Land
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Jahr
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1955
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Länge
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93 min.
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Farbe
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Tonverfahren
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Western Electric
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Sound System
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Format
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35 mm (1.33:1)
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Regie | Charles Laughton | |
Drehbuch | James Agee, Charles Laughton | |
Literaturvorlage | Davis Grubb | |
Kamera | Stanley Cortez | |
Spezialeffekte | Jack Rabin, Louis de Witt | |
Schnitt | Robert Golden | |
Musik | Walter Schuman | |
Ton | Stanford Naughton | |
Bauten | Al Spencer | |
Ausstattung | Hilyard Brown | |
Kostüme | Jerry Bos, Evelyn Carruth | |
Maske | Don L. Cash (Make-up), Kay Shea | |
(Frisuren) | ||
Produktion | Paul Gregory für United Artists | |
Verleih | United Artists |
19.02.1955 | |||
16.03.1956 | |||
26.11.1971, ZDF | |||
25.01.2000 (MGM Home Entertainment) | |||
17.05.2001 (MGM Home Entertainment) | |||
24.06.2006 (SZ-Cinemathek Nr. 69) |
?
Robert Mitchum | (Harry Powell) | |
Shelley Winters | (Willa Harper) | |
Lillian Gish | (Rachel) | |
Evelyn Varden | (Icey) | |
Peter Graves | (Ben Harper) | |
Billy Chapin | (John) | |
Sally Jane Bruce | (Pearl) | |
James Gleason | (Onkel Birdie) | |
Don Bedoe | (Walt) | |
Gloria Castille | (Ruby) | |
Mary Ellen Clemons | (Clary) | |
Cheryl Gallaway | (Mary) |
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Laughton gibt seinem Film eine erzählerische Klammer, die in der Romanvorlage nicht enthalten ist. Vor dem Hintergrund des nächtlichen Sternenhimmels liest eine alte Frau Kindern Sentenzen aus der Bibel vor (»Nehmt euch in acht vor falschen Propheten«; »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«). Stimmung und Situation lassen an eine Märchenstunde denken. Zugleich wird der Vergangenheitscharakter der folgenden Geschichte betont. Wenn die Kamera sich nach diesem Prolog aus der Vogelperspektive auf die Erde hinabsenkt, schneidet Laughton von einer Gruppe spielender Kinder auf den Prediger. Er entlarvt den »falschen Propheten« damit bereits in der ersten Szene, denn dessen »Frucht« ist eine tote Frau, die die Kinder beim Spiel entdecken.
»Zu den zentralen Themen des Films gehört - wie im Märchen auch - die Kindheit, die sich in dem geschlechtlichen Spannungsfeld zwischen Mann und Frau entfalten soll. John, aus dessen Perspektive die Handlung aufgebaut wird, schwankt zwischen obskuren männlichen und weiblichen Identifikationsangeboten. Vater Ben Harper zerbricht am Elend der Depressionszeit und opfert sich aus falsch verstandener Fürsorge gegenüber den Kindern. Er wird kriminell und schließlich gehenkt. Der Stiefvater Harry Powell haßt Frauen. Er ist ein Monster, das im Auftrage Gottes, seine sexuelle Frustriertheit in Rache kompensiert. Ungewöhnlich dabei ist, daß sich in ihm der Mord aus Befriedigung (Lustmord) mit dem Mord aus Habgier (Raubmord) vereint. Das Frauenbild in Die Nacht des Jägers ist durchweg negativ: Die Aufgabe einer Frau liege im Gebären und nicht in der Lust. ›Gott kann nicht wollen, daß eine anständige Frau es gerne tut. Das ist etwas für Männer‹, behauptet lcey Spoon. Immer wieder begegnet man abfälligen Äußerungen über das weibliche Geschlecht. Ben Harper übergibt die Verantwortung für die Beute seinem Sohn John mit dem Kommentar, ›du kannst den Mund halten, deine Mutter nicht‹. Durch das Foto seiner verstorbenen Frau fühlt sich Birdie unangenehm beobachtet. Selbst Rachel sinniert angesichts eines jungen Liebespaares auf der Straße, ›die Frauen sind ja verrückt‹, sich auf die fleischliche Lust einzulassen. Schließlich müsse sie, die alte Witwe Cooper, wieder einmal für die Folgen aufkommen. Als Willa Harper in ihren Hoffnungen jäh enttäuscht wird, sich endlich wieder einem Mann hinzugeben, betet sie, sie möge doch so werden, wie Harry sie haben wolle. Das Motiv der Sünde wird gleichgesetzt mit dem Prinzip des Weiblichen, es ist in Pearl und ihrer Puppe Miss Jenny symbolisch angelegt. Das ›blutbefleckte‹ Geld wird in den Körper der Puppe implantiert, ähnlich der Erbsünde, die zur Vertreibung aus dem Paradies führt. John und Pearl müssen ihr Elternhaus verlassen und vor der Rache des Stiefvaters Harry Powell flußabwärts fliehen. Die Erlösung obliegt John, der Rachel an Heiligabend symbolisch den Apfel, mit dem Eva Adam verführt haben soll, als Geschenk zu Weihnachten, dem Fest der Geburt, des Neubeginns, zurückgibt. Laughton montiert dieses skurrile Panoptikum irritierter und irritierender Figuren in ein dichtes Geflecht psychoanalytischer Deutungsmuster. Dabei ist unübersehbar, wie sehr die verarbeiteten Themen dessen eigene Probleme widerspiegeln. Der Ekel des Predigers vor der geschlechtlichen Vereinigung wird häufig als Anleihe an Laughtons Homosexualität interpretiert, zu der er sich nach quälendem Ringen schließlich offen bekannte und das Ende seiner Ehe mit Elsa Lanchester in Kauf nahm. Reduzierte man das filmische Kaleidoskop von Märchen- und Bibelmotiven auf die Handlung, man könnte sie als zu moralisch, ja übertrieben kitschig empfinden, selbst wenn kritische Untertöne über Bigotterie auszumachen sind.« (Christoph Fuchs in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).
»Der Geschichte liegt der gleichnamige Roman von Davis Grubb zugrunde. Grubb erzählte vom Fanatismus des Hexenwesens, von exzentrischem Aberglauben und falschen Priestern, von ganzen Gemeinden, die dem Übel verfallen waren. Laughton macht eine märchenhafte, träumerische Geschichte daraus, ein sanftes Gewebe aus phantastischen Bildern, mit einem von Zeit zu Zeit immer stärker werdenden Horrorgefühl durchsetzt. Stanley Cortez ist ein ausgezeichneter Kameramann, er macht Märchenzauber und Dämonie gleichsam spürbar.« (SZ).
Cortez war vor allem durch seine Arbeit für Der Glanz des Hauses Amberson (1942) bekannt geworden und bediente sich der reichhaltigen stilistischen Fundgrube deutscher expressionistischer Kammerspiel- und Straßenfilme. »Die Kreisblende etwa reduziert Powells Blick auf die Stripteasetänzerin zur voyeuristischen Schlüssellochperspektive. Wenn sich der wahnsinnige Prediger im Kinderzimmer als überdimensionierter Schattenkopf ankündigt, erinnert man sich an Fritz Langs M, der als riesiger Schatten auf der Litfaßsäule erscheint und zu dem Mädchen hinunterschaut. Daß auf dem Plakat über dem Schatten des Kindermörders in großen Ziffern die Höhe der Belohnung von zehntausend Mark prangt und damit der Beute von Ben Harper entspricht, reiht sich genüßlich, wenn auch zufällig, in das Zitat. Laughton und Cortez haben nicht nur die Licht-Schatten-Symbolik der Caligari-Nachfolger genutzt, sondern auch geschickt dessen Dekorsprache angewandt und sozusagen verlebendigt. Ausgeprägt ist die Komposition meistens von Personengruppen in dreieckigen Bildausschnitten, wie sie die Architekten und Maler für die künstlichen Caligari-Szenenbilder verwendet hatten. Als Harry sich über die im Bett liegende Willa beugt, um sie zu erstechen, komponiert er ein exaktes Dreieck mit dem Scheitelpunkt Messer/Kopf. Die Form des Dachzimmers umschließt ebenfalls als Dreieck diese Szene und signalisiert damit den Moment höchster Bedrohung. Als Rachel mit der Flinte auf den an der Treppe hockenden Prediger zielt, wiederholt sich zwar die Dreiecksgestaltung mit Scheitelpunkt Gewehr/Kopf, doch dominiert das Helle, das Licht, somit das Gute. Die Erlösung von dem Bösen, dem Wanderprediger Harry Powell, bahnt sich an. Die Künstlichkeit der ausschließlich im Studio gedrehten Flußfahrt vor aufgemaltem Hintergrund entzieht sich vollständig einer naturalistischen Einbindung und unterstreicht das traumhaft-phantastische Element der Flucht. Da der künstliche Horizont keine weite Perspektive zuließ, mußte die Szene des in der Nacht heranreitenden Predigers mit einem Liliputaner auf einem Pony gedreht werden.« (Christoph Fuchs in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).
Zu den schönsten, aber auch befremdlichsten Bildern der Filmgeschichte gehören die Szenen am und im Fluß: Willa am Steuer ihres Wagens auf dem Grund des Ohio, ihr langes Haar mit den Wasserpflanzen in der Strömung schwebend; Powells unheimliche Reitersilhuette vor dem nächtlichen Horizont; die Tiere am Ufer, die die Bootsfahrt der Kinder schützend zu bewachen scheinen - eine märchenhafte, magische Welt, schon halb im Jenseits, begleitet von Schlaf-, Kinder- und Kirchenliedern. Laughton bedient sich mancher Mittel aus der Stummfilmzeit, setzt weniger auf vordergründige Aktion, sondern kostet Gefühle und Stimmungen aus. Der Wahnsinn des Wanderpredigers wird zur dämonischen Besessenheit, die die Handlung wie Gift durchdringt. Die bedrückende Atmosphäre von kindlicher Hilflosigkeit und Verlassenheit findet ihr äußeres Pendant im zeitlichen Hintergrund der Handlung, den Laughton sinnigerweise in die Jahre der amerikanischen Wirtschaftsdepression verlegt hat. Die heile Welt Rachels - mit einer Bilderbuch-Weihnacht und rieselndem Schnee - steht als Zeichen für ein verlorenes Paradies der Unschuld.
»Wie für den Drehbuchautor Agee bedeutete dieser Film auch für den Komponisten Walter Schumann die letzte Arbeit. 1958 verstarb er im Alter von nur fünfundvierzig Jahren. Schumann, der sich hauptsächlich auf die Komposition von Vokalstimmen und Chören spezialisiert hatte, wurde einem größeren Zuschauerkreis bekannt durch den Film und die Fernsehserie Dragnet, für deren musikalisches Thema er 1955 den Emmy Award gewonnen hatte. Die ungewöhnliche Musik des Films variiert verschiedene Leitmotive, die sich mal auf Personen, mal auf Situationen beziehen. Orchestrierung, gemischte Chöre, einzelne Vokalstimmen und Instrumente werden geschickt zum Einsatz für Bedrohung und Harmonie gebracht. Wie gut das Zusammenspiel zwischen Regie. Kamera und Musik funktionierte, zeigt sich etwa anhand Filmszene. in der die Leiche Willas in dem Auto sitzend auf dem Grund des Ohio-Flusses zu sehen ist. Ihre Haare wallen mit den Schlingpflanzen im gleichen Rhythmus. Die Einstellung strahlt trotz ihrer Grausamkeit etwas sehr Friedliches aus.
Mit der frühen Verpflichtung Robert Mitchums zeigte sich United Artists bereit, das Filmprojekt mit siebenhunderttausend Dollar zu finanzieren. Neben der Darstellung des psychopathischen Wanderpredigers übernahm Mitchum auch die Betreuung und Regie der Kinder, mit denen Laughton nicht zurechtgekommen sein soll. Es ist infolgedessen unschwer nachzuvollziehen, daß ein für das US-amerikanische Fernsehen gedrehtes Remake von 1991 mit Richard Chamberlain als Prediger und mit Laughton-Freund Burgess Meredith als Onkel Birdie die atmosphärische Dichte des Originals in keiner Weise erreichen konnte.« (Christoph Fuchs in: Enzyklopädie des Kriminalfilms).
Bei der Uraufführung fiel Die Nacht des Jägers bei Publikum und Kritik weitgehend durch. Über die Gründe des Mißerfolges gibt es verschiedene Spekulationen. Zum einen schienen die verstörende Schwarzweiß-Asthetik der Bilder und die häufig in Kontrast gesetzte suggestive Musik die Sehgewohnheit des Publikums überzustrapazieren. Zum anderen soll das Klima der McCarthy-Ära eine besondere Rolle gespielt haben. Laughton war offensichtlich durch seine enge Freundschaft mit Brecht bis 1947 in bedrohliche Nähe der Kommunisten gerückt., weshalb einige Kinos seine Regiearbeit boykottierten. Zudem galt die bizarre Geschichte des Frauenmörders Powell in der Maske des bigotten Predigers und falschen Propheten als ›unamerikanisch‹ und wurde von den großen Kinoketten boykottiert. Daß der ›gute Hirte‹ in Wirklichkeit ein psychopathischer Verbrecher war, der Film durchaus als Zeitkommentar gedeutet werden konnte, war unangenehm. Die meisten zeitgenössischen Rezensenten befanden den Film als ›interessant gescheitert‹, und dieser Mißerfolg machte für Charles Laughton jede Chance zunichte, weitere Filme zu inszenieren. Treffend prophezeite zwei Wochen nach der französischen Erstaufführung der Filmkritiker und spätere Regisseur François Truffaut, daß man mit einem solchen Drehbuch in Hollywood schwerlich eine Filmkarriere starten könne. Die rhetorische Wette, diese ungewöhnliche Filmparabel, die ›ohne Rücksicht auf die elementarsten kommerziellen Normen gemacht ist‹ würde für Laughton ein einmaliges Unternehmen bleiben, hat Truffaut schließlich gewonnen. Er war sich über die Qualität des Films letztlich auch nicht ganz sicher. In der Zeitschrift Arts beklagte er einige Schwächen in der Schauspielerführung und ›die widerliche Rührseligkeit am Ende‹.« (Christoph Fuchs in: Enzyklopädie des Kriminalfilms). Dieses Fazit milderte er dann in folgendem versöhnlichen Sprachbild ab: »Trotz der Schönheit der Photographie schlingert die Inszenierung von der skandinavischen Straßenseite auf die deutsche, klammert sich im Vorbeigehen an einen expressionistischen Laternenpfahl und versäumt darüber, die von Griffith längst markierten Übergänge zu benutzen. Charles Laughton fürchtet sich nicht, ein paar Rotlichter zu überfahren und ein paar Polizisten umzustoßen in diesem einzigartigen Film, der einem den Glauben an das Experimentalkino zurückgibt, indem er wirklich sucht und findet! « (François Truffaut, Die Filme meines Lebens).
»Viele Filme der fünfziger Jahre, auch die guten, wirken heute irgendwie überholt, aber indem Laughton die Geschichte in einer erfundenen Filmwelt außerhalb des konventionellen Realismus spielen läßt, verleiht er ihr Zeitlosigkeit. Ja, der Film spielt in einer Kleinstadt an einem Fluß, aber der Ort sieht so künstlich aus wie die Landschaft auf einer Weihnachtskarte. Das innen und außen seltsam verwinkelte Haus der Familie wirkt zu klein, um bewohnbar zu sein, und der Fluß wird zu einer so deutlich sichtbaren Filmkulisse, daß er auch für einen gänzlich stilisierten Studiofilm hätte entstanden sein können.« (Roger Ebert, Chicago Sun-Times).
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Jacques Goimard in: L'Avant-Scène du Cinéma, 202/1978; Gordon Gow in: Films and Filming, 5/1975; Paul Hammon in: Sight and Sound, 2/1979; Moylan C. Mills in: Literature/Film Quarterly, 1/1988; François Truffaut in: Arts, 569/1956; George E. Turner in: American Cinematographer, 12/1982
Cinema Nr.170 (7/1992), Plakatkarte
Althen, Michael: Robert Mitchum, München 1986
Charlot, Alain: Die 100 besten Kriminalfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1991
Hahn, Ronald/Jansen, Volker: Kultfilme (Heyne Filmbibliothek), München 1998
Hahn, Ronald M./Jansen, Volker: Lexikon des Horror-Films, Berg.-Gladbach 1985
Hasenberg, Peter/Luley, Wolfgang/Martig, Charles: Spuren des Religiösen im Film, Mainz 1995
Koebner, Thomas (Hrsg.): Filmklassiker, Stuttgart/Leipzig 1995
Müller, Jürgen: Filme der 50er, Köln 2005
Missler, Andreas: Charles Laughton, München 1990
Stresau, Norbert/Wimmer, Heinrich(Hrsg.): Enzyklopädie des phantastischen Films, Meitingen 1986ff
Truffaut, François: Die Filme meines Lebens, Frankfurt a.M. 1997
Wacker, Holger (Hrsg.): Enzyklopädie des Kriminalfilms, Meitingen 1995
Werner, Paul: Film noir (Reihe Fischer Cinema), Frankfurt a.M. 1985