedachte: »Laughton war der Glücksfall eines Schauspielers, der stets auf vollen Touren lief ständig im Zustand höchster Anspannung und schauspielerischer Erregung war. Und aus dieser Überfülle heraus bot er mir seine Versionen an. Das ist das Schönste, das einem Regisseur passieren kann«, erinnert sich Wilder. »Doch von dem, was mir Laughton anbot, mußte ich oft bis zu 70 Prozent wegnehmen, denn es war oft zuviel.«

In den Rang eines Kultfilms und Klassikers der Justizthriller ist Wilders Film erst relativ spät aufgestiegen. »Wie Five Graves To Cairo und The Spirit Of St.Louis wird Witness For The Prosecution in Artikeln über Wilder oder in Interviews selten erwähnt; und wie The Front Page scheint dieser Film eher Wilders Kritikern zu gefallen als seinen treuesten Bewunderern. Ein Grund dafür könnte sein, daß der Film zumindest oberflächlich, verhältnismäßig frei ist von dem Zynismus, den man dem Regisseur angedichtet hat, und ohne die völlig abstoßenden Figuren: Selbst der Bösewicht des Films, von Tyrone Power gespielt, besitzt beträchtlichen Charme und ist, bis zu den verblüffenden Enthüllungen in der allerletzten Szene, ein mitleiderregendes Opfer der Umstände. Andererseits haben echte Bewunderer Wilders erhebliche Schwierigkeiten, den Film in Wilders Entwicklung einzuordnen; wenn sie ihn überhaupt erwähnen, schreiben sie ihn der unsteten Periode zu, als Wilder von Studio zu Studio zog, bis er sich 1959 mit den Mirisch Brothers zusammentat. Diesen dürftigen Zeugnissen läßt sich die allgemeine Meinung entnehmen, daß der Film, wie unterhaltsam er auch sein mag und trotz der Bravourleistung von Laughton, eine Randerscheinung in Wilders Werk ist, und daß der Regisseur Zuflucht sucht in einem möglichst schon vorweg garantierten Erfolg. Da die erzählerischen Mittel bis zu einem gewissen Grad dieselben sind, überrascht es nicht, daß Wilder dem Werk von Agatha Christie grundsätzlich schon Sympathien entgegenbringt und aus ihrem erfolgreichen Bühnenstück einen seiner gelungensten Filme macht. Wilder verändert das Original nur unwesentlich, doch seine subtilen Akzentverschiebungen in der Charakterisierung der Figuren (insbesondere beim Strafverteidiger und bei der hinzugekommenen Krankenschwester) und sein sinnreiches Einsetzen von Objekten (wovon sich nichts im Original findet) machen aus Witness For The Prosecution ein imponierendes Inventar bevorzugter Themen und Effekte Wilders. Vielleicht ist der Film letztlich deshalb kein Meisterwerk wie Double Indemnity und The Private Life Of Sherlock Holmes geworden, mit denen ihn viel verbindet, weil er stofflich zu reichhaltig ist und Wilder sich nicht auf wenige Punkte konzentrieren konnte.« (Sinyard/Turner, Billy Wilders Filme).

»Den zeitgeschichtlichen Rahmen, der zunächst nur den Hintergrund für den Kriminalfall abzugeben scheint, nimmt Wilder zum Anlaß für einen psychohistorischen Essay über eine spezifische Erscheinungsform des korrupten, selbstsüchtigen und betrügerischen Wilder-Menschen. Rückblenden führen uns ins kriegszerstörte Hamburg, wo Marlene Dietrich einmal mehr als Nachtclubsängerin brillieren darf. Aber gerade diese Rückblende ist ein filmisches Mittel der Irreführung, sie scheint einiges von unseren Vorurteilen zu bestätigen: Der junge, naive Soldat Vole kommt der Sängerin bei einem Krawall im Club zu Hilfe, versorgt sie mit Lebensmitteln. Die beiden heiraten sehr schnell und übersiedeln nach London. Nicht nur die Erwartungen an das Image der Stars, sondern auch allgemeine Vorstellungen scheinen darin zunächst bestätigt zu werden: der naive Engländer, der auf dem sündigen Kontinent der Verführung der Femme fatale erliegt. Daß er selbst diese Fährte legt, ist über der Suggestivkraft der Bilder schnell vergessen, und wir fallen nur allzu gern auf das Bild der Dietrich als verruchte Sünderin herein, das so viele Filme zuvor aufgebaut haben. Bei genauem Ansehen der Rückblende indes hat Wilder genug Fährten gelegt, um die Geschichte auch ganz anders zu lesen, aber hinterher ist man immer schlauer, besonders im Kino.« (Hahn/Jansen, Kultfilme). »Christine, im unvorteilhaften Hosenanzug gekleidet, die blonden Haare unter eine Mütze geschoben vermeidet die erotische Herausforderung nachgerade. Die Soldaten sehen sich in ihren Erwartungen enttäuscht, denn das gezeichnete Plakat präsentiert sie in erotischer Pose. Wieder stoßen Illusion und Wirklichkeit aufeinander. Die Männer lassen sich täuschen von einem Bild, von einem Phantasieplakat. Vole betritt scheinbar zufällig mit seinem Rucksack voller Schwarzmarktwaren das Kabarett. Er hält sich abseits und beobachtet Christines Auftritt und die über sie herfallenden Soldaten wie auf einer Bühne. Als er die Sirene hört, verläßt er das Kabarett und kommt erst zurück, als die Militärpolizei die Randalierer abgeführt hat, scheinbar nur aus dem einzigen Grund, um Christine beim Einsammeln ihrer Habseligkeiten zu helfen und zu beschenken. Seine Freundlichkeit ist jedoch kalkuliert. Er wurde durch das Plakat angelockt, der Übergriff auf Christine hat ihm gezeigt, daß sie gut gebaut ist. Bezeichnend für sein berechnendes Wesen ist eine scheinbare Nebensächlichkeit. Als er das Kabarett wegen der einfallenden Militärpolizisten verläßt, stellt er sein Glas auf einem Balken ab. Wenig später kehrt er zurück und ergreift zielsicher das Glas, ohne auch nur einmal hinzuschauen. Wie Wilders Held Joe Gillis aus Sunset Boulevard ist Vole schwach, eigennützig und beutet ältere Frauen für seine Zwecke aus. Er ist ein berechnender Frauenliebling, der sich die attraktive Christine kauft. Ihre Begründung, mit dem Ehering das männliche Publikum auf Distanz zu halten, scheint dieser sich naiv gebende Mann zu glauben. Christine ist eine schutzlose, nicht mehr ganz junge grüne Witwe, die von Vole ebenso ausgebeutet wird wie Mrs. French. Wie bei Christine ist Vole auch ein Voyeur, als er Mrs. French kennenlernt. Er beobachtet sie durch die Schaufensterscheibe eines Hutgeschäftes. Wieder zeigt er sich als Manipulator. Er berät Mrs. French durch Handzeichen beim Kauf eines Hutes, der ihm, wie er gegenüber Sir Wilfried zugibt, gar nicht gefiel. Aber er wollte nur freundlich sein. Doch bei ihm ist Freundlichkeit immer auch Kalkulation. Beim zweiten Mal trifft er sie im Kino, einem Ort, den seinen Voyeurismus unterstreicht. Er ist ein Mann, der sein Opfer sorgfältig beobachtet. Der Film ist ein gekonntes Verwirrspiel um Lüge und Wahrheit, Wirklichkeit und Schein und zeigt zusammen mit der Gestalt der Frau ohne Gewissen immer wiederkehrende Leitmotive in Wilders Filmen. Vole spielt den naiven Liebenden, der sich an seine Frau klammert wie ein Ertrinkender an einen Haifisch und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Christine den Charakter spielt, den Vole in Wirklichkeit besitzt. Christine mimt die Materialistin, die unzufrieden mit ihrem ärmlichen Leben ist und ihren Mann durch eine Verurtei-lung wegen Mordes loswerden will, um mit ihrem Liebhaber durchzubrennen. Die Schauspielerin Christine spielt Sir Wilfried nicht nur die Rolle der verräterischen Ehefrau vor, sie schlüpft auch in eine weitere Rolle, die der Cockney-Prostituierten, die sich an ihrem betrügerischen Liebhaber rächen will. Damit variiert sie ihre Rolle als Christine, die sie Sir Wilfried gegenüber spielt, nur ist sie hier als rachsüchtige, geldgierige Frau schlampig und primitiv. Diese Schlüsselszene arbeitet beispielhaft das Täuschungsmotiv auf und treibt das Spiel um Lüge und Wahrheit noch ein Stückchen weiter. In dieser Rolle als Cockneyfrau behauptet Christine, ihr Freund Max sei ihr von Christine ausgespannt worden und habe ihr bei einem Streit das Gesicht mit einem Rasiermesser zerschnitten. Sie tritt ganz nahe an Sir Wilfried heran, schiebt ihr Haar beiseite und präsentiert ihm eine entstellende Narbe. Diese Szene ist doppelt ironisch. Am Ende stellt sich heraus, daß die Lügengeschichte real, die Cockneyfrau alias Christine tatsächlich die Betrogene ihres Geliebten Max alias Vole ist. Und es kommt wie in ihrer Geschichte zur Eskalation, nur attackiert sie in der Realität den untreuen Mann. Die Erwähnung des Rasiermessers weist zurück auf Sir Wilfrieds Einschätzung von Christines Person und relativiert sie, denn sie wird Max alias Vole zugeschrieben. Ohne es zu ahnen, erfindet Christine eine Geschichte, die fiktiv sein soll und doch die ganze Wahrheit ist. Die zweite Ironie in dieser Episode liegt darin, daß Christine Sir Wilfried mit den Worten begrüßt, sie habe ihn ohne seine Perücke fast nicht erkannt, während sie mit ihrer dunklen Lockenperücke vor ihm steht. Die Maskerade dient allein dazu, den Anwalt zu benutzen, der alles in der Hand zu haben scheint und doch nur die Marionette seines scheinbaren Opfers ist, das wiederum im Netz der Liebe zappelt. Der Zuschauer läßt sich ebenso täuschen wie Sir Wilfried, der als genialischer, mit allen Wasser gewaschener Anwalt präsentiert wird. ›Wilfried, der Fuchs, nannte man ihn im Krankenhaus‹, wie Miss Plimsoll bewundernd erzählt, weil er seine Zigarren im Stock versteckte. Seine Thermoskanne mit dem Kakao vertauscht er gegen eine mit Brandy und die Akten mißbraucht er als Aschenbecher. Mit seinen kleinen Tricks erinnert Sir Wilfried, der als Anwalt auch detektivische Aufgaben hat, an Wilders Sherlock Holmes, der sein Kokain vor Dr. Watson versteckt, einem Arzt, der wie Krankenschwester Miss Plimsoll als ständiger Begleiter und Wächter fungiert und sich ebenfalls nicht täuschen läßt. Gemeinsam sind Holmes und Sir Wilfried die Suche nach der geistigen Herausforderung, ihre anfängliche Langeweile und ihr klägliches Scheitern. Sir Wilfrieds Tricks weisen auf einen kindischen Charakter und deshalb auch ist er den raffinierten Strategien seiner Gegner nicht gewachsen. Als er Christine das erste Mal begegnet, spielt er gerade mit seinem neuen Treppenlift. Den hat er zuerst verächtlich abgelehnt. Doch als er sich das erste Mal hineinsetzt und nach oben fährt, bereitet es ihm eine solche kindliche Freude, daß er gar nicht mehr aussteigen will. Christine ertappt ihn in dieser unvorteilhaften, schwachen Position. Sie, die den Rettungsplan für Vole allein ersonnen hat, will den besten Anwalt und bekommt ihn durch Manipulation seines kindischen Gemüts. Sie fragt ihn provozierend, ob der Fall zu hoffnungslos sei. Prompt nimmt Sir Wilfried die Herausforderung an.« (Almut Oetjen in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).

Was Wilders Film indes zu einem zeitlosen Klassiker des Genres macht, ist der Reichtum der inneren Beziehungen. »Das Verhältnis zwischen dem Verteidiger und seiner Krankenschwester ist zum Beispiel nicht weit davon entfernt, eine Spiegelung des Verhältnisses zwischen dem Mörder und seinem Opfer zu sein. Spielerisch verteidigt sich Sir Wilfried einmal sogar für den hypothetischen Mord an Miss Plimsoll, und fast immer steckt in der komischen Nebenhandlung ein Kommentar zum dramatischen Hauptstrang. Und auf einer dritten Ebene wird der Film gar zu einer Untersuchung über den männlichen Blick, der sich von seinen Vorurteilen gegenüber Frauen leiten läßt. In der seltsamen Beziehung des ungehorsamen Sohnes zur mütterlichen Frau kann der Anwalt immer nur das männliche Opfer sehen; nicht einmal sein untrügliches Testinstrument, der Lichtstrahl durch das Monokel ins Auge des Beschuldigten, offenbart ihm, daß die Beziehung von Opfer und Täter zwischen Männern und Frauen auch ganz anders sein kann. Es ist seine Frauenfeindschaft, die ihn die Wahrheit nicht erkennen läßt (und die das Publikum veranlaßt, ihn bei seinen Schlußfolgerungen zu begleiten). Sir Wilfrieds Mißtrauen Frauen gegenüber teilt er wieder mit Sherlock Holmes. Er ist unverheiratet und lebt in einem Dauerkrieg mit Miss Plimsoll (›Wenn Sie eine Frau wären, Miss Plimsoll, würde ich Sie verprügeln.‹)« (Hahn/Jansen, Kultfilme). Miss Plimsoll funktioniert nicht nur im Duett mit Sir Wilfried als komischer Kontrast zur Dramatik der Mordgeschichte, sondern betont in ihrem Bemuttern und Bevormunden auch Sir Wilfrieds kindliche Natur. Vor allem dieses Mißtrauen ist es, das Sir Wilfried für die Wahrheit blendet und zum ahnungslosen Teil des Komplotts werden läßt. Wie Holmes versöhnt er sich jedoch am Ende mit den Frauen. Sir Wilfried muß erkennen, daß er ein falsches Bild von Christine hatte. Sie ist keine zerstörerische Femme fatale, sondern eine liebende, selbstaufopfernde Frau, die für den Geliebten alles aufgibt, ihre Heimat, ihren Ruf, ihre Freiheit. Nun bewundert und bemitleidet er sie. Als Miss Plimsoll sagt, Christine habe Vole ermordet, antwortet er, sie habe ihn exekutiert. Sie hat in seinen Augen die Gerechtigkeit, die er unwissentlich pervertiert hat, wiederhergestellt, indem sie Vole richtete. Ohne zu zögern übernimmt er ihre Verteidigung, und in Gedanken beschäftigt er sich bereits mit der Strategie. Anders als zu Beginn, als Miss Plimsoll empört auf seinen neuen Mordfall reagierte, ist sie nun stolz, und entgegen ihrem sonstigen Verhalten, ruft sie ihm, die Thermoskanne in der Hand, nach: »Sie haben Ihren Brandy vergessen!«.

Zeugin der Anklage war 1957 ein hochdotierter Bewerber für den Oscar, ohne letztlich einen davon zu gewinnen. Mittlerweile taucht der Film immer wieder in den Alltime-Hitlisten der Kritikerinnen und Kritiker auf. Und wahrscheinlich ist es der Film, mit dem Cineasten am besten lernen können, wie das Spiel mit Identifikation und Täuschung im Kino funktioniert.



Auszeichnungen
Academy Awards, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1958
Oscar
Beste männliche Hauptrolle - Charles Laughton (Nominierung)
Beste Nebendarstellerin - Elsa Lanchester (Nominierung)
Beste Regie - Billy Wilder (Nominierung)
Bester Schnitt - Daniel Mandell (Nominierung)
Bester Film (Nominierung)
Bester Ton - Gordon Sawyer (Nominierung)
 
Golden Globes, USA
Jahr   Kategorie/Preisträger
1958
Golden Globe
Beste Nebendarstellerin - Elsa Lanchester
Bestes Drama (Nominierung)
 


Bewertung


Literatur

Rolf Becker in: Filmkritik, 4/1958; Herbert Feinstein in: Film Quarterly, 1/1958-59; Penelope Houston in: Monthly Film Bulletin, 289/1958; Karena Niehoff in: Tagesspiegel, 20.3.58; Martin Ruppert in. FAZ, 1.3.1958

Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991

Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998

Hickethier, Knut/Schumann, Katja (Hrsg.): Filmgernes: Kriminalfilm, Stuttgart/Leipzig 2005

Karasek, Hellmuth: Billy Wilder, München 1994

Karasek, Hellmuth: Mein Kino - Die 100 schönsten Filme, Hamburg 1994

Müller, Jürgen: Filme der 50er, Köln 2005

Seidl, Claudius: Billy Wilder (Heyne Filmbibliothek), München 1988

Sinyard, Neil/Turner, Adrian: Billy Wilders Filme, Berlin 1980

Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995



Weblinks

IMDB